Mara Dissen

Du bist böse


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in meinen Körper getrieben. Was macht sie mit ihm? Zentimeter um Zentimeter verfolge ich die Leitung, die aus der Nadel sprießt und in einem Infusionssack, aufgehängt an einem Ständer, mündet. Entsetzt möchte ich mir die Nadel aus meinem Körper reißen. Ich will sie nicht. Ich weiß nicht, wie sie dort reingekommen ist. Man hat mich nicht gefragt.

      <Halt>, höre ich meine innere Stimme schreien. Sie spricht in letzter Zeit oft mit mir. Es fällt mir häufig schwer, ihr zu gehorchen. Manchmal antworte ich, meistens versuche ich, sie zu ignorieren. Jetzt jedoch hat sie Recht. Es würde wieder Blut geben, rot, die alles vernichtende Farbe auf meinem weißen Bettbezug.

      Schwer atmend lasse ich meinen Kopf auf das Kissen fallen, schließe wieder die Augen. Ich bin im Krankenhaus, das weiß ich, aber wie ich hierher gekommen bin liegt für mich im Dunkeln. Soll es doch dableiben. Die Sache mit der inneren Stimme geht mir durch den Kopf. Das sei ganz natürlich, hat mir Elli gesagt, Gedanken eben. Der Kopf sei ja nicht abgeschaltet, nur weil man mal keine lauten Unterhaltungen führt. Ach Elli, du Gute. Wahrscheinlich hast du Recht. Ja, natürlich hast du wieder Recht. Ich will mir aber keine Gedanken machen. Mein Kopf soll tot sein, einfach gedankentot, befreit von diesen grauenvollen Erinnerungen, die meine Gedanken füttern.

      Unter großer Anstrengung öffne ich wieder die Augen, widersetze mich dem Gefühl endloser Müdigkeit. Mit nur leichten Kopfbewegungen gelingt es mir, meine Umgebung zu erfassen. Es ist ein kleines Krankenzimmer. Nur ein Bett, mein eigenes, Nachttisch, zwei Stühle mit gepolsterter, abwaschbarer Sitzfläche, ein kleines Tischchen mit einem schlichten Stuhl davor, ein Kleiderschrank, der eher an einen Spind erinnert und eine Tür, die wahrscheinlich in einen Sanitärbereich führt. Und dann natürlich die Tür, durch die man mich hier reingebracht hat, und durch die ich das Zimmer wieder verlassen werde. Irgendwann. Es ist mir egal wann. Will ich es überhaupt wieder verlassen? Da kommen sie wieder, die Gedanken.

      „Scheuch sie weg“, durchdringt meine Stimme die Stille. Entsetzt schaue ich mich ruckartig um, habe Angst, dass ich gehört wurde und weiß doch, dass ich allein bin. Wenigstens in dieser Angelegenheit ist Frank meinem Wunsch nachgekommen. Er hat mich in ein Einzelzimmer legen lassen. Habe ich diesen Wunsch überhaupt geäußert und wann soll das gewesen sein? Egal. Für Frank wäre nie etwas anderes in Frage gekommen, erste Klasse, was sonst. Für ihn muss alles immer erstklassig, überragend sein. Frank hat als Architekt Objekte entworfen, die in ihrer Einmaligkeit herausstechen. Sein Geschäftssinn muss allerdings ebenfalls seinesgleichen suchen. Was sein Planungsbüro mitunter nicht nach seinen hohen Erwartungen abwirft, holt sein angeschlossenes Ingenieurbüro wieder heraus. Als mein Ehemann sieht er es als seine Pflicht an, mich mit Luxus zu umgeben. Er kann es sich leisten, sich von seinem schlechten Gewissen freizukaufen, meine vermeintliche Abhängigkeit von ihm auf diese Weise zu erhalten. Ich wundere mich, dass ich nicht in der stilvolleren Umgebung einer Privatklinik liege. Was ist geschehen, dass er von seinem steten Streben nach dem Besonderen abgewichen ist?

      „Können Sie mir dann bitte noch eine Blumenvase bringen?“

      „Ja, natürlich. Gehen Sie ruhig schon rein.“

      Elli. Ihre Stimme würde ich durch jede geschlossene Tür erkennen. Ich habe mich von der Ruhe meines Zimmers täuschen lassen, fühlte mich vor der Außenwelt sicher, habe nicht bedacht, dass Menschen im Krankenhaus, Pflichtbesuche förmlich aufzwingen. Nein, das ist ungerecht. Elli kommt nicht aus Pflichtgefühl. Elli kommt, um zu helfen, Halt zu geben, Gleichgewicht wiederherzustellen, einfach da zu sein. Auf Elli war immer Verlass. Sie kritisiert nicht, bevormundet nicht, steht einfach nur tatkräftig zur Seite und ist irgendwie immer präsent. Aber mit ihrer beherzten Art hat sie schon großen Einfluss auf mich.

