J.L. Stone

Sieben Schwestern - Seranas Rache


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jetzt unbedingt wissen?«

      »Nein.«

      »Gut. Und jetzt zeichne den verdammten Kreis, denn wenn du dich nicht endlich beeilst, werden wir sehr bald in noch größeren Schwierigkeiten stecken als jetzt schon.«

      »Was meinst du?« konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, während ich mit dem Finger versuchte einen einigermaßen perfekten Kreis in die weiche Erde zu ziehen.

      »Dein Doppelgänger hat nur eine sehr begrenzte Lebensdauer und wird sich demnächst auflösen. Und was glaubt du, werden die beiden tun, wenn sie bemerken, dass wir sie damit an der Nase herumgeführt haben?«

      »Sie werden zurückkommen und alles gründlichst absuchen.«

      »Genau! Daher sollten wir keine Zeit verschwenden. Hast du den Kreis endlich fertig?«

      »Ja.«

      »Gut. Dann male jetzt ein Pentagramm auf ihn.«

      »Ein was?«

      »Ein Pentagramm – einen fünfzackigen Stern.«

      »Warum sagst du das nicht gleich?« beschwerte ich mich.

      »Oh, Mann, dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit«, zischte Nathalie. »Tarid und Viktor werden schon sehr bald hier aufkreuzen – und dann sollten wir verschwunden sein. Zeichne jetzt einfach.«

      »Und wo?«

      »Rechts von dir, exakt auf der 3-Uhr-Position.«

      Sofort machte ich mich ans Werk.

      »Fertig!«

      »Jetzt musst du einen Drudenfuß auf die 9-Uhr-Position zeichnen.«

      »Einen was?«

      »Drudenfuß!« seufzte Nathalie frustriert. »Er gleicht dem Pentagramm, steht aber auf der Spitze.«

      »Okay«, murmelte ich und zog die Linien in den Schlamm.

      »Erledigt.«

      »Klasse. Jetzt noch das Symbol für Unendlichkeit auf der 6-Uhr-Position.«

      »Meinst du die liegende Acht?«

      »Exakt!«

      Auch dieses Zeichen malte ich auf die entsprechende Stelle auf den Kreis.

      »Fertig.«

      »Sehr gut. Jetzt fehlt nur noch ein Zeichen«, meinte sie sichtlich ungeduldig. »Das ist nicht so leicht zu erklären. Erinnerst du dich noch an das letzte Zeichen, das ich Samstagnacht in der Gasse beim Club auf den Kreis gezeichnet habe?«

      »Vage.«

      »Na immerhin«, stöhnte sie. »Genau dieses musst du jetzt noch auf der 12-Uhr-Position zeichnen.«

      »Das muss ich zuerst einmal so aufzeichnen, damit ich es mir besser vorstellen kann.«

      »Tu das«, verlangte sie, »aber außerhalb vom Kreis – und beeile dich!«

      »Ich mach ja schon«, knurrte ich leicht genervt.

      Ich beugte mich etwas nach vorne und versuchte das Symbol zu rekonstruieren. Nach einigen vergeblichen Testläufen fand ich endlich die Lösung – und jetzt kam es mir auch verdammt bekannt vor.

      »Oh«, entfuhr es mir ungläubig. »Das ist ja das Zeichen auf dem Buch der Schatten.«

      »Was?« verlangte Nathalie zu wissen. »Ich kenne kein Buch der Schatten.«

      »Glaub ich dir«, wiegelte ich ab und erklärte es ihr, während ich das Symbol auf den Kreis malte.

      »Aaahhh, ja«, dehnte Nathalie zweifelnd. »Hast du's jetzt endlich?«

      »Noch eine Sekunde – fertig!«

      »Sehr gut«, meinte sie und zwickte mich ins Ohr. »Jetzt knie dich bitte in die Kreismitte und rühre dich nicht mehr vom Fleck. Ich werde jetzt nämlich dein süßes Ohr verlassen und den Zauber wirken.«

      »Dann verrate mir doch jetzt bitte, in was für ein Tier du uns verwandeln willst.«

      »In Falken.«

      »Cool«, entfuhr es mir. »Ich wollte schon immer mal fliegen.«

      »Wie schön für dich – und jetzt sei endlich still.«

      Es kitzelte ein wenig, als sie kurz darauf geschwind aus meinem Ohr krabbelte. In diesem Augenblick durchbrach das laute Knacken eines Astes die Stille des Waldes.

