Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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hatte. Keine schlechte Idee, angesichts der langen Strecken, die Rayan immer wieder in der offenen Wüste zurücklegte. So konnten sie im Notfall angepeilt werden. Nie hätte er gedacht, dass er diese Funktion einmal aus diesem Grund würde nutzen müssen.

      Cho informierte ihn, dass der Sender von Tahsin sich innerhalb des Internats befand und sich hier in den üblichen kleinen Schritten bewegte, vermutlich wenn Tahsin den Klassenraum wechselte. Hier in Zarifa war es inzwischen Nachmittag, für Tahsin in England musste aufgrund der vier Stunden Zeitverschiebung gerade Mittagspause sein.

      Der Apparat von Jassim hatte sich dagegen nicht mehr bewegt. Es stand noch immer an der gleichen Stelle in England still, wie heute Morgen, als er die E-Mail bekommen hatte. Gemäß Koordinaten schien dieser Ort ganz in der Nähe von Tahsins Internat sein.

      Diesbezüglich also nichts Neues. Die interessanten Neuigkeiten die Cho hatte, betrafen den E-Mail-Verkehr von und an Zarifa. Es war ihm gelungen, einige Mails zu ihrem Ausgangspunkt zurück zu verfolgen. Diese Information bestätigte Rayans Verdacht über die Identität des Verräters. Er gönnte sich einige Minuten des Nachdenkens, was das bedeutete und wie er vorzugehen hatte, um diese Person auszuschalten.

      Als Zweites rief er seinen Freund Harun Said an. Er hatte ihn vor dreizehn Jahren kennengelernt, als sie gemeinsam dafür gesorgt hatten, dass ihr Widersacher Scheich Yuemnue ein für alle Mal ausgeschaltet wurde. Seitdem trafen sie sich immer wieder, um sich über die neuesten Ereignisse auszutauschen oder unternehmen gemeinsame Reisen. Harun hatte nie vergessen, dass es Rayan gleich doppelt zu verdanken war, dass sein jüngerer Bruder Sarif noch am Leben war. Zum einen hatte der Scheich das Leben des Jungen in einer direkten Konfrontation geschont und dann hatte er ihm nach einer schweren Verwundung medizinische Versorgung gewährt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch offiziell Feinde gewesen waren.

      Harun hatte gute Beziehungen zur saudischen Armee und genau diese Verbindung benötigte Rayan nun. Er wusste, wenn er nach England wollte, musste er schnell sein. Denn wenn Jassim verwundet war, konnten unter Umständen Stunden entscheidend für sein Leben sein. Er aber saß hier in Zarifa fest, von wo aus er alleine bis Alessia sechs Tagesritte benötigte. Harun hörte ihm aufmerksam zu, stellte einige wenige präzise Fragen, und versprach dann, alles Notwendige zu veranlassen. Das war einer der Gründe, warum sich die Männer so gut verstanden – wenn es darauf ankam, hielten beide nichts davon, viele Worte zu verschwenden.

      Als Drittes rief Rayan nochmals seinen Freund und Anwalt Taib Riad an. Mit ihm hatte er gleich mehrere Themen zu besprechen. Zum einen sollte er Mazin wissen lassen, dass Carina auf dem Rückweg war, damit er sich um ihre Flüge und angemessene Unterkünfte für sie in Alessia und Dubai kümmern sollte.

      Des Weiteren sollte er von seiner Seite aus ebenfalls schon einmal alle Kanäle anzapfen, ob es irgendwo Informationen gab, wer ihm schaden wollte.

      Und schließlich würde er endlich das Projekt in Auftrag geben, welches Zarifa besser an die Zivilisation anbinden sollte. Bisher hatte er das absichtlich vermieden, denn hier war sein Zufluchtsort, den er sich bewahren wollte. Es hatte ihm bis dato nichts ausgemacht, dass Zarifa nur zu Pferd oder Kamel nach sechs Tagen Ritt durch die Wüste erreichbar war. Er war technisch bestens angeschlossen. Was brauchte er mehr als seinen Computer, E-Mails, das Internet und sein Hightech-Telefon? Doch nun sah er ein, dass diese langen Ritte nicht mehr zeitgemäß und in einem derartigen Notfall auch äußerst unpraktisch waren.

      Er hatte bereits vor einigen Monaten einmal Pläne für den Bau einer Landebahn in einem Seitental von Zarifa anfertigen lassen. Damit wäre das Gebirge zwar nur für ganz spezielle Flugzeugtypen erreichbar, die mit einer sehr kurzen Landebahn auskämen, und auch die Landung selbst wäre nur für geübte Piloten durchführbar, aber es wäre möglich, Zarifa besser zu erschließen.

