Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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grinsend ließ Rayan den Motor anspringen und kurz aufheulen, bevor er das Auto sicher aus der engen Tiefgarage steuerte.

      Hanif dagegen ärgerte sich erneut über sich selbst, dass er so kurz nach seiner Blamage am Zoll nun erneut seine Unerfahrenheit zur Schau gestellt hatte. Wieso mussten die Engländer auch ihre Autos anders herum bauen?! – An jeder Ecke schienen neue Fettnäpfchen auf ihn zu warten - das konnte ja alles noch heiter werden.

      September 2014 – Einige Tage früher - Tal von Zarifa – Sturm der Gefühle

      Rayan stand bewegungslos am Fenster seines Schlafzimmers und sah auf die Stallungen hinunter.

      Er wusste, dass man ihn von unten nicht sehen konnte, da die Fenster nur von innen durchsichtig waren. Einige Diener hatten die Pferde für Carina, Nihat, Halef und zwei weitere Männer gesattelt. Die Reiter schickten sich gerade an, aufzusteigen.

      Carina blickte nicht nach oben. Sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, aber ihr Stolz verbot ihr, zu deutlich zu zeigen, wie sehr ihr die kurzfristige Abreise aus Zarifa zu schaffen machte.

      Sie hatte nichts von den Dingen, die Rayan ihr geschenkt hatte, eingepackt. Nur ihre eigenen Besitztümer, die sie hierher gebracht hatte, nahm sie wieder mit zurück. Er hatte sie abgefertigt, wie ein Kleidungsstück abgelegt und daher wollte sie keinerlei Erinnerungen an ihn zurück behalten. Im Geiste ging sie noch einmal die kurze Liste durch: ihren Ausweis, ihre Kamera und ihr Notizbuch. Alles hatte sie in ihrer ledernen Umhängetasche verstaut, die inzwischen schon so viel mitgemacht hatte.

      Einer der Diener reichte ihr noch einen prall gefüllten Wasserschlauch nach oben, als sie schon auf dem Pferd saß, dann ritten sie los. Sie widerstand die ganze Strecke entlang des Flusses durch die grünen Wiesen der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen. Falls sie doch jemand beobachtete, sollte dieser nicht das Gefühl haben, dass es ihr leidtat hier wegzugehen. Doch die ganze Zeit fühlte sie sich, als würde ihr jemand stückchenweise das Herz herausschneiden.

      Auch in Rayan tobten die Gefühle wie einer dieser Sandstürme, die alles mit sich rissen. Wie gerne hätte er Carina am Aufbruch gehindert, sie in die Arme geschlossen und ihr gesagt, dass er keine andere Wahl gehabt hatte. Dass auch er nur ein Opfer der Umstände war, welches im Moment nichts anderes tun konnte, als den Forderungen der Erpresser Folge zu leisten.

      Stattdessen stand er still, wie die stolze Statue eines der Helden aus alten Tagen, und beobachtete, wie der Trupp immer kleiner wurde, bis er schließlich in den Durchbruch im Felsen verschwand, der den Eingang ins große Tal von Zarifa bildete. In Gedanken segnete er Carina und ihre Begleiter und bat Allah um Schutz für ihren Weg durch die Wüste.

      Nihat hatte eines ihrer Satellitentelefone mitgenommen, über welches er Hanif über den Verlauf ihrer Reise informiert halten würde. Er hing noch fünf weitere lange Minuten seinen Gedanken hinterher, dann riss er sich zusammen.

      Es ging um das Leben von Tahsin – seinem Sohn - und Jassim, seinem Leibwächter. Seine persönlichen Belange mussten hinten anstehen, wollte er sie retten.

      September 2014 – Tal von Zarifa – Reisevorbereitungen

      Tahsin war wohlbehalten in seinem Internat in Eston Castle in England angekommen. Er hatte keine Ahnung von der Gefahr, in der er schwebte, und das sollte auch so bleiben. Rayan wollte nicht, dass sein Sohn sich Sorgen machte. Außerdem schütze ihn im Moment noch die Unwissenheit. Je weniger er wusste, desto geringer war die Chance, dass die Unbekannten ihn angriffen. Schließlich war der Vater das Primärziel, der Sohn nur Mittel zum Zweck. Rayan würde Tahsin daher erst einweihen, wenn es sich überhaupt nicht mehr vermeiden ließ.

      Jassim hatte den Sohn des Scheichs auf dessen Befehl hin den ganzen Weg von Zarifa nach England begleitet, im Schloss abgeliefert, danach war der Kontakt zu ihm abgebrochen. Rayan hatte am Vorabend mit Tahsin telefoniert, der ihm einige Episoden von ihrer Reise berichtet hatte, ansonsten aber völlig normal geklungen hatte. Der Leibwächter dagegen hätte sich nach seinem Aufbruch aus Eston Castle auf dem Rückweg melden sollen und Rayan hatte inzwischen mehrfach vergeblich versucht, ihn anzurufen. Sein Satellitentelefon blieb unbeantwortet, es klingelte durch.

