J.L. Stone

Sieben Schwestern - Seranas Rache


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keine Maus den Faden ab. Sie allein konnte Tarid und ihren Freunden die Stirn bieten – zumal ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo wir uns befanden.

      Denn in der Stadt waren wir nicht herausgekommen, wie ich mittlerweile zu meinem Bedauern feststellen musste, sondern in einer ländlichen, hügeligen Gegend. So kämpfte ich mich verbissen voran, um nicht den Anschluss zu ihr zu verlieren.

      Irgendwann – ich hatte mein Zeitgefühl komplett eingebüßt – wurde Nathalie doch noch etwas langsamer. Erleichtert nahm ich all meine verbliebene Kraft zusammen und schloss zu ihr auf.

      »Nathalie«, keuchte ich atemlos. »Ich bin total fertig. Ich brauche dringend eine Pause.«

      »Na gut«, meinte sie nur, schlug einen Haken und verschwand in einer dicht bewachsenen Buschgruppe.

      Natürlich ließ ich mich nicht lumpen und folgte ihr auf der Stelle. Vorsichtig zwängte ich mich zwischen den eng beieinander stehenden Zweigen hindurch. Wie erwartet hatte es sich Nathalie fürs Erste auf einem Ast in der Nähe des Stammes in einem besonders dichten Strauch gemütlich gemacht. Mit letzter Kraft ließ ich mich auch darauf nieder.

      Den Schnabel weit aufgesperrt hockte ich neben ihr, pumpte mit gierigen Zügen Luft in meine berstenden Lungen und ließ die Flügel schlapp herab hängen. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, sie eng an meinem Körper zu halten.

      Das war eindeutig das Anstrengendste, das ich in den letzten Jahren – sogar in den letzten beiden Tagen – unternommen hatte. Noch nie in meinem bisherigen Leben war ich so ausgepowert gewesen wie in diesem Augenblick. Ich war wirklich kurz davor aufzugeben und Nathalie zu bitten, mich alleine zu lassen.

      Trotzdem konnte ich ein gewisses Gefühl des Stolzes nicht ganz unterdrücken. Ich hatte durchgehalten und war dennoch verdammt froh darüber, dass wir heil aus der Zuflucht entkommen waren und Tarid ein Schnippchen geschlagen hatten. Bestimmt wird sie sich immer noch verwundert fragen, was da eigentlich in der Hütte vorgefallen war.

      Vielleicht dichtete sie mir ja sogar irgendwelche Zauberkräfte an, über die ich möglicherweise verfügte?

      Aber das war mir nur mit Hilfe von Nathalie gelungen. Ich wollte mir schlichtweg nicht vorstellen, dass ich mich jetzt vielleicht schon in einem Stasisfeld befinden könnte und ebenso spurlos verschwunden wäre, wie ihre Schwestern.

      Noch nie hatte sich jemand so sehr für mich eingesetzt. Meine Zuneigung zu ihr wuchs immer mehr – und in diesem Moment war mir klar, dass ich mich rettungslos in sie verliebt hatte.

      Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, obwohl ich sie schon sehr anziehend, aufregend und unglaublich sexy fand. Doch wie ich ihr das sagen sollte, das stand noch in den Sternen. Ich wusste zwar, dass sie auch was für mich empfand – aber Liebe?

      Ich stellte mein ganzes Gefühlschaos erst einmal zurück, denn jetzt hatten wir andere Probleme. Ein rascher Blick zu ihr offenbarte mir, dass auch an ihr die Strapazen der letzten Stunde nicht spurlos vorüber gegangen waren. Deutlich konnte ich ihr ansehen, dass auch sie erschöpft war, wenn auch lange nicht so stark wie ich.

      Woher nahm sie nur diese Kraft und Energie?

      »Danke«, brach ich schließlich das Schweigen. »Du hast mir das Leben gerettet.«

      »Gern geschehen«, erwiderte sie.

      Mit