Kreuz zu schlagen. Mit weniger ist es nicht getan.«
Lange und forschend betrachtete er den Mann vor sich.
»Er will sich darum drücken,« dachte er. »Und er will mir die Schuld daran aufladen. Er ist fest überzeugt, daß ich nein sagen werde. Aber ich sage nicht nein. Ich habe ihn in eine Ecke bekommen, und ich werde ihn fangen.«
»Es soll sein, wie Sie es haben wollen,« sagte er kurz. »Wenn Ihre Tochter einwilligt, soll sie mich haben. Schreiben Sie nur.«
Der Angeklagte zauderte.
»Ich danke Ihnen in Julias Namen,« sagte er. »Aber wie soll ich wissen, ob Sie auch Wort halten?«
»Ganz richtig,« sagte Sven Elversson. »Das ist eine Frage, die ich erwartet habe und über die ich mich freue. Wenn Sie recht über die Sache nachdenken, so wissen Sie doch, daß an einem Ort wie hier die Wände Ohren haben. Es sind Zeugen vorhanden für das Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe, das Versprechen, Julia Lamprecht zu meiner Frau zu machen, wenn sie mich haben will. Ich kann mich dem nicht entziehen. Soweit ich ein Ehrenmann bin, kann ich mich dem nicht entziehen. Setzen Sie sich nun her an den Tisch und schreiben Sie!«
Der Angeklagte setzte sich wirklich auf den Stuhl am Tisch. Er ergriff die Feder, tauchte sie ins Tintenfaß und stöhnte.
Während er so mit der Feder in der Hand dasaß, suchte er wieder nach dieser seiner Liebe zu seiner Tochter. Es hatte eine solche vielleicht in seinem Herzen bestanden zu der Zeit, wo er hoffte, bei der Tochter eine Heimat zu finden, aber jetzt, wo von ihm verlangt wurde, er solle ihretwegen seine Freiheit opfern, fand er keine.
Er schrieb mit steilgehaltener Feder; er schrieb mit schräggehaltener Feder. Einmal ums andere tauchte er ein und verspritzte freigebig Tinte um sich her; endlich wurde er fertig.
»Ich habe Ihnen nichts anderes versprochen, als daß ich eine Antwort auf die Fragen geben würde,« sagte er und übergab Sven Elversson das Papier.
Und Sven Elversson las und sah: die drei Fragen des Richters waren mit drei krummen, sehr schlecht geschriebenen Nein beantwortet. Darunter stand der Name Julius Martin Lamprecht und zuletzt ein ganzer Satz: »Ich soll gestehen, daß ich schuldig sei, aber das bin ich nicht.«
»Dafür bekommen Sie die fünftausend Kronen nicht,« sagte Sven Elversson ganz gelassen.
»Nein, das weiß ich,« erwiderte der Angeklagte. »Aber Julia bekommt Sie zum Mann. Ihnen hab' ich nichts anderes versprochen, als daß ich die Fragen beantworten würde, wenn Sie meine Tochter heiraten. Und das hab' ich getan. Ich selbst werde frei, und Julia hab' ich einen guten Mann verschafft.«
Ganz siegesstolz stand er da und warf sich in die Brust.
Sven Elversson wurde rot vor Zorn. Nun ließ ihn seine Demut im Stich, und er fing an, den Angeklagten mit weniger Rücksicht als bisher zu behandeln.
Noch einmal beugte er sich über das Papier und prüfte es genau.
»Ja, das hätte ich mir denken können,« sagte er. »Ich hätte wissen müssen, was für ein elender Schuft Sie sind. Ich habe es ja gesehen an der Art, wie Sie mit den beiden Toten verfahren sind. Warum haben Sie ihnen die Augen ausgestochen?« rief er heftig.
»Ich hätte ihnen die Augen ausgestochen?« schrie der Angeklagte. »Das ist nicht wahr! Das hat jemand anders getan. Als ich von ihnen wegging ...«
Er schwieg, biß sich auf die Zunge und lehnte sich todesblaß an die Wand seiner Zelle.
»Vielen Dank!« sagte Sven Elversson trocken. »Ich wußte ja, wie ich mit Ihnen fertig werden würde. Aber ich wollte so lange wie möglich warten. Ich wollte Ihnen bessere Bedingungen geben.«
Im nächsten Augenblick lag der Mörder vor ihm auf den Knieen.
»Ich habe nichts gesagt! Ich habe nichts gesagt!« jammerte er. »Lassen Sie es ungesagt sein! Sie haben mich angelogen.«
Er war nur noch ein elendes, jämmerliches Häufchen von Reue und Zerknirschung. Seine ganze Rüstung von Wichtigtuerei und Einbildungen, alle seine Ausflüchte und Entschuldigungen waren von ihm genommen.
