Klaus Melcher

Wolfskinder


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waren und auf die Terrasse zurückkehrten, „ich wollte davon nicht hier in unserem Urlaub anfangen. Du musst ehrlich deine Meinung sagen. Es wird nichts an unserem Urlaub ändern, das verspreche ich dir.“

      Er machte eine Pause.

       Wie sollte er es sagen?

      Carmen sah ihn an.

       Wollte er das, was auch sie wollte? Sie könnte ihm helfen. Aber wenn er etwas anderes sagen wollte, wie stünde sie dann da?

      „Carmencita“, wiederholte er, und etwas heiser stieß er hervor: „Willst du mich heiraten?“

       Das war es! Endlich!

      „Ja“, sagte sie einfach.

      Sehr lange hielt er Carmen in seinen Armen, dann löste er sich vorsichtig.

      „Versteh mich bitte nicht falsch. Ich muss es einfach wissen.“

      Sie sah ihn fragend an.

       Was war jetzt auf einmal?

      „Du bist jung“, begann er zögernd, „gerade sechzehn Jahre alt. Warum willst du heiraten? Alle Jungs kannst du haben, und du willst einen viel älteren Mann heiraten. Ich liebe dich, das weißt du. Aber ich verstehe dich nicht.“

      „Du willst mich nicht!“

      Carmen war entsetzt.

      „Doch, doch“, beruhigte er sie, aber ganz gelungen schien ihm das doch nicht zu sein.

      „Wenn wir zusammen leben, das verstehe ich. Du hättest jederzeit die Möglichkeit, dich von mir zu trennen, wenn du einen anderen Mann kennen lernst oder meiner überdrüssig wirst. Eine Ehe beendet man nicht einfach so, wenn mal irgendetwas so läuft, wie man es sich nicht vorgestellt hat.“

      „Sag es doch gleich, du willst mich nicht! Das vorhin war nur so daher gesagt!“

      Tränen schossen Carmen in die Augen. Sie schluckte, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie ihre Wangen hinunter rannen, ein breiter Strom salziger Tränen.

       Mein Gott, hatte dieses Mädchen einen Vorrat an Tränen!

      Er drückte Carmens Kopf an seine Brust, hielt ihn ganz vorsichtig, als wäre er aus Glas, streichelte ihr Haar.

      „Ich will dich“, sagte er leise, „aber ich muss wissen, warum du mich willst. Dass du mich liebst, reicht mir nicht. Dafür bist du noch zu jung.“

      Sie sah ihn aus verquollenen Augen an, sehnsüchtig, liebevoll, zärtlich.

      Wenn sie ihn so ansah, war er wie Wachs. Dann hatte er keinen eigenen Willen.

      „Warum ich dich will?“, fragte sie mit bemerkenswert klarer Stimme.

      Er nickte.

      Sie zog ihn auf die Gartenbank, setzte sich neben ihn, fasste seine Hände.

      „Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie mein Leben bisher war, ein Vater, der immer betrunken ist und der, wenn er gerade nicht fast besinnungslos am Boden liegt, auf der Suche nach neuem Schnaps ist. Und eine Mutter, die vor ihm in ihre Arbeit flüchtet, die jetzt schon zwei Putzstellen hat, nur um nicht zu Hause sein zu müssen.

      Und ich? Ich bin gar nicht mehr da, existiere für niemanden.

      Kannst du dir vorstellen, da zu leben?

      Auf der Straße habe ich meine Familie gesucht, habe auch einige Freunde gefunden. Aber das hielt nicht lange. Einige fingen an zu saufen, das kannte ich von zu Hause. Andere hingen an der Nadel oder rauchten. Und die, die clean waren, dachten mehr an sich als an mich.

      Aber weißt du, was am schlimmsten von allem war? Man konnte niemandem vertrauen. Niemandem. Kannst du dir das vorstellen, ein Leben ohne Vertrauen?

