Grace Madisson

Aus gutem Haus


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zur Ruhe, zum Abendessen zur Familie in den Klub. Menschen jagten durcheinander, getrieben vom Wunsch schnell das tröstliche Heim zu erreichen. Junge Angestellte, kleine Lehrlinge, in den Uniformierungen des Eastend von London, grobes Wollzeug oft geflickt eine blaue Schirmmütze auf den Kopf ein Taschentuch um den Hals gebunden. Darunter einige Buchhalter, Geschäftsleute, Herren mit Zylinder in tadellosen schwarzen Gehröcken, mit Backenbart und einem Gesichtsausdruck, gemixt aus Hochmut und Erschöpfung sie hielten einem Gehstock in der Linken. Die Omnibusse hielten hier länger. Massen stieg aus und ein. Lestrade lief weiter vorbei an erschütterter Biederkeit bog in einen armseligen Straßenwinkel, in denen sich baufällige Häuser und viktorianische Anständigkeit schamhaft gegenüberstanden. Im Bricklayer Pub saßen die Geschlechter schon wieder lustig beisammen. Trinken war das natürliche nächtliche Vergnügen der Armen. Hemdsärmelige Halbwüchsige und Mädchen mit befedertem Hüten, den Ale, Gin oder Rum vor sich auf dem Plankentisch stehend, die Pfeife oder den qualmenden Zigarrenstumpen zwischen den Zähnen im Munde, die 1,5 Pence für das nächste Glas in der Tasche. Armut macht trunken und laut.

      2

      Mrs. Threody war erhitzt und außer Atem. Ihr Korsett engte sie ein, als steckte sie in einem mittelalterlichen Foltergerät, das ihr die Luft aus den Lungen quetschen sollte. Ihr ausladendes Kleid mit Rüschen und der Tournüre verlieh Mrs Threody von hinten das Aussehen eines Shire Brauereigauls.

      »George Clarence Threody!«, rief Mrs. Threody wütend aus.

      Ihr Sohn der achtjährige Clarence, ein blonder gelockter Engel im Matrosenhemd hörte nicht auf sie, er jagte weiter durch die Unterführung des Eisenbahntunnels in der Backchurch Lane als seien die Buren hinter ihm her. Es war eine unheimliche dunkle Gegend, in der es abscheulich stank, Mrs Threody verzog die Nase, es stank nach Urin, nach menschlichen Abwässern.

      »Clarence! Sofort kommst du hierher! Du hörst, wenn deine Mutter dir etwas befiehlt!«

      Aber Clarence, der Engel dachte nicht daran mit einem Ast in der Hand stürmte er von Pfeiler zu Pfeiler und seine Schritte knallten auf dem feuchten Pflaster wie Pistolenschüsse dabei machte er so komische summende Geräusche das Mrs Threody sich unwillkürlich fragte, ob ihr Sohn geistig zurückgeblieben sei. Mrs. Threody war leicht verärgert, wo gab es denn das eine Mutter ihren Sohn in aller Öffentlichkeit an sein Benehmen erinnerte. Musste an Mr Threody, liegen er war kein Gentleman und das vererbte sich ja bekanntlich in der Familie. Ihre Mutter hatte schon recht gehabt sie hatte weit unter ihrem Stand geheiratet ihre Mutter war immerhin Haushälterin bei einem Bischof gewesen eine Lordschaft. Aber Mister Threody war ein Gentleman geistlichen Standes ein Sprengelvikar, auch wenn die wenige Arbeit mit einem hervorragenden Gehalt ihm zu viel Zeit ließ, an seinem Geschichtswerk die Geschichte der schmutzigen Witze zu arbeiten. Es war nicht immer angenehm ihren Mann allein im Arbeitszimmer sitzend zu wissen und sein Lachen durch das Haus schallen zu hören. Was sollten um Gotteswillen die Dienstboten von ihm denken?

      Sie keuchte und wedelte sich mit der flachen Hand Luft ins breite Gesicht. Ihr breiter Hut mit der Straußenfeder hielt ihre Augen beschattet. Ein Lächeln huschte verstohlen über ihr Gesicht, Clarence gehorchte. Zumindest hatte er seine Raserei beendet und stand mit offenem Mund vor der Mauer zu einem Werkhof der London Railway und pikste mit seinem Ast nach einem in Stoff und Zeitungspapier gewickeltes Bündel. Clarence machte dabei hysterische glucksende Geräusche, es klang besorgniserregend, ob sie mit ihm nicht doch lieber einmal zu einem Arzt ging?

      »Ughh ... Ughh ... Ughh!«

      Und dann schrie der Knabe, wie Mrs Threody noch nie zuvor ein Kind hatte schreien gehört. Sie Pfiff auf die Würde raffte ihre Röcke und rannte zu ihm. Es hatte geregnet und das Paket war aufgeweicht, ein übler Geruch wehte durch die Eisenbahnunterführung. Es war braunes Packpapier, wie man es in den billigen Lebensmittel Läden verwendete. Darum war eine rote Hanfschnur gebunden.

