Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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      Eine kleine Felsformation bot ihnen Sichtschutz, sodass man ihr kleines Lager selbst mit einem Fernglas von der Stadt aus nicht würde sehen können. Selbst abends, wenn sie Feuer machten, um zu kochen.

      Es war fast schon dunkel, als Mohammed zurückkam.

      „Die Stadt ist unglaublich gut befestigt. Keine Chance da rein oder raus zu kommen, wenn sie die Tore erst einmal dichtmachen. Sie sind Fremden gegenüber ziemlich misstrauisch, denn sie wissen wohl genau, dass die Herkunft der einen oder anderen Frau und auch der Waren nicht rechtlich einwandfrei sein kann. Andererseits treiben sich viele Fremde aufgrund des anstehenden Marktes zurzeit dort herum. Aber wenn wir alle auf einmal dort hinkommen, passiert genau das, was ihr, Herr“, er verneigte sich kurz in Richtung von Rayan, „gestern schon vermutet habt – dann schlagen sie Alarm. Wenn, dann können wir da nur einzeln hin.“

      Mohammed holte einen Moment Atem; er war schnell geritten, um noch vor der Dunkelheit wieder bei ihnen zu sein. „Der Markt ist übrigens morgen früh. Die Sklavinnen werden auf einem kleinen Platz am Südtor angeboten, das ist das Tor auf der von uns abgewandten Seite.“ Hanif schnaubte laut vernehmlich, am liebsten wäre er mit brennenden Fackeln sofort losgezogen. Rayan legte ihm beruhigend die Hand auf seinen Arm.

      Mohammed fuhr fort: „Dort lagern übrigens auch unsere Räuber. Sie sind wohl ebenfalls misstrauisch, was passieren könnte, wenn sie mitten in der Stadt sind. Jemand hat mir erzählt, dass sie einmal im Jahr kommen, immer um diese Zeit. Und jedes Mal lagern sie einige Hundert Meter vor dem Südtor. Dann haben sie es am betreffenden Tag nicht so weit und können auch schnell wieder heraus.“

      Rayan nickte Mohammed lobend zu „Ich danke dir, das hast du sehr gut gemacht!“

      Der Angesprochene richtete sich stolz auf, seine Augen leuchteten im Feuerschein. Was für eine Auszeichnung vor Allen anderen von ihrem Herrn so herausgestellt zu werden!

      Einen Moment lang dachte Rayan nach. Dann fasste er seinen Entschluss: „Mohammed, du gehst morgen mit zwei weiteren Männern voran. Danach gehst du, Ibrahim, ebenfalls mit zwei weiteren Männern. Ich reite zusammen mit Hanif direkt außen herum zum Südtor. Dabei können wir einen Blick auf das Lager unserer ‚Freunde‘ werfen. Wir sind dann drinnen zu acht. Wir sollten uns verteilen, dann können wir uns im Notfall den Weg freikämpfen.“ Er hielt kurz inne. Es war von hier aus schwierig abzuschätzen, ob der Plan im Ernstfall wirklich erfolgreich wäre, doch er versuchte, Zuversicht auszustrahlen. „So und nun lasst uns essen und so schnell wie möglich schlafen gehen, wir müssen früh raus.“

      Er ging schon ein Stück in Richtung zu seinem Zelt, dann wandte er sich an seinen Leibwächter: „Ibrahim du teilst wie üblich die Wachen ein, dann kommst du noch einmal zu mir.“

      Rayan war aufgefallen, dass Ibrahim während der Einteilung der Teams für den morgigen Tag die Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte. Ihm war klar gewesen, dass es seinem Freund nicht gefallen würde, nicht selbst mit Rayan zu reiten, doch er hatte vor den Männern nichts sagen wollen. Das war auch besser so, denn wenn man Rayan eine Schwäche vorhalten konnte, war es seine Empfindlichkeit, wenn Untergebene ihm in der Öffentlichkeit widersprachen. Er unterstützte, dass seine Männer, vorwiegend seine Gruppenführer, ihm ihre Meinung offen sagten. Doch immer unter vier Augen, niemals vor den anderen.

      Rayan hob abwehrend die Hand, als Ibrahim wenig später förmlich ins Zelt gestürzt kam. „Ich weiß, ich weiß, du willst lieber mit mir reiten. Das geht aber nicht. Hast du nicht gesehen, wie Hanif sich schon die ganze Zeit benimmt? Er ist eine tickende Zeitbombe. Die Erinnerung an seine Vergangenheit macht ihm wohl zu schaffen. Am liebsten würde ich ihn morgen ganz hierlassen, aber das ist dann auch keine Garantie, dass er nicht doch noch etwas Dummes macht. Ich will ihn im Auge behalten. Also werde ich morgen mit ihm reiten – alleine! Und ihm auf dem Weg noch einmal ins Gewissen reden.“

      Ibrahim war noch immer nicht überzeugt, gab sich aber geschlagen. Er hasste es, wenn Rayan ohne ihn loszog. Rayan lächelte. Manchmal fühlte er sich fast ein wenig zu sehr bemuttert durch seinen alten Freund.

