Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


Скачать книгу

eine Bar. Ich werde dort eine Rolle spielen, verstehst du mich? Wenn du kannst, spiel mit, ansonsten bist du still. Kein Wort - verstanden? Ich werde dort einen sehr gefährlichen, aber überaus einflussreichen Mann treffen. Auch wenn er nicht den Anschein macht, dieser Mann ist wichtig für uns. Klar?“

      Und Hanif nickte überzeugend: „Klar.“ Aber in Wirklichkeit fühlte er sich verloren und klar war ihm überhaupt nichts. Welche Rolle? Wofür brauchten sie diesen Mann? Warum fuhren sie nicht einfach los und suchten Jassim?

      Wenige Minuten später hielten sie wie angekündigt vor einer Bar an und es wiederholte sich das Spiel, das Hanif nun schon kannte: Ein Mann, der für das Parken der Autos zuständig war, kassierte einen größeren Schein, um das Auto zu versorgen.

      Kaum öffnete Rayan die Türe, um hineinzugehen, empfing sie laute Musik. Der Raum war nur schlecht beleuchtet und voll von Leuten, die saßen oder standen. An Tischen, in den Ecken, oder einfach an Säulen gelehnt.

      Rayan drängte sich zur Theke durch. Hanif warf einen Blick auf die Uhr, die über dem Spiegel hinter dem Tresen hing: Es war 00.45 Uhr. Als sich der Barkeeper ihnen endlich zuwandte, hörte er aufgrund der Musik kaum, was Rayan für sie bestellte. Kurz darauf stellte der Barkeeper vor ihm eine Cola ab und er war Rayan dankbar dafür, denn zu seinem Entsetzen sah er, dass Rayan für sich selbst eine goldene Flüssigkeit mit Eiswürfeln bestellt hatte.

      Rayan nippte an dem Glas, ohne mit der Wimper zu zucken. Hanif überlegte verwirrt, ob er diese Person noch wieder erkannte. Nicht nur, dass er sich perfekt mit allen Gepflogenheiten auszukennen schien, er trank offenbar auch noch regelmäßig Alkohol.

      Doch sein Gedankengang fand ein abruptes Ende, als sich Rayan plötzlich von der Theke löste und mit dem Glas in der Hand auf einen Mann zusteuerte, der gerade zur Tür hereingekommen war und im hinteren Teil der Bar Platz nahm.

      Hanif war unschlüssig, ob er mitkommen sollte, doch nach kurzem Zögern folgte er Rayan an den Tisch. Der Mann hatte ganz in der Ecke, an der Wand Platz genommen, Rayan setzte sich ihm gegenüber hin. Hanif nahm den Stuhl vorn am Kopfende des Tisches, der eigentlich Platz für fünf Personen bot.

      Aufgrund der lauten Musik und der englischen Sprache verstand Hanif nur einen kleinen Teil des Gespräches, aber immerhin so viel, dass Rayan dem Mann offenbar erklärte, dass er diesmal nicht geschäftlich, sondern rein privat hier sei. Was auch immer geschäftlich zu bedeuten hatte. Hanif beschloss, dass er das gar nicht wissen wollte. Der Mann war nicht übermäßig erfreut Rayan zu sehen, das war unübersehbar, aber sie schienen zu einer Einigung zu kommen.

      Beim Aufstehen sagte er zu Rayan: „Ich warne dich! Ich will keine Sauerei. Eine saubere Rettungsaktion, ohne größeres Aufsehen, dann bist du wieder weg. Ich decke dich bei Problemen, aber mein Verständnis hat Grenzen. Haben wir uns verstanden?“ Als Rayan nur nickte, packte er ihn am Kragen seines Hemdes – „Haben wir uns verstanden?“ und zu Hanifs Entsetzen sagte Rayan nur zahm und fast etwas unterwürfig: „Ja, klar, kein Problem Mister Smith. Ich danke ihnen für ihre Unterstützung. Sie haben etwas gut bei mir.“ Der Andere schien zufrieden und nickte nur: „Gut. Wir haben einen Deal – braver Junge.“ Und als er dann noch Rayan herablassend auf die Wange tätschelte, sprang Hanif mit geballten Fäusten auf. Rayan, der die Gefahr im letzten Moment erkannte, fuhr Hanif auf Englisch an: „Setz dich hin und halt den Mund. Misch dich nicht ein.“

      Smith lachte meckernd: „Wen hast du da mitgebracht? Brauchst du seit Neuestem einen Wachhund? Wirst wohl alt, was?“