      Beim zaghaften Klopfen an der Tür schließe ich die Augen, versuche ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es sind nur wenige Schritte bis zu meinem Bett, die Elli leise, fast unhörbar zurücklegt. Jeder einzelne Schritt wird von mir wahrgenommen, körperlich nachempfunden. Wir sind uns so vertraut, dass ich Ellis Bewegungen in Zeitlupe vor mir sehe. Sie wird wie immer flache, modische Schuhe tragen. Schuhe mit Absätzen lehnt sie für sich kategorisch ab, womit sie ihrem Erscheinungsbild eine positive Variante verleiht. Elli ist groß, sehr groß. Zu ihr muss man aufschauen, seinen Blick an ihrem hageren, aufgeschossenen Körper entlanggleiten lassen, bevor man das Gesicht in Augenschein nehmen kann. Es ist nicht hübsch, aber passt zu ihrem Körperbau, lang, schmal, kantig. Selbst ihre Augenlider ziehen sich von der Nasenwurzel schlitzartig Richtung Schläfe, als wollten sie nie enden. So dünn wie alles an ihr sind auch ihre schwarzen Haare, glatt und unvorteilhaft auf die Schultern fallend. Menschen, die Elli zum ersten Mal begegnen, verschätzen sich oft, sehen in ihr die unbewegliche, steife Frau, gefangen in einem Körper, der bei kleinsten Bewegungen auseinander zu brechen droht. Meine Freundin Elli ist jedoch biegsam wie eine Gerte, verfügt über wundersame Kraft und ist vor allem schnell, quirlig, irgendwie immer in Bewegung.

      Ich bin das totale Gegenteil von ihr. Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut. Klein, gedrungen, moppelig, mit einem viel zu kurz geratenen Hals, der auch durch meine blond gelockte Kurzhaarfrisur optisch nicht verlängert wird, kämpfe ich stets gegen überschüssige Pfunde an. Anders als Elli, bewege ich mich liebend gern auf hochhackigen Schuhen, um größer zu wirken und unterliege wissend dem Irrtum. Auf mein Augen-Make-up verwende ich täglich viel Zeit, in der Hoffnung, meinem runden, alltäglichen Gesicht etwas mehr Ausstrahlung zu verleihen. Jetzt werde ich wohl vollkommen verschmiert hier liegen. Elli nehme ich mir oft zum Vorbild, besonders, wenn meine Unzufriedenheit in Unbeherrschtheit umzukippen droht, Pessimismus mich runterzieht. Oft werde ich auch von Depressionen heimgesucht. Sie fallen meistens über mich her, wenn mein verflossener Erfolg als Journalistin vor meinem geistigen Auge abläuft und mir gleichzeitig meine gegenwärtige berufliche Aussichtslosigkeit aufgezeigt wird. Zu brutal werde ich von den Bildern weggezerrt, die mich in die Zeit meiner Auslandsreisen versetzen. Einer Zeit voller Abenteuer, geprägt von der Suche nach Tatsachen und Hintergründen für Dokumentationen, die mich als Journalistin gefragt und unentbehrlich gemacht haben. Nein, natürlich nicht unentbehrlich. Schnell vergessen und abgeschrieben als ich gezwungen war, meine Unabhängigkeit aufzugeben.

      Elli steht vor meinem Bett. Wir waren einst Kolleginnen, haben uns bei unseren Hintergrundrecherchen Fakten zugespielt, uns gegenseitig gestützt. Jetzt stützt sie nur noch mich. Ich kann förmlich ihre Körperwärme spüren. Es muss ihr sehr schwerfallen, sich so leise, langsam, bedächtig zu bewegen. Für mich tut sie das, zwingt sich dazu. Vielleicht ist es auch ganz anders, hat das Geschehene ihre Energie geschluckt.

      Die Tür öffnet sich wieder, wird nicht geschlossen. Ich vermute, dass die Schwester die Vase bringt. Wie lange schaffe ich es noch, meine Augen geschlossen zu halten?

      „Frau Stolpe scheint fest zu schlafen. Steht sie noch unter schweren Beruhigungsmitteln?“

      „Ja, aber eigentlich könnte sie uns durchaus hören. Na ja, wahrscheinlich sehr schwach.“

      „Darf ich sie ansprechen, anfassen? Was meinen Sie?“

      „Ja, natürlich. Versuchen Sie es.“

      „Ach, ich habe da noch eine Frage. War Herr Stolpe, ihr Mann, schon hier?“

      „Nein, nicht das ich wüsste. Ich kann aber noch mal meine Kollegin fragen.“

      „Nein, nein, danke, nicht nötig. War nur so eine Frage.“

      Er hat es also nicht geschafft, sich hierher zu bewegen. Schade. Nicht, dass ich traurig darüber bin. Ich hätte es nur gut gefunden, wenn er mich in meinem betäubten Zustand, in dem ich mich offensichtlich längere Zeit befunden haben muss, einfach tief schlafend, angetroffen hätte. Vielleicht hätte ihm das Angst gemacht. Ich glaube nicht, dass es mir gelingt, mich schlafend zu stellen, käme er jetzt die Tür rein, jetzt, wo die Medikamente scheinbar ihre starke Wirkung verlieren. Er soll nicht kommen, soll wegbleiben, einfach wegbleiben. Vielleicht sollte ich die Augen öffnen und um neue Betäubung bitten, wohl eher flehen, könnte ja starke Schmerzen vortäuschen.

      Ellis warme Hand auf meinem nackten Arm tut gut, möchte sie aber auch gleich wieder abschütteln. Keiner soll mir zu nahekommen. Auch Elli nicht?

      Die Tür öffnet sich erneut, Elli nimmt ihre Hand von meinem Arm. Wahrscheinlich