      September 2014 – Flughafen von Dubai – Mazin

      Auch am Flughafen von Dubai wartete eine Überraschung auf Carina. Sie wollte achtlos durch die an der Ankunft wartenden Menschen gehen, als sie ihren Namen hörte.

      Einen Moment dachte sie, es müsse jemand anderer gemeint sein, doch dann erkannte sie den Mann, der sie erwartet hatte.

      „Was denn – es gibt Rundumbegleitung?“, dachte sie ironisch.

      Jamal hatte ihr am Nachmittag ein Taxi gerufen, das sie zum Flughafen in Alessia brachte. Der Fahrer hatte kein Geld von ihr angenommen, alles sei bereits bezahlt. Ihr konnte es recht sein.

      Nach ihrer Landung wollte sie eigentlich vom Flughafen Dubai ebenfalls per Taxi in ihr altes Hotel in der Nähe des Gewürzmarktes zurückkehren, um dort nach einem Zimmer zu fragen oder zumindest ihre dort eingelagerte Tasche zu holen. Doch offenbar hatte jemand eine andere Planung gemacht. Langsam fragte sie sich, welche Überraschungen es wohl noch geben würde.

      „Mazin, was machen Sie denn hier?“, fragte sie höflich, als der Mann schließlich auf Sie zukam. Er war es gewesen, der ihr in Rayans Auftrag damals an diesem selben Flughafen ihre Kette mit dem Emblem von Zarifa überreicht hatte. Das schien Jahre her zu sein!

      „Miss Carina- wie verändert sie aussehen. Ganz wunderbar!“, begrüßte Mazin sie und neigte kurz den Kopf zum Gruß.

      „Und wie weit Sie herumgekommen sind - ich habe Ihnen doch gesagt, dass das Amulett ihnen helfen wird“, grinste er dann. Carina lächelte tapfer: „Und wie, ja“, aber sie dachte bei sich „und was habe ich nun davon?“

      „Ich habe ein Hotelzimmer für Sie organisiert. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.“

      Carina wollte erst protestieren, aber dann sagte sie sich, dass sie so wenigstens sicher ein Zimmer hatte. Ihre Tasche lag nun bereits so lange in ihrem vorherigen Hotel, dass es auf ein paar Stunden auch nicht mehr ankam.

      Mazin brachte sie zu seinem Fahrzeug, einem BMW 760iL, an dem bereits der Chauffeur ihr Kommen erwartete und ihnen eifrig die Türen aufhielt.

      Sie fuhren ins Finanzzentrum der Stadt, Carina glaubte die Strecke zu kennen von der Taxifahrt, als sie damals den Anwalt Taib Riad besucht hatte.

      Auf ihre Frage hin entgegnete Mazin: „Das ist richtig, Sie haben einen guten Orientierungssinn. Ja unser Freund Taib!“, er lachte. „Er hat mir von ihrem Besuch in seiner Kanzlei vor einigen Wochen erzählt. Er sagte, wenn Sie nicht das Amulett gehabt hätten, hätte er Sie postwendend wieder rauswerfen lassen und sich gar nicht erst die Mühe gemacht mit Ihnen zu sprechen. Er war ganz schön aufgebracht deswegen, denn die Kette war überhaupt der Grund, warum Sie bis in seine geheiligten Hallen gekommen sind. Sonst hätte Sie der Pförtner gar nicht erst in den Aufzug gelassen.“ Er lachte wieder zufrieden, als hätte er damals persönlich für ihren Zutritt gesorgt.

      Carina war überrascht, sie hatte damals den Eindruck gehabt, als hätte das Amulett ihr kein bisschen geholfen. Sie fasste sich kurz an den Hals, um zu sehen, ob es noch an seinem Platz war. Nach ihrer überstürzten Abreise aus Zarifa wollte sie es zuerst wütend wegwerfen, hatte es aber dann doch nicht fertiggebracht, es auch nur abzunehmen. Bei all dem Glück, das sie gehabt hatte, bis sie nach Zarifa gekommen war, hatte sie es als eine Art Talisman lieb gewonnen. Nicht einmal nachts legte sie die Kette ab.

      Nach nur 20 Minuten Autofahrt waren sie am Ziel. Mazin brachte sie sogar persönlich bis ins Hotel hinein und erkundigte sich beim Empfang, ob alles gemäß seinen Anweisungen vorbereitet worden war, was der Mann an der Rezeption mit einem eifrigen Nicken und einer Verbeugung bestätigte.

      „Jetzt muss ich mich leider auf den Weg machen, Miss Carina. Ich habe dringende anderweitige Verpflichtungen. Man wird ihnen ihr Zimmer zeigen und ihnen auch sonst weiterhelfen, wenn sie etwas benötigen sollten.“ Er reichte ihr eine Visitenkarte, die auf teurem Papier gedruckt war. „Hier können Sie mich erreichen, falls Sie Fragen oder andere Wünsche haben. Machen Sie sich einen schönen