      Alle drei standen inzwischen neben dem Tisch. Da blitzte es kurz in Smiths Augen auf und es kam, was Rayan befürchtet hatte: Smith musste seine Macht beweisen. Zu Hanif gewendet sagte er: „Hör zu Wachhund – hier wird gemacht, was ich sage, hast du das verstanden?“ Und um seine sogenannte Überlegenheit zu demonstrieren, legte er Rayan die linke Hand leicht auf die Schulter, als wollte er ihm Mut machen. Doch dann holte er mit der rechten Hand aus und schlug Rayan brutal in den Magen. Der hatte den Schlag kommen sehen, und war in der Bewegung mitgegangen. Außerdem verhinderte ein Anspannen seiner Bauchmuskeln einen schlimmeren Impact. Hanif war blass geworden. Noch nie hatte er erlebt, dass ein Mensch auf Erden es wagte, mit seinem Scheich derartig respektlos umzugehen. Smith sah seinen Gesichtsausdruck, grinste gemein, und schlug nochmals zu. Diesmal konnte Rayan den Schlag nicht mehr abfangen. Er knickte in den Knien ein, und nur Hanif war es zu verdanken, dass Rayan nicht zu Boden ging. Smith nutzte die Gelegenheit, sich ohne weiteren Gruß davon zu machen. Jeder weniger trainierte Mann wäre nach diesem direkten Treffer erst einmal ausgeschaltet, jedoch war Rayan fit und erfahren im Kampf. Trotzdem setzte er sich einen Moment hin, um sich zu sammeln. Er hatte weniger mit seinen körperlichen Schmerzen, als mit seinem Ego zu kämpfen. Was bildete sich dieser Smith eigentlich ein? Dieses arrogante Arschloch!

      Vor allem, dass Hanif seine Demütigung miterlebt hatte, missfiel ihm. Mit einem Zug trank er seinen Whisky aus. Dann sprang er ruckartig auf und raunzte Hanif an: „Lass uns gehen.“

      Er war wütend. Richtig wütend. Seine dunkelblauen Augen waren fast schwarz geworden. Nie ein gutes Zeichen. Der Gedanke, dass Hanif seine Demütigung miterlebt hatte, führte ihn sogar noch zu einem weiteren Gedankengang: Hanif war es, der diese Demütigung überhaupt erst verursacht hatte. Verdammt! Er wusste gleich, dass es ein Fehler gewesen war, ihn mit hierher zu nehmen. Na warte, dem würde er etwas erzählen, sobald sie im Auto waren!

      Hanif spürte die Stimmung seines Herrn und hatte zeitgleich in etwa die gleichen Schlussfolgerungen gezogen. Rayan hatte ihn doch gewarnt, dass dies eine Rolle wäre - wie ein Schauspiel. Warum hatte er nur so heftig reagiert? Erst seine Reaktion war es gewesen, die den Anderen herausgefordert hatte. Verdammt. Warum hatte er dann nicht ihn, Hanif geschlagen? Doch die Antwort lag auf der Hand: weil es so viel mehr Wirkung gezeigt hatte. Bei beiden. Wie sagte man hier: „Shit! Bloody Shit!!“

      Ein wenig bekam er es mit der Angst zu tun, als sie die Bar verließen. Er wollte Rayan weiter stützen, doch der schüttelte wütend seine Hand ab. Der Mann auf der Straße musterte sie vielsagend, sie boten wohl ein etwas derangiertes Bild.

      Wortlos nahm er den Schlüssel und warf dabei dem Mann einen Blick zu, dass diesem das Grinsen im Gesicht erstarb. Er knallte die Türe des Autos zu und raste los, sodass Hanif kaum noch Zeit hatte, die Türe auf seiner Seite noch rechtzeitig zu schließen.

      Nach etwa zehn Minuten aggressiver Autofahrt hielt Rayan das Auto abrupt in der Nähe des Flusses Themse an. Er stieg aus und ging ans Wasser. Hanif folgte wenig später und stellte sich neben ihn. Er wusste, es hatte keinen Sinn, das Thema noch weiter hinauszuzögern.

      Rayan hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und starrte ins pechschwarze Wasser des Flusses. Hanif stellte sich neben ihn und wagte nicht zu sprechen, bevor Rayan ihn dazu auffordern würde.

      Rayan seufzte. Die Autofahrt hatte ihm geholfen, einen Teil seiner Wut zu kanalisieren.

      Daher sagte er relativ ruhig, aber doch mit höhnischem Unterton, vor allem bei den ersten beiden Worten: „Vielen Dank – ich denke, dir ist klar, dass es deine Reaktion war, die ihn dazu provoziert hat.“

      Hanif nickte, dann merkte er, dass Rayan das vermutlich im Dunkeln nicht sehen konnte und antwortete: „Ja. Es tut mir leid! Ich wollte nicht …“, ihm fehlten die Worte.

      Rayan atmete tief durch und sagte dann mit immer noch leicht gereiztem Unterton: „Ach, lass es gut sein! Vermutlich habe ich dich auch mit diesem Treffen überfordert. Du hättest im Hotel bleiben sollen. Aber andererseits bist du in letzter Zeit ja reichlich stur, was das Befolgen meiner Befehle angeht, was?“

      Er lachte humorlos, aber es löste ein wenig die Spannung zwischen ihnen.

      Hanif schwieg, denn er wusste nicht, was er hätte sagen sollen.

      Nach einer ganzen Weile, als Hanif sich schon zu fragen anfing, ob Rayan nicht fror bei dieser erbärmlichen, feuchten Kälte, fuhr Rayan ruhiger fort: „Wir sind hier nicht daheim. Hier ist alles anders. Hier bestimmen Politik und andere Regeln das Spiel.“ Er schien einen Moment nachzudenken, wie er Hanif die Situation erklären sollte, dann fuhr er fort: „Du weißt genau, dass ich diesem Clown in der Bar problemlos die Kehle hätte aufschneiden können. Ohne eine Sekunde