      Du hast mich gefragt, ob ich nicht zu jung für die Ehe bin. Vielleicht bin ich es, wenn ich mich auch nicht zu jung fühle. Aber ich bin ganz sicher zu jung für einen Leben ohne Vertrauen – und Geborgenheit.

      Bei dir habe ich sie gefunden. Dir glaube ich, du bist mein Zuhause.“

      Sie machte eine Pause und sah auf ihre und Joses Hände, die sie umklammert in ihrem Schoß hielt.

      „Ich weiß, ich kann mit dir zusammen leben, auch ohne dass wir verheiratet sind. An deiner Liebe wird sich nichts ändern, und auch an meiner nicht. Aber ich brauche die Sicherheit. Kannst du das verstehen?“

      Jose verstand das nur zu gut. Er dachte an seine Ex. Er hatte ihr vertraut, auch wenn sie erst selten, dann immer öfter spät in der Nacht nach Hause kam. Sie hatte ihn ausgelacht, als er sie gebeten hatte, doch nicht alleine auszugehen. Oder es wenigstens einzuschränken. Langweiler hatte sie ihn geschimpft, Schlappschwanz, Memme. Ihm fehle jedes bisschen Mumm.

      So alleine und verlassen hatte er sich noch nie gefühlt. Und als sie endlich geschieden waren, glaubte er keiner Frau mehr und auch sich selbst nicht, wenn er meinte, Gefühle für eine Frau zu empfinden oder sie gar zu lieben.

       Dieses Mädchen hatte auch ihm gegeben, was er so lange vermisst hatte.

      Jose löste seine Hände aus der Umklammerung und stand auf. Er ging in die Küchenecke, entkorkte eine Flasche Wein und kam mit zwei Gläsern zurück.

      „Morgen“, begann er, während er einschenkte, „fahren wir nach Jever und kaufen Ringe. Einverstanden?“

      Kapitel 14

      Sie betraten einen hellen freundlichen Verkaufsraum. Überall glänzte es, blitzten Vitrinen und luden zum Betrachten ein.

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      Eine freundliche Verkäuferin, Mitte vierzig, empfing sie und geleitete sie, nachdem sie den Wunsch des Paares erfahren hatte, zu einer niedrigen Vitrine, die etwas abseits des großen Verkaufsraumes lag. Sie war abgeschirmt durch einen geschmackvollen Paravent, der den Besuchern das Gefühl der Intimität vermitteln sollte. Vor der Vitrine standen zwei kleine bequeme Sessel, in der Ecke war eine Sitzgruppe, bestehend aus etwas tieferen Sesseln und einem Couchtisch.

      „Darf ich Sie bitten“, lud die Verkäuferin die beiden ein.

      Carmen und Jose nahmen vor der Vitrine Platz.

      „Haben Sie an etwas Bestimmtes gedacht?“

      Als Carmen verneinte, rollte die Verkäuferin eine Samtunterlage aus, zog eine Schublade der Vitrine auf und entnahm ihr vier verschieden Ringe.

      „Welche Art liegt Ihnen am meisten?“

      Carmen deutete auf ein Paar flache Ringe und sah Jose fragend an.

      Jose nahm sie in die Hand, betrachtete sie genau, wog sie in der Hand und legte sie zurück.

      „Ja, in der Art wäre schön.“

      Die Verkäuferin sammelte die anderen Ringe ein und verstaute sie wieder in der Schublade. Dann zog sie eine andere auf.

      „Hier haben wir die moderneren Trauringe.“

      Bei dem Wort Trauringe wurde Carmen wieder ganz warm.

       Sie konnte es immer noch nicht fassen: Sie waren bei einem Juwelier und suchten wirklich Trauringe aus, nicht Freundschaftsringe oder so etwas.

      Abwechselnd sah sie Jose und die Verkäuferin an.

       Es war Wirklichkeit.

      Was die Verkäuferin zutage förderte, war überwältigend.

       Wie sollte sie sich entscheiden?

       Es gefielen ihr alle.

      „Haben Sie einen mit einem Brillanten?“, fragte Jose.

      Die Verkäuferin