»Sie wissen, daß Zeugen da sind,« sagte Sven Elversson. »Ich habe Sie gewarnt.«
»Lassen Sie mich noch einmal schreiben! Geben Sie mir ein neues Papier! Ich will gestehen! Ich will Ihnen alles sagen. Ich will Julia helfen.«
Sven Elversson erhob die Stimme ein wenig.
»Ich reiße dieses Papier in Stücke,« sagte er. »Gleich werden wir ein anderes hier haben. Wenn das neue Papier richtig beantwortet und unterzeichnet ist, so nehme ich an, daß die Wände von diesem ersten nichts gehört haben. Wir fangen nun wieder bei dem Augenblick an, wo Sie sich niedergesetzt haben, um zu schreiben. Die zugemessene Stunde ist noch nicht um. Julius Martin Lamprecht, Sie haben noch Zeit, ein freiwilliges Geständnis abzulegen.«
Eine Weile darauf saß der Mörder im Untersuchungsgefängnis auf einem Stuhl dem Richter gegenüber. Sein Aussehen war verändert, er hatte etwas von einem gründlich gebadeten und gewaschenen Menschen an sich, obgleich keine äußerliche Reinigung mit ihm vorgenommen worden war. Aber er hatte gestanden. Nicht nur hatte er auf dem Papier die beiden ersten Punkte mit ja beantwortet und den dritten mit nein, sondern er hatte auch ein vollständiges und offenes Geständnis abgelegt. Jetzt war er äußerst ermattet, und man hatte ihm einen Stuhl geben müssen, damit er nicht umsank. Aber trotzdem sah er glücklich und befriedigt aus. In diesem Augenblick hegte er keinen Groll gegen irgendeinen Menschen. Er war gereinigt, freigemacht von Sünde. Seit seinem ersten Gang zum Abendmahl war ihm nicht mehr so wohl zumute gewesen.
Nicht der Richter allein befand sich bei ihm in der Zelle, sondern auch der Gefängnisaufseher, der Vogt, der Amtsdiener, Sven Elversson und Julia Lamprecht. Der Gefangene liebte sie alle, aber am meisten liebte er seine Tochter, der er vor einigen Augenblicken die fünftausend Kronen überreicht hatte. Er bewunderte ihr Aussehen. Sie war schön, mit blonden, krausen Haaren, und sie hatte ein gesetztes, bescheidenes Wesen. Unter vier Augen hatte er noch nicht mit ihr sprechen können; aber nach einem Versprechen des Richters sollte sie so lange bei ihm in der Zelle bleiben dürfen, als er wünschte.
Zuweilen richtete der Mörder seine Blicke auf den Mann, der ihn zum Geständnis gebracht hatte, und er mußte sich selbst gestehen, daß er ihm Mitleid einflößte.
Schon wenn man ihn anschaute, wie er, den Blick auf den Boden geheftet, mit umwölkter Stirn, zusammengesunken an der Wand der Zelle stand, mußte man Mitleid mit ihm haben. Der Mörder meinte, er könne ihn besser verstehen als sonst jemand. Er, der Mörder, konnte seine Schuld bekennen und sie abverdienen, dieser Mann aber konnte niemals den Schandfleck loswerden, der ihm anhaftete.
Der Richter und alle übrigen Diener der Gerechtigkeit hatten Sven Elversson die Hand geschüttelt und ihm gedankt, das hatte der Mörder wohl gesehen. Vor allem hatte der Richter sich äußerst dankbar gezeigt. Er war froh gewesen, weil er das Urteil jetzt nicht zu fällen brauchte, ohne seiner Sache sicher zu sein.
Aber Sven Elversson hatte trotzdem noch ebenso gedrückt und demütig ausgesehen. Ja, seine Demut war nur noch größer geworden. Er machte den Eindruck, als könne er sich selbst nicht ertragen.
Als Julia Lamprecht in die Zelle hereingeführt und ihr die fünftausend Kronen überreicht worden waren, war dieser Sven Elversson vorgetreten und hatte ausgesagt, daß er dem Gefangenen versprochen habe, seiner Tochter einen Heiratsantrag zu machen. Aber die Tochter hatte kurzerhand abgelehnt, nein, diesen Mann würde sie niemals heiraten. Und sie hatte ihm mit deutlichen Worten gesagt, was für ein Mensch er sei.
Sven Elversson hatte diese Weigerung sehr übel aufgenommen; sie schien ihn vollkommen niedergeschmettert zu haben. Ohne ein Wort zu erwidern, war er zurückgewichen, bis zur Wand der Zelle getaumelt und dort stehen geblieben. Der Gefangene aber fühlte deutlich, nun war er gerächt.
Durch seine Tochter, die er bis zu diesem Tag nie gesehen, war er an dem gerächt worden, der ihn besiegt hatte. Ja, er und die Tochter, sie waren eines Blutes, das fühlte er deutlich, und er liebte sie.
Nicht,