Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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Ende der Auktion ausgestellt werden. Das gab ihnen Zeit, erst einmal in Ruhe die Umgebung zu beobachten und sich einen Schlachtplan zu überlegen.

      Der „Auktionator“, ein fetter, aber ausgesprochen großer Mann mit langem schwarzen Bart und schiefen, gelben Zähnen, trat auf die Bühne. Das musste der Beschreibung von Aiman Abdullah nach der Anführer der Entführer sein.

      Ein kurzes Raunen ging durch das Publikum, dann senkte sich gespannte Stille.

      Mit einem breiten Grinsen der Zufriedenheit schaute der Fette in die Runde, er genoss seine Rolle sichtlich.

      „Werte Freunde! Meine Brüder! Wie schön Euch heute hier begrüßen zu dürfen.“ Hanif rollte verächtlich die Augen. „Am meisten freut es mich, einige bekannte Gesichter zu erkennen. Das zeigt mir, dass ihr mit meiner Ware zufrieden seid.“ Er hielt kurz inne und lachte gehässig. Auch die meisten der Käufer grinsten nun. Hanif gab ein verächtliches Zischen von sich, was Rayan dazu veranlasste, mit seiner Hand, die er vorsichtshalber auf Hanifs Schulter gelegt hatte, kurz und heftig zuzudrücken. Sein Gesicht verriet wie üblich nichts von dem was er dachte. Wenn Hanif aber so weitermachte, würden sie auffallen.

      Es folgten einige Minuten, in denen der Mann auf dem Podest in blumenreichen Worten die Qualität seiner „Ware“ anpries und die Regeln für die Bieter erklärte.

      Geboten wurde in amerikanischen Dollar. Er legte einen Mindestpreis fest, danach hing es von den Bietern ab, wie hoch die Summe werden würde, die sie letztendlich zu bezahlen hatten. Rayan war erleichtert, dass der Mann Vertraulichkeit versicherte. Das hieß, niemand musste seinen Namen nennen. Denn bei aller Hilfsbereitschaft war Rayan nicht bereit, dass sein Ruf in Zukunft im Zusammenhang mit Mädchenhandel und Sklaverei stand. Aber während es bei ihm lediglich um seinen guten Namen ging, hatten andere viel mehr zu verlieren, denn sie waren häufig gesuchte Verbrecher. Der Entführer selber war sicher auch kein unbeschriebenes Blatt. Der würde also sicher nicht genauer nachfragen, wohin die Mädchen verschwanden.

      Rayans Gedanken wanderten. Er suchte nach einer Lösung dieser unangenehmen Lage. Er fluchte innerlich. Sein Plan war es gewesen, die Männer vor Erreichen ihres Ziels einzuholen, Leila nachts still und heimlich aus dem Lager zu befreien und sich schleunigst davon zu machen. Das ging nun nicht mehr. Sollte er warten, bis einer der Männer sie kaufte, um dann ihm zu folgen? Was aber, wenn einer der Bewohner der Stadt mitbot? Wie er es hasste improvisieren zu müssen! Er hatte das Gefühl, dass er bei weitem noch nicht genug über die Entführer und diese Stadt wusste. Und sie waren einfach nicht genug Leute um einen direkten Angriff zu wagen. Er zwang sich zur Ruhe.

      Erst wollte er die Übergabe der ersten Mädchen genau beobachten, um dann zu überlegen, wie die beste Vorgehensweise war.

      Hanif versteifte sich, daran merkte Rayan, dass der Monolog beendet war und die eigentliche Auktion begann. Er unterbrach seine Gedanken und konzentrierte sich auf den Mann auf der Bühne.

      „Gleich zu Beginn der Auktion habe ich ein ganz spezielles Angebot für Euch, meine Freunde, meine Brüder! Eigentlich wäre sie der Star der diesjährigen Auktion gewesen, ein ganz besonderer Fisch, der mir ins Netz gegangen ist. Ja, ich möchte fast sagen: eine Meerjungfrau! Sie ist schön wie die See mit Augen so dunkel wie die Nacht. Doch leider hat sie ein Manko: Sie ist keine Jungfrau mehr.“

      Er sagte den letzten Punkt fast verlegen, als schäme er sich, derart „minderwertige Ware“ feilzubieten. Rayan spürte, wie es in Hanif brodelte, und brachte ihn durch ein erneutes, schmerzhaftes Zudrücken an seinem Oberarm zur Ruhe.

      „Seht her – die Königin der Nacht: LEILA“

      Rayan unterdrückte einen Fluch. Soviel zum Plan erst einmal alles in Ruhe zu beobachten!

