Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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jedoch gestand er sich ein, dass er dem Thema lediglich auswich, weil es ihm unangenehm war. Er wusste, dass es der sehnlichste Wunsch seines Vaters gewesen war, dass sie sich gut verstünden und so etwas wie Brüder würden.

      Also zuckte er resignierend die Achseln und fragte Hanif: „Bist du sicher, dass du das alles wissen willst? Ich möchte nicht deine guten Erinnerungen an meinen Vater mit schlechten Gedanken vergiften. Du musst das verstehen: Ich habe dir gerade gestanden, dass ich dich um die schönen Jahre mit meinem Vater beneide. Gerade deshalb will ich nicht derjenige sein, der nun ein ungünstiges Licht auf ihn wirft. Man redet nicht schlecht über die Toten.“

      Doch Hanif nickte überzeugt: „Ich möchte es endlich verstehen.“

      Also begann Rayan zu erzählen: „Die einzigen schönen Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, stammen aus der Zeit vor dem Tod meiner Mutter. Da war ich keine sieben Jahre alt. Ab diesem Moment hat sich alles verändert.

      Freunde hatte ich nie welche, denn ich war für alle nur der Ehrgeizling, der immer alle übertreffen musste, immer besser als die anderen sein wollte. Wie habe ich das gehasst! Aber das war IHM egal.

      Wenn du ehrlich bist, hast du mich auch so gesehen, nicht wahr?“

      Hanif nickte verlegen. Er konnte sich gut an seine Kindheitserlebnisse mit Rayan erinnern.

      Rayan nickte zufrieden über diese Bestätigung und fuhr fort: „Doch das war niemals ich selbst – es war ER, der mich dazu gezwungen hat.“

      Er hielt wieder einen kurzen Moment inne, als überlege er seine nächsten Worte. „Du hast mich vor einigen Jahren einmal gefragt, warum ich mein Büro in Zarifa oben im ersten Stock habe, wenn doch die Bibliothek unten viel größer ist und mehr Platz bieten würde. Die Antwort lautet: weil ich diesen Raum hasse! Es ist das ehemalige Büro meines Vaters. Dort war ich damals nur aus einem einzigen Grund: weil er mich zu sich befehlen ließ. Um mir zu sagen, wo ich versagt hatte und welche Strafe er sich deshalb für mich ausgedacht hat. Er war darin sehr erfinderisch. All die Male, als ich nicht zusammen mit den anderen Jungen meines Alters an Ausflügen oder anderen Aktionen teilnehmen durfte. Und dann ließ er mich von seinem persönlichen Diener verprügeln. Er machte sich nie selbst die Hände schmutzig. Ich kann und will mich nicht mehr daran erinnern, wie viele Male ich noch am folgenden Tag kaum laufen konnte …und so begann ich bald nicht nur den Raum, sondern IHN zu hassen.

      Der Tag, an dem ich weggelaufen bin, ist mir noch gut in Erinnerung. Ich hatte beim Kampftraining wieder einmal nicht gut genug abgeschnitten. Zwar war ich der Schnellste beim Laufen, doch hatte ich vor lauter Eile zu oft danebengeschossen. Als Strafe sollte ich die Ställe ausmisten, anstatt mit den anderen Jungen einen schon lange geplanten Ausflug zu machen. Ich wäre - wie so oft - der Einzige gewesen, der nicht dabei war und alle hätten - wieder einmal! - gedacht, ich wäre zu arrogant, um mitzukommen. Da ist etwas in mir zerbrochen. Ich denke, es war das letzte bisschen Respekt, das ich noch vor ihm hatte. Ich habe ihn angeschrien. Vor seinen Männern. Ein böser Fehler! Das Andenken an die Ohrfeige die er mir versetzt hat, habe ich noch heute im Gesicht. Von seinem Rubinring.“ Rayan wies mit dem Zeigefinger auf die etwa einen Zentimeter lange strichförmige Narbe auf seiner rechten Wange.

      „Für den nächsten Morgen hat er mir dann wieder eine unserer ‘speziellen ‚Unterredungen‘ angekündigt. In dieser Nacht habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Und ich hatte nicht die Absicht, jemals zurückzukehren.“

      Lange Zeit schwiegen beide. Hanif versuchte, sich vorzustellen, was er getan hätte. Außerdem dachte er an seine Zeit mit Scheich Sedat Suekran zurück. Wie anders war er dieser zu ihm gewesen!

      Da fühlte er den prüfenden Blick Rayans auf sich und sah auf, er lächelte seinen Herren an: „Ich danke Euch für das Vertrauen, dass ihr mir diese Geschichte erzählt habt. Es bedeutet mir viel.“ Und das meinte er auch genauso, wie er es sagte.