      Sein Zögern kam unter anderem daher, dass er bei seinen vielen Einsätzen genügend Erfahrungen gesammelt hatte, um zu wissen, dass auf diesem Wege neben dem Nutzen auch die Gefahr größer würde. Er war sich bewusst, dass er viele Feinde hatte. Was wenn sie sich auf diesem Wege einschleichen konnten? In den undurchdringlichen Bergen rund um das große Tal konnte man sich jahrelang verbergen, wie er von seiner Kindheit aus eigener Erfahrung wusste.

      Aber andererseits war er nun bereit dieses Risiko einzugehen. Er wollte für die Zukunft die An- und Abreise für sich, seine Familie und Freunde verkürzen. Taib sollte das Bauprojekt beauftragen und auch beaufsichtigen.

      Bereits in wenigen Monaten konnte alles fertiggestellt sein.

      Nach diesem Telefonat blieb er noch einen Moment sitzen und überlegte, ob er an alles gedacht hatte.

      Dann rief er als Letztes Julie und Hanif an, und bestellte sie zu sich in sein Büro. Er benötigte ihre Hilfe. Es galt, den Verräter so auszuschalten, dass er seine Hintermänner nicht mehr warnen konnte.

      September 2014 – Tal von Zarifa - Enttarnung des Verräters

      Wenige Minuten später trafen Hanif und Julie in Rayans Büro ein und setzten sich hin. Sie waren ohnehin nicht weit entfernt gewesen, um sofort zur Stelle zu sein, sollte es Neuigkeiten geben.

      Rayan hatte ihnen verboten, Carina beim Abschied zu begegnen, aus Angst, sie würden sich verraten. Das hatte es für Carina noch schwerer gemacht, sie glaubte nun, auch ihre Freunde hätten sie verstoßen.

      Aber genau das war wichtig für Rayans Plan: Ihre Emotionen mussten echt sein, wenn sie das Tal verlies. Der Weg führte sie durch die kleine Stadt und damit unmittelbar am Haus des Verräters vorbei. Cho hatte auf der Lauer gelegen, um zu kontrollieren, woher die E-Mail kam, mit der der Verräter seinen Hintermännern bestätigte, dass Rayan ihre Vorgaben erfüllte.

      Anschließend hatte der Freund ihm die Identität verraten.

      Julie und Hanif staunten nicht schlecht, als sie den Namen hörten. Seine Adoptivmutter stimmte Rayans Plan sofort zu, wie man den Verräter am besten stellen konnte, und verließ daraufhin das Büro, um sich auf den Weg zu machen. Sie ging unter einem Vorwand in die Höhle des Löwen.

      Zehn Minuten später brachen auch Rayan und Hanif auf. Beide waren erfahrene Kämpfer und konnten absolut lautlos sein, wenn sie wollten. Im Dämmerlicht der untergehenden Sonne achtete kaum jemand auf sie. Kurz hielten sie vor dem Haus inne. Dann öffnete Rayan ohne anzuklopfen die Tür und sie traten geräuschlos in den Flur ein. Sie hielten ihre Waffen schussbereit: Rayan seine kurze Armbrust mit den vergifteten Pfeilen und Hanif seine Pistole.

      Sie lauschten einen Moment lang auf die Stimmen der anwesenden Personen im Wohnraum. Da Rayan das Wohnzimmer aus seinen früheren Besuchen hier nur zu gut kannte, konnte er so ausmachen, an welcher Stelle Julie saß.

      Die typisch arabische Ausstattung half ihnen bei ihrem Plan, denn beide würden auf dem Boden auf Teppichen und großen Sitzkissen sitzen, was ein schnelles Aufspringen so gut wie unmöglich machte.

      Julie saß rechts vom Durchgang, ihr gegenüber saß der Verräter.

      Hanif und Rayan wechselten einen kurzen Blick, dann traten sie lautlos in den Raum ein.

      „Guten Abend Sachra“, sagte Rayan mit kalter Stimme. Die junge Frau zuckte zusammen. Sie hatte gerade Julie Tee einschenken wollen und sich daher auf das flache Tischchen vor ihr konzentriert.

      Als sie sie Waffen in den Händen der beiden Männer erkannte und dazu Rayans Gesicht sah, wurde sie blass. Ihr war sofort klar, dass man ihr auf die Schliche gekommen war. Doch überraschend schnell fasste sie sich und sagte ironisch: „Guten Abend großer Scheich, was verschafft mir die Ehre Eures späten Besuches?“ Sie grinste dabei höhnisch.

      Kopfschüttelnd antwortete Rayan: „Einmal Rebell, immer Rebell, nicht wahr, Sachra?“

      Das Gesicht der Angesprochenen verzog sich hasserfüllt: „Das Kompliment kann ich zurückgeben: wie der Vater, so der Sohn, was? Dein Vater war ein Tyrann und genauso bist du einer. Ein Tyrann und Mörder!“

      September 2014 – Tal von Zarifa – Ende einer langjährigen Freundschaft

      Als