Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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du bist meine Freundin? Was glaubst du würde dein Ehemann dazu sagen, wenn er davon wüsste? Er hat sein Leben für meines gegeben - Dein Verrat entehrt seine Heldentat!“

      „Sprich du nicht von Ehre! Du Monster hast mir alles genommen. Meine besten Jahre und nun auch noch die Liebe meines Lebens.“

      Rayan sah sie verständnislos an, was ihr die Zeit gab weiterzusprechen: „Warum bist du nicht dort geblieben, wo auch immer du dich verkrochen hattest? Sedat war ein zahnloser Tiger, harmlos auf seine alten Tage. Dann bist du gekommen und hast uns „gerettet“ – die wundersame Auferstehung. Dass ich nicht lache! Und seitdem hatte Ibrahim keine Augen mehr für mich. Es hieß nur noch: ‚Rayan dies, Rayan das. Unser Heilsbringer!‘ Und ich habe hier auf meinen Mann gewartet, stundenlang, wochenlang. Ich wusste niemals wann und ob er überhaupt zurückkehren würde. Bis neulich, als es dann wirklich soweit war.“ Sie hielt kurz inne, Tränen waren in ihre Augen getreten. „Und weißt du, was das Schlimmste ist? Die Gewissheit, dass Ibrahim ein großer Wunsch erfüllt wurde: Er konnte das Leben seines Helden retten. Was mit mir ist, hat sich niemand gefragt!“

      Rayan konnte Sachra nur anstarren. Er hatte geglaubt, sie seit Jahren zu kennen. Noch vor wenigen Wochen war er bei ihr gewesen und sie hatten über Ibrahims Tod gesprochen. Mit keiner Miene hatte sie ihre Gefühle für ihn verraten – so viel Hass!

      Er dachte bei sich, dass es wieder einmal ein Beweis war, dass niemand einen anderen Menschen vollständig kennen konnte. Das war früher schon immer seine Devise gewesen, als er sich jahrelang geweigert hatte, irgendjemandem außer sich selbst zu trauen. Erst im Laufe der Jahre hatte er etwas Zutrauen in andere Menschen gefasst. Wie zum Beispiel in Julie und Jack, seine Adoptiveltern. Die Gesinnung von Sachra warf ihn auf dem Weg zum Vertrauen in Andere erneut zurück und er beschloss für sich, wieder vorsichtiger zu werden.

      „Was haben sie dir dafür versprochen?“, fragte er Sachra leise. Diese lachte höhnisch: „Nur deinen Tod. Deinen langsamen, qualvollen Tod. Ich habe ihnen vorgeschlagen, sie sollten da weitermachen, wo die Männer deines Vaters damals versagt hatten.“

      Rayan war erschüttert, Sachra war bei seiner Misshandlung vor so vielen Jahren Zeugin gewesen – wie konnte sie ihm das noch einmal wünschen? Wie sehr hatte sie sich verändert, und das quasi vor seinen Augen, ohne dass es ihm aufgefallen war.

      Er zwang sich, ruhig zu bleiben: „Wie bist du an diese Menschen gekommen?“ Es blitzte in Sachras Augen und triumphierend sagte sie: „Durch das Internet. Ich sitze Wochen und Monate alleine hier herum – da musste ich mir doch eine Beschäftigung suchen? Ibrahim hat sich gefreut, dass ich so aktiv war. Immer wenn er an ein Terminal gekommen ist, haben wir uns geschrieben. Dabei bin ich auf sie gestoßen. Sie haben mich irgendwann einfach kontaktiert. Es hat mich einige Zeit gekostet, sie von meiner Echtheit und vor allem davon zu überzeugen, dass ich dich wirklich tot sehen will, aber seitdem sind wir gute Freunde.“ Sie lachte wieder höhnisch.

      Es war Hanif, der nun nicht mehr ruhig bleiben konnte: „Und wer sind ‚sie‘? Was wollen diese Leute?“

      Sachra zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Das war mir egal. Rache so wie ich, vermute ich.“

      Auf einmal mischte sich Julie wütend ein und keifte Sachra an: „Du herzloses Miststück, diese Menschen bedrohen meinen Enkel! Und Jassim auch – willst du diese beiden auch tot sehen?“

      Doch Sachra zuckte nur die Achseln: „Das ist ein bedauerlicher Nebeneffekt. In jedem Krieg gibt es Opfer. Und der große Jassim wird sicher genauso erfreut sein wie Ibrahim, für seinen ‚Helden‘ zu sterben.“ Das Wort „Held“ betonte sie höhnisch.

      Julie wollte auf sie losspringen, doch Rayan rief mit klirrender Stimme: „Julie!“, und sofort hielt die ältere Frau inne. Etwas sanfter fuhr Rayan fort: „Reiß dich zusammen. Sie will dich doch nur provozieren.“

      Hanif, der emotional am wenigsten von allen betroffen war, stellte die entscheidende Frage: „Was machen wir denn nun mit ihr?“

      Noch bevor Rayan etwas erwidern konnte, antwortete satt dessen Sachra: „Ihr macht überhaupt nichts mit mir. Wenn ich nämlich nicht regelmäßig weiter meine E-Mails beantworte und Statusinformationen durchgebe, sterben sie alle beide. Richtig?“

      Und eiskalt antwortete Rayan: „Falsch!“ Dann schoss er seine Armbrust ab, und gleich zwei der vergifteten Pfeile trafen Sachra in die Brust.

