Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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entspannen konnte. Hier würde niemand sie angreifen. Lediglich die offensichtliche Abneigung zwischen Harun und Hanif hatte ihm ab und zu ein wenig Kopfzerbrechen bereitet.

      Ganz wie sein Vater es ihm vorausgesagt hatte, hatte Rayan viele Gemeinsamkeiten mit Hanif entdeckt und langsam – ganz langsam - wurde aus dem Zwang durch den Eid und den anfänglichen Hass vonseiten Hanif eine stabile Verbindung.

      Harun dagegen weigerte sich, Hanifs Vorzüge zu sehen. Er wusste genau, dass sie sich ohne Rayans Zutun, wenn es nach Hanif gegangen wäre, erbittert bekämpft hätten. Außerdem war er damals so dicht am Geschehen gewesen, dass er den wahren Grund für Scheich Sedats Verwundung während der Kämpfe zumindest ahnte. Damals hatte Hanif aus Eifersucht mitten im Kampfgeschehen hinterrücks auf Rayan geschossen. Im letzten Moment hatte sein Vater sich schützend über seinen Sohn geworfen und war seitdem gelähmt. Statt Hanif zu bestrafen, hatte er ihm den Eid abgerungen, sich in Zukunft voll und ganz dem Schutze Rayans zu verschreiben und sich lebenslang in dessen Dienste zu stellen. Im Gegenzug hatte niemals jemand von dem feigen Attentat erfahren. Doch Harun schien diese Geschichte zu ahnen. Er zeigte jedoch seinen Respekt Rayan gegenüber, indem er niemals weiter nachfragte und Hanif Rayan zuliebe zumindest duldete. Aber er würde ihn wohl nie schätzen.

      Rayan riss sich von diesen Gedanken los, denn ihm waren auf einmal diese Spuren wieder aufgefallen. Hier waren am Vortag Reiter gewesen. Durch den immerwährenden Wüstenwind, war es nicht leicht, noch etwas zu erkennen, doch wenn man wusste, wo man suchen musste, war es für einen erfahrenen Mann möglich.

      Er konnte nicht genau sagen, warum ihn die Fährte beunruhigte. War es die Anzahl der Reiter, die er auf etwa zwanzig schätzte? Oder die Art, wie sie sich bewegt hatten?

      Rayan beruhigte sich damit, dass sie in weniger als einer Stunde in der nächsten Oase ankommen würden, da war es nicht ungewöhnlich, dass mehrere Spuren dorthin führten. So war die Wüste: Das Leben bewegte sich anhand des Wassers fort – die üblichen Handelsrouten führten von einer Wasserstelle zur anderen.

      Trotzdem befahl er seinen Männern, ihre Gewehre bereitzuhalten. Der ein oder andere tauschte zwar einen fragenden Blick mit seinem Nebenmann aus, aber alle folgten sofort der Anweisung.

      September 2014 – Flughafen von Alessia – Wiedersehen mit Leila

      Rayan freute sich, Leila wiederzusehen. Er sah sie ohnehin viel zu selten. Doch ihnen blieb nicht viel Zeit und so erzählten sie Leila nur kurz, was sich ereignet hatte.

      Sie befanden sich zu dritt in dem Zimmer, das Leila gemietet hatte. Sie hatte diverse Hygieneartikel mitgebracht, damit sich die beiden Männer waschen und rasieren und europäische Kleidung anziehen konnten. Auch diese hatte Leila für sie gekauft. Die Größe Rayans kannte sie ohnehin, Hanifs Größe hatte sie kurzerhand geschätzt. Da er mit 1,82 m nur wenige Zentimeter kleiner war als Rayan, ansonsten aber eine sehr ähnliche Statur hatte, fiel ihr dies nicht schwer.

      Da das Zimmer nur ein Bad hatte, ging zunächst Rayan unter die Dusche und rasierte sich. Als er etwa eine halbe Stunde später wieder herauskam, war er überrascht, Hanif und Leila in ein angeregtes Gespräch vertieft vorzufinden.

      Beide hielten sofort inne, als er den Raum betrat, als fühlten sie sich ertappt. Rayan beschloss, so zu tun als hätte er dies nicht bemerkt und Hanif beeilte sich, ins Badezimmer zu kommen.

      Der Scheich überlegte für sich, warum ihm das Bild von Hanif und Leila gemeinsam im Gespräch so ungewohnt vorkam. Dann dachte er nach, wann Hanif und Leila sich zum letzten Mal gesehen haben mochten und er konnte kein Ereignis in den letzten Jahren festmachen. Hanif war 2002 dabei gewesen, als sie Leila gerettet hatten, aber seitdem hatte er, immer wenn sie gemeinsam in Alessia waren, vorher um Erlaubnis gebeten, sich für die Zeit ihres Aufenthaltes entfernen zu dürfen, da er seine Verwandten in Alessia besuchen und dort schlafen wollte.