      »Aus Clarence sonst gibt es heute kein Nachtisch und du magst doch Stachelbeertorte!«, befahl Mrs. Threody ihrem Jungen.

      Clarence ignorierte sie. Der Ast in Clarence Faust riss ein großes Stück Papier ab und vergrößerte die Öffnung, braun wie von getrocknetem Blut. Sie sah genauer hin, tätowierte Haut von einem Menschen, weiß und weich es konnte keine alte Haut sein. Sie schrie, nachdem langsam und grauenhaft klar wurde, was der verdammte Clarence gefunden hatte.

      Inspektor Pontius Lestrade sah vom Schreibtisch der Wache in Aldgate auf, der von Papieren übersät war. Er suchte nach Fällen, die in den Bereich des Yards gehörten, ihn interessierten nicht die Festnahmen der Betrunkenen.

      »Was gibt es?«

      Police Constable Hutt stand im Türrahmen, das Gesicht blass und die Augen ein bisschen rot unterlaufen auf dem steifen Kragen stand in goldenen Lettern seine Dienstnummer 447-H. Er sah das glänzende, strohfarbene, über seiner fliehenden Stirn glatt zurückgekämmte Haar, die unschöne, dünne gebogene Nase und das etwas einfältige Lächeln. Hutt blinzelte mit den Augen und räusperte sich.

      »Es tut mir leid, Sir, aber vielleicht haben wir etwas für sie, wir haben eben eine Meldung über Ruhestörung in der Backchurch Lane, den Eisenbahnaquädukten in Spitalsfield erhalten. Eine Person ganz offenbar weiblichen Geschlechts hat einen hysterischen Anfall. Eine respektable Erscheinung und bekannte Persönlichkeit in Spitalsfield. Die weibliche Person ist offenbar nicht betrunken und eine große wachsende Menschenansammlung ist bereits dort versammelt. Ihr Ehemann ist Mister Threody der Vikar der Gemeinde.«

      Lestrade versuchte daraus schlau zu werden, er zuckte mit den breiten Schultern, »Vielleicht ist sie krank? Oder vielleicht säuft sie heimlich? Dafür braucht man nur einen Constable und nicht das Yard, oder?«

      »Nun, Sir.« Hutt wirkte verlegen. »Sieht so aus, als sei ihr Junge gelaufen und hat ein Paket hinter den Eisenpfeilern gefunden, und jetzt glauben, die Leute da wäre ein Mensch drin. Deswegen ist es auch bestimmt zur Ruhestörung durch ihren hysterischen Anfall gekommen vermute ich, Sir.«

      »Was? Was meinen Sie verdammt sie haben einen Menschen gefunden?«, Lestrade war gereizt. Er mochte den abendlichen Routine Gang durch die Reviere des H-Bezirks, solange es Routine blieb.

      »Was ist in diesem Paket?«

      »Nun, Sir Inspektor. Der Constable, der dort Streife geht, sagt, er will nichts anrühren, bevor nicht Sie und der Polizeichirurg eintreffen. Aber nach seiner Meldung, die so eben mit einem Boten kam, ist es der Oberkörper einer Verstorbenen. Gewickelt in Papier und Stoff.«

      Hutt wirkte ganz offensichtlich peinlich über die Abartigkeit berührt. Lestrade stand auf, und ordnete die Papiere auf dem Schreibtisch.

      »Spitalsfield, hier vergnügte sich der abscheulichste Abschaum an Verbrechern«, brummte der Inspektor und fragte sich wo waren die guten alten Zeiten geblieben, klares Motiv und nur ein Mindestmaß an Grausamkeit?

      Der elegante Teil des Empires lebte nur einen Steinwurf mit der U-Bahn entfernt und doch von den Elendsvierteln, dass vor Armut dem Laster und das Verbrechen auseinander barst, wollte niemand etwas wissen. Verrottende Mietskasernen mit drei Höfen hintereinander, mit Kellern, die mit fauligem Stroh gefüllt waren und an die Obdachlosen vermietet wurden, wollte niemand etwas wissen. Mister Bagster der Polizeichirurg des Bezirks meinte, das hier zwölf Menschen auf zehn Quadratmeter kamen, im Zuchthaus standen offiziell jedem Häftling vier Quadratmeter zu. Für manchen Verbrecher musste die Haftstrafe wie ein Umzug in eine große Wohnung sein. Die Menschen versuchten nicht zu lebten sie versuchten nicht sofort zu sterben. London war schockierend barbarisch.

      »Dann lassen sie uns besser gehen und nachsehen«, erwiderte er und ignorierte die Unordnung um sich herum, die er geschaffen hatte.

      Er setzte seine Melone schräg auf den Kopf.

      »Jawohl, Sir«, Hutt salutierte und hielt ihm die Tür auf.

      Lestrade folgte dem Constable über den Korridor, vorbei an den, nach erbrochenen riechenden überfüllten Zellen, die Treppe hinab auf die schwarze regenfeuchte Straße hinaus. Ein leerer Krankenwagen erwartete sie bereits. Ein Constable hielt die Zügel in der Hand.

      »Auf