      Alle drei starrten Rayan entsetzt an, Sachra zusätzlich mit einem ungläubigen, verwirrten Gesichtsausdruck. Sie griff sich mit der linken Hand an die Eintrittswunden der Pfeile, hob die Hand dann vor ihr Gesicht und starrte noch immer ungläubig auf ihr eigenes Blut. „Aber …?“ Dann begann das Gift zu wirken und sie brach lautlos in sich zusammen. Es wirkte so schnell, dass sie bereits tot war, bevor sie auf dem Boden aufschlug.

      Nun schauten alle drei auf die Tote. Rayan mit grimmigem Gesicht, aber auch mit einer gewissen Genugtuung, Julie und Hanif sprachlos.

      Julie fasste sich als Erste: „Yasin was tust du? Wie sollen wir nun verhindern, dass die Hintermänner Jassim und vor allem Tahsin töten?“ Vor lauter Aufregung hatte sie nicht gemerkt, dass sie den amerikanischen Namen, unter dem sie Rayan kennengelernt hatte, verwendete, so sehr war sie von den Ereignissen der letzten Minuten mitgenommen.

      Hanif riss sich nun ebenfalls aus seiner Starre: „Sie hat recht, Herr, was sollen wir nun tun?“

      Rayan lächelte nur kalt, was Hanif einen Schauer über den Rücken jagte: „Julie wird die E-Mails beantworten.“

      Seine Adoptivmutter war entsetzt: „Ich? Wie denn? Nein, nein, ich kann das ganz bestimmt nicht.“

      Doch Rayan ignorierte ihre Bedenken einfach. Er trat an den Computer, der auf einem Schreibtisch in der rechten hinteren Ecke des Raumes stand. Ihm war vorher bereits aufgefallen, dass der Computer eingeschaltet war. Als Experte für Sicherheit wusste er, welche Einstellungen er verändern musste, um zu verhindern, dass sich das Terminal in Ruhemodus begab oder ein Passwort beim nächsten Mal notwendig wäre. Dann sahen sie gemeinsam eine ganze Zeit lang den ein- und ausgehenden Mailverkehr durch. Zum Glück hatte Sachra keinen Code verwendet, um mit den geheimnisvollen Hintermännern zu kommunizieren. Julie willigte letztlich ein, die Stellung am Terminal zu übernehmen. Schließlich musste sie nicht die ganze Zeit hier bleiben, sondern nur ab und zu nachzuschauen, ob neue E-Mails eingegangen waren. Sachra schien jeden Abend um etwa 20 Uhr einen Einzeiler gesendet zu haben. Zusätzlich hatte sie nur geschrieben, wenn es neue Ereignisse gab. Unter anderem hatte sie am Nachmittag eine triumphierende Mail abgesendet, nachdem Carina aufgebrochen war. Die Mail, die Cho zurückverfolgt hatte.

      Rayan machte der Inhalt und der Tonfall dieser Notiz so wütend, dass er Sachra am liebsten zusätzlich noch erwürgt hätte, wäre sie nicht ohnehin schon tot gewesen.

      Er riss sich zusammen und zischte nur angewidert: „Armer Ibrahim, er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er davon wüsste.“ Hanif sah in etwas verständnislos an, aber er wusste, dass sein Herr ab und zu christliche Vergleiche nutzte, was an seinen langen Aufenthalten in Amerika lag und daher fragte er nicht weiter.

      Rayan fuhr fort: „Wir dürfen Ibrahims Andenken nicht schmälern, indem wir bekannt geben, was seine Ehefrau verbrochen hat. Ruf Dr. Scott an, er soll kommen. Ein Notfall. Sie hat etwas Falsches gegessen. Nahrungsmittelvergiftung. Soll vorkommen.“ Und diesmal war es Rayan, der höhnisch lachte.

      Der Arzt war Engländer und seit dem Krieg 2001 in Zarifa. Nach den Kämpfen hatten er und seine Frau beschlossen, sich in Zarifa zur Ruhe zu setzen. Rayan hatte seiner Bitte damals stattgegeben, weil er wusste, wie wichtig ein guter Arzt und Chirurg für sein Volk war. Er war sich sicher, dass der Doktor ihr Geheimnis über die wahren Umstände der Ereignisse für sich behalten würde. Sie erklärten ihm das Nötigste und er versprach, zusammen mit Julie, Sachras Ableben unauffällig und als natürliche Todesursache zu tarnen.

      Rayan und Hanif jedoch hatten nun keine Zeit mehr zu verlieren. Sie waren frei zu gehen, niemand würde ihre Abreise mehr verraten. Julie würde ihnen den Rücken durch belanglose E-Mail Nachrichten frei halten. Sie machten sich auf den Weg.