      Ein Raunen ging durch die Männer, es wurde laut, als sie anfingen zu diskutieren. Vor ihnen stand Leila, lediglich mit einem aufwendig verzierten, doch äußerst knappen BH und einem ebensolchen Slip bekleidet. Der Tüll, den man sonst noch um sie gewickelt hatte und der auch ihr Haar bedeckte, war kaum dazu da, etwas zu verbergen. Sie war barfuß und trug Fesseln an Armen und Beinen.

      Voller Hass starrte sie in die Menge, man konnte an diversen Striemen und blauen Flecken sehen, dass sie geschlagen worden war.

      „Das Mindestgebot ist 500 Dollar – nur zu! Traut Euch. Wie ihr sehen könnt, ist sie ein ganz besonderes Pferdchen. Ich kann Euch versichern, dass sie besser nur an gute Reiter vergeben werden sollte.“ Er lachte wieder dröhnend und Rayan fühlte, dass nun auch er kurz vor einer Kurzschlusshandlung stand. Was war das für ein kranker Mensch?

      Als er noch ein Argument daraufsetzte, gefror Rayan das Blut in den Adern: „Kommt schon! Wer bietet für diese Schönheit? Ich habe sie selbst schon für Euch ein wenig zugeritten!“ Und wieder lachte er, diesmal selbstgefällig. Beim Anblick seines öligen Grinsens dachte Rayan einen Moment lang, er müsse sich übergeben. Er spürte Hanifs Blick und beide sahen sich kurz grimmig in die Augen.

      Auf einmal hob ein älterer Mann in der ersten Reihe die Hand: „fünfhundertfünfzig“

      „Recht so. Ein wahrer Kenner der Schönheiten dieser Erde!“, lobte der selbsternannte Auktionator ihn.

      „Tja, wenn sonst niemand ihre Qualitäten zu schätzen weiß: dann …“

      „Zweitausend Dollar!“, unterbrach Rayan laut.

      Die anderen Männer raunten, wer bot freiwillig so viel Geld für eine Sklavin, die noch dazu bereits entehrt war? Sie blickten sich verstohlen nach Rayan um, doch dessen Gesicht blieb wie eine Maske.

      Die Augen des Entführers blitzten – er konnte schlecht verbergen, dass er sich niemals so viel Geld für Leila erwartet hatte.

      Hanifs Kopf war herumgefahren, als er unerwartet Rayans Stimme direkt neben sich den Betrag hatte nennen hören. Er flüsterte leise und voller Wut: „Das ist also nun unser Plan? Dass wir sie KAUFEN?!“

      Mit einem eisigen Blick brachte Rayan ihn zum Schweigen: „Halt den Mund. Lass sie uns holen und von hier verschwinden, bevor ich mich übergebe.“

      Er drängte sich durch die Menge nach vorne, ging seitlich zu einer kleinen Steintreppe, die vom Podest herunterführte. Dort wartete grinsend der Verbrecher auf ihn. Wortlos reichte Rayan ihm das Geld, er war froh, dass er immer einen größeren Betrag Bargeld bei sich trug. Dann nahm er Leila am Arm, doch sie konnte in ihren Fesseln kaum Laufen. „Hast du keinen Mantel für sie?“, herrschte er den immer noch glücklich grinsenden Verkäufer an, der sich daraufhin beeilte, einen Umhang herbeizuschaffen, den er Rayan reichte.

      Der wickelte den Stoff um Leila, um sie so gut es damit ging zu bedecken. Kurzerhand hob er sie hoch und trug sie die Stufen hinunter.

      „Oh seht doch, wie rührend. Hier haben wir einen Kavalier …“, er und mehrere der Männer lachten. Andere schüttelten den Kopf. Rayan war es egal, nur weg hier. Ganz schnell so viel Distanz wie möglich zwischen sich und diesen kranken Ort bringen!

      Er trug Leila zu seinem Pferd und hob sie hinauf. Einen Moment lang sah sie aus, als wollte sie sich wehren, doch sie war klug genug, dass sie ebenfalls froh war, wegzukommen. Es konnte ja nur besser werden!

      Rayan stieg hinter ihr auf sein Pferd und ritt ohne sich umzusehen los. Hanif folgte ihm.

      „Keine Angst. Dein Vater schickt uns. Wir bringen dich zurück!“, raunte Rayan ihr leise ins Ohr.

      Leila wusste nicht, ob sie diesem Unbekannten glauben konnte. Sollte das wahr sein? Aber welchen Grund sollte er haben, sie anzulügen? Ihr Herz begann, schneller zu schlagen und eine leise Hoffnung keimte in ihr auf. Würde sie aus dem Albtraum der letzten Tage doch noch erwachen?

      Ohne ein Wort ritten sie zu dritt bis ins Lager. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, keiner wollte das gerade Erlebte ansprechen – dazu war es noch zu früh.

      September 2014 – London - Nächtliche Treffen

      Rayan und Hanif ließen sich ihren sportlichen Audi vom Hotelangestellten bringen und fuhren ins nächtliche London.