      Und dann war die E-Mail gekommen:

      „Wir haben Jassim, und wenn du nicht genau das tust, was wir dir sagen, dann schicken wir ihn dir in Einzelteilen zurück.

       Außerdem haben wir eine Person unseres Vertrauens in Eston Castle. Wenn du nur einen Schritt von dem Weg abweichst, den wir dir vorgeben, dann stirbt dein Sohn auf die gleiche Weise wie seine Mutter.

       Als Zeichen deines guten Willens mit uns zusammenzuarbeiten, schickst du auf der Stelle deine kleine ungläubige Freundin nach Hause. Keine Angst, an ihr sind wir nicht interessiert, also werde sie los – morgen noch. Sonst interessieren wir uns in Zukunft vielleicht doch noch für sie.

       Wenn du tust, was wir sagen, wird keinem anderen etwas passieren - wir wollen DICH, und nachdem du in Dubai mehr Glück als Verstand gehabt hast, haben wir uns jetzt etwas anderes einfallen lassen.

       Der arme Khalid Raisuli, letzten Endes war er nur unser Werkzeug.

       Jetzt tu‘ genau, was wir sagen und halte ansonsten die Füße still. Bleib, wo du bist.

       Wir melden uns wieder.“

      Diese E-Mail änderte alles. Rayan hatte zusammen mit seinem langjährigen Gefährten Hanif und seiner Adoptivmutter Julie kurz in Erwägung gezogen, Carina ins Vertrauen zu ziehen und ihr den Grund für ihre Abreise zu erzählen, doch war die Gefahr zu groß, dass sie dann ebenfalls ins Visier der Erpresser kommen würde.

      Freilich konnte er sich nicht zu hundert Prozent darauf verlassen, dass Carina auf diese Weise sicher war, doch hoffte er, dass sein Gespür ihn nicht getrogen hatte.

      Und so hatte er der Frau, die er liebte, kurzerhand eine Lüge über Leila aufgetischt, die angeblich hier die Frau des Hauses sei und bereits auf dem Weg hierher sei. Natürlich hatte es Carinas Stolz nicht zugelassen, dass sie auch nur einen Moment länger hierblieb.

      Rayan grübelte noch einmal darüber nach, wie einfach es gewesen war, Carina diese Lüge glaubhaft zu machen. Er wusste, dass er überzeugend sein konnte, wenn er es wollte. Aber kannte sie ihn denn immer noch nicht gut genug? Hatte er ihr nicht in den letzten Tagen bewiesen, wie viel sie ihm bedeutete? Wieder hatte er einen Moment lang das Gefühl, eine eiskalte Hand krampfe sich um sein Herz. Er seinerseits kannte Carina gut genug, um zu wissen, dass es nicht leicht sein würde, sie davon zu überzeugen, ihm diese Abfuhr jemals zu verzeihen, selbst wenn sie später irgendwann die Wahrheit erfuhr.

      Er seufzte. Dafür hatte er jetzt keine Zeit, er musste einen Schritt nach dem anderen machen.

      Er ging aus seinem Schlafzimmer hinaus in das nebenan liegende Büro. Auch in diesem Raum gab es eine Fensterscheibe, die über die ganze Breite der Wand ging und eine uneingeschränkte Aussicht auf den hinter dem Haus liegenden Garten bot, der wie eine blühende Oase im Kontrast zu den dahinterliegenden schroffen Felsen des Talkessels stand. Doch er hatte heute keinen Blick für die Schönheiten, die dieses Panorama bot.

      Er setzte sich an seinen Schreibtisch aus poliertem dunklem Holz und drückte den Knopf, der das Computerterminal aus der Tischplatte herausfahren ließ.

      Dann checkte er zunächst seine E-Mails. Keine neuen Nachrichten, zumindest keine, die ihm im Moment weiterhelfen würden. Weder hatte sich Jassim auf diesem Wege gemeldet, noch gab es weitere Neuigkeiten von den Erpressern. Aber das hatte er auch nicht wirklich erwartet.

      Als Nächstes griff er zum Telefon und machte sich daran, die Liste abzutelefonieren, die er in seinem Kopf hatte. Rayan war ein geschickter Stratege, der seine Gefühle völlig ausschalten konnte.

      Erstens rief er noch einmal seinen technisch begabten Freund in Amerika, Cho, an. Der japanisch-stämmige Amerikaner hatte das Tracking des Satellitentelefons