      Was für Verwandte hatte Hanif eigentlich in Alessia? Rayan hatte sich nie viel dafür interessiert, wie er nun zugeben musste. Alessia hieß für ihn bei Leila sein, was ihn meistens von anderen Themen ablenkte. Dunkel erinnerte er sich daran, dass Hanif eine Tante erwähnt hatte. Die Schwester seines verstorbenen Vaters und ihre beiden Töchter. Aber die mussten inzwischen auch längst erwachsen sein. Eigenartig - er verschob den Gedanken auf später und nutzte die Zeit, die ihm noch mit Leila verblieb, um sich über die neuesten Ereignisse auszutauschen.

      Hanif benötigte nur etwa 20 Minuten, dann kam er geduscht, rasiert und neu eingekleidet aus dem Badezimmer.

      Rayan musterte ihn verblüfft. Ihm fiel auf, dass er Hanif noch nie zuvor in europäischer Kleidung gesehen hatte. Und er musste zugeben, dass Hanif unverschämt gut aussah. Noch dazu, weil er etwas verlegen lächelte, was ihm ein jugendhaftes Aussehen verlieh, das in starkem Kontrast stand zu seinem sonst oft so verbissenem Gesichtsausdruck.

      Seine einwandfreien, auffallend weißen Zähne blitzen. Sie bildeten einen schönen Kontrast zu seinem dunklem, ebenmäßigem Teint und den dunkelbraunen Haaren, die etwas heller als die von Rayan waren. Seine Augen hatten fast die gleiche Farbe wie seine Haare, ein warmes braun, das erst jetzt, durch sein offenes Lächeln richtig zu Geltung kam.

      Leila hatte wieder einmal ihren hervorragenden Geschmack bewiesen und für ihn einen schwarzen Anzug und ein dezent rotes Hemd gekauft. Beides stand ihm hervorragend.

      Gerade wollte Rayan diesbezüglich eine Bemerkung machen, da fiel sein Blick auf Leila, und schon wartete die nächste Überraschung auf ihn: Leilas Wangen waren leicht gerötet und sie musterte Hanif mit einem Blick, der mehr sagte als tausend Worte – offenbar hatte sich Leila gerade bis über beide Ohren verliebt.

      Einen Moment lang verspürte Rayan einen kalten Stich – eine Welle der Eifersucht durchfuhr ihn. Er sah nun Hanif an und registrierte, dass dieser Leila ebenfalls nicht aus den Augen lassen konnte. Und die beiden bemerkten noch nicht einmal, wie auffällig sie sich anstarrten. Sie hatten seine Anwesenheit total vergessen. Eine neue Erfahrung für Rayan, die er erst einmal verdauen musste. Dann musste er ein wenig gegen seinen Willen grinsen. Eigentlich konnte er sich für die beiden doch freuen. Wenn Leila endlich einmal einen ebenbürtigen Partner finden würde, wollte er ihr nicht im Wege stehen.

      Doch das musste bis später warten, jetzt hatten sie andere, dringendere Probleme.

      Und so stand er demonstrativ auf, packte die Tasche zusammen, die Leila für ihn mitgebracht hatte, und riss die beiden so aus ihrer Trance.

      Rayan hatte kurz nach ihrer Ankunft schon mit den beiden Piloten seines Jets telefoniert und wusste, dass sie sofort abfliegen konnten.

      Er verabschiedete sich von Leila mit einem Kuss auf die Stirn und lächelte in sich hinein, als Hanif Leila etwas ungeschickt die Hand gab, was wiederum bewirkte, dass beide rote Wangen bekamen. „Die stellen sich an wie die Teenager“, dachte er für sich und lächelte.

      Dann wurde er wieder ernst. Es war etwa zwei Uhr am Nachmittag, als sie eilig an Bord des Learjet gingen, der sie in Richtung England bringen würde.

      Mai 2002 – Große Wüste – Unbarmherzige Verbrecher

      Als sie sich endlich der Oase näherten, ordneten sie sich in einer breiten Formation an – so würden sie nicht so leicht zu überrumpeln sein.

      Doch als sie den Rand der Düne erreicht hatten, die das Tal um die Oase begrenzte, sahen sie bald, dass ihren hier keine Gefahr mehr drohte. Aber auch, dass Rayan wieder einmal recht gehabt hatte, als er sie in Alarmbereitschaft versetzte.

      Einer der Männer sagte halblaut: „Wie macht er das nur immer? Woher weiß er diese Dinge?“ Doch auch die anderen Reiter hatten dafür keine Erklärung, ihnen war es nur recht, dass ihr Scheich ihnen ein Schicksal ersparte, wie es dem armen Händler in der Oase ergangen war:

      Der Reitertrupp hatte offenbar bereits gestern angegriffen und fast alle Männer, die sich in der Oase befunden hatten, niedergestreckt. Erst beim Näherkommen konnten sie erkennen, dass unter den Leichen auch Frauen waren.

      „Schnell – schwärmt