      Beeile dich!, forderte ich sie in Gedanken ungeduldig auf und lauschte auf weitere Geräusche.

      Schwach vernahm ich ein leises Plantschen im nahen Bach. Das musste entweder Tarid oder Viktor sein, die auf der Suche nach mir zurückkamen. Hoffentlich gelang Nathalie unsere Verwandlung, bevor sie mich entdeckten.

      Doch ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen, denn als nächstes tauchte Nathalie nackt vor mir auf, eine bläuliche Kuppel umschloss uns und dichter Nebel hüllte uns ein.

      Im nächsten Augenblick rasten auch schon schwache Schmerzwellen durch meinen malträtierten Körper. Im Nu löste sich der Bach, der Wald und alles um uns herum in Nichts auf. Ich war total erleichtert, als nach wenigen Sekunden die Qualen nachließen und schließlich ganz verschwanden.

      Und dann bemerkte ich, dass sich meine Umgebung radikal verändert hatte – alles war größer, riesiger und ich konnte alles viel schärfer und deutlicher erkennen als zuvor. Das düstere Zwielicht des Waldes war verschwunden und hatte einem fast lichtdurchfluteten Tag Platz gemacht.

      Neben mir raschelte es leise. Mit schief gelegtem Kopf beäugte ich die anziehende Gestalt eines Raubvogels neben mir.

      »Wir sollten jetzt eindeutig verschwinden«, stellte Nathalie klar, als ein erneutes Klatschen vom Bauch laut zu uns herüber schallte.

      »Das sollten wir«, stimmte ich ihr nur zu gerne zu.

      Nathalie hopste etwas zur Seite und breitete ihre schlanken Schwingen aus. Ich schüttelte kurz meine Flügel und folgte ihrem Beispiel jetzt doch etwas zögerlich, da ich keine Ahnung hatte, wie ich damit fliegen sollte – obwohl ich mich schon tierisch darauf freute, pfeilschnell durch die Lüfte zu sausen und die Freiheit des Fliegens zu genießen.

      Nathalie nickte mir kurz zu, als ich mich neben ihr aufstellte. Dann kauerte sie sich auf den Boden und sprang mit einem Satz in die Luft, flatterte wie rasend mit den Flügeln und schoss schließlich wie ein Pfeil dicht über dem Boden dahin.

      Sofort tat ich es ihr gleich, obwohl ich nur Sekunden zuvor noch meine Bedenken hatte. Ohne Probleme hob ich vom Boden ab und mit einem leisen, freudigen Krächzen folgte ich ihr.

      Ich flog!

      Und wie ich flog!

      Was war das für ein unbeschreibliches Gefühl. Ich war ganz berauscht davon. Aus purer Lebensfreude stieß ich einen durchdringenden Schrei aus, der von Nathalie sofort erwidert wurde. Es war mir gänzlich egal, ob Tarid und Viktor uns hörten.

      Das war einfach nur cool!

      Über einer kleinen Lichtung stiegen wir rasch in die Höhe und ließen den bedrohlichen Wald endlich hinter uns. Über den Bäumen flogen wir ein paar enge Kreise, um uns zu orientieren.

      Dabei entdeckte ich den kaum benutzten Pfad, auf dem mich Tarid zu der versteckten Hütte geführt hatte. Instinktiv scherte ich aus und folgte ihm, ohne Nathalie darauf aufmerksam zu machen.

      »Hey!« rief Nathalie hinter mir her. »Wo willst du denn hin?«

      Durch den brausenden Wind, der an meinen kleinen Ohren vorbei strich, konnte ich sie nur undeutlich verstehen.

      »Zur Pforte«, schrie ich ihr zu.

      »Welche Pforte?« wollte sie wissen, als sie mich eingeholt hatte und neben mir herflog.

      »Durch die, durch die mich Tarid so unsanft in ihre Heimstatt gezerrt hat«, erklärte ich. »Das da ist der