      September 2014 – Cityairport London – Willkommen im Regen

      Der Zwischenstopp in München zum Nachtanken war ereignislos verlaufen. Zumindest aus Rayans Sicht, der solche Flüge schon öfter gemacht hatte. Für Hanif dagegen war diese Art des Reisens neu. Während des Tankvorgangs wurden sie in einer Limousine zum Gebäude gefahren und im VIP-Bereich abgesetzt, wo sie sich die Füße vertreten konnten. Rayan hatte außerdem eine Friseurin bestellt, die ihnen die Haare schnitt.

      Rayan nutzte die Abwechslung, um mit der Dame zu flirten, Hanif flüchtete sich wieder in seine Verbissenheit und blickte misstrauisch vor sich hin. Als daraufhin die Friseurin eine Bemerkung machte, dass sein Freund aussehe, wie ein Bär, den die Bienen beim Honigklauen erwischt hätten, musste Rayan lauthals lachen, was Hanif, der kein Wort Deutsch verstand, nur dazu brachte, noch grimmiger zu schauen.

      Bereits nach einer Stunde konnten sie weiterfliegen und nochmals eineinhalb Stunden später landeten sie in London.

      Der Pilot warnte sie schon vor, dass „das typische englische Wetter“ herrsche, und stattete sie mit Schirmen aus.

      Hanif hatte schon aus dem Flugzeug heraus den heftigen Regen bewundert. Er war fasziniert.

      Doch als sie ausstiegen und ihnen die für Ende September schon durchaus empfindlich kalten Temperaturen entgegen schlugen, verbunden mit Windböen, die den Regen teilweise quer von der Seite kommen ließen, legte sich auch seine Begeisterung.

      Die wenigen Schritte aus dem Flugzeug heraus bis zur bereits wartenden Limousine reichten aus, sie reichlich nass werden zu lassen.

      Hanif schüttelte sich wie ein Hund, grinste aber trotzdem.

      Rayan lächelte: „Willkommen in England - willkommen im Regen“, sagte er auf Englisch.

      Dabei fiel ihm ein, dass er nicht wusste, wie es um Hanifs Sprachkenntnisse stand. Daher wechselte er nun die Sprache ganz und forderte Hanif auf, ihm ebenfalls in Englisch zu antworten.

      Der machte häufig Fehler, und vor allem die Aussprache ließ zu wünschen übrig, aber Rayan nickte trotzdem zufrieden. Es würde ausreichen, dass er nicht alles für Hanif übersetzen musste.

      Ein erstes kleines Hindernis stellte die Passkontrolle dar. Rayan, jetzt als Yasin und somit amerikanischer Staatsbürger, wurde nach einer kurzen Kontrolle durchgelassen. Hanif als Bürger der Vereinigten arabischen Emirate, der noch keinerlei Einträge in seinem Pass hatte, wurde genau nach seinen Gründen für den Besuch in London befragt. Nachdem Hanif eine derartige Prozedur noch nie mitgemacht hatte, war er völlig überfordert. Sein Englisch, das gerade im Auto noch einigermaßen passabel gewesen war, schien plötzlich völlig verschwunden zu sein. Rayan eilte seinem Begleiter zu Hilfe, indem er ihn zu seinem Kunden erklärte, dem er die Londoner Filiale zeigen wollte. Er könne für ihn bürgen. Mit dieser Erklärung gaben sich die Zollbeamten zufrieden.

      Hanif war die Situation aufs Höchste peinlich. Er war mitgekommen, um seinem Herren beizustehen, nicht dass dieser ihm umgekehrt zur Hilfe eilen musste. Zum ersten Mal fragte er sich, ob Rayan nicht recht gehabt hatte, dass er ihn nicht hatte mitnehmen wollen. Vielleicht hätte er doch nicht so stur sein sollen.

      Kurz nach der Passkontrolle gingen sie weiter zum Schalter der Mietwagenfirma, wo der Angestellte sie bereits mit einem freudigen Grinsen erwartete. Die Piloten hatten vom Flieger aus für ihn bereits eine Vorbestellung platziert. Daher war der Rest der Formalitäten schnell erledigt.

      Als Hanif zusammen mit Rayan in der Tiefgarage ankam, wusste er, wieso der Angestellte derart gut gelaunt gewesen war– Rayan hatte einen nagelneuen Audi R8 V10 für sie reservieren lassen.

      Hanif selbst konnte nicht Auto fahren, er hatte in der Wüste nie die Notwendigkeit gesehen, einen Führerschein zu machen. Er konnte nur reiten wie der Teufel, egal ob es sich um Pferde oder Kamele handelte.

      Aber er kannte natürlich aus Dubai und den anderen arabischen Städten die teuren Sportwagen, die dort im Überfluss gefahren wurden.

      Rayan strich fast liebevoll über die Karosserie des Wagens, dann sprang er voller Vorfreude hinein. Hanif war einen Moment verwirrt, dass sich das Steuerrad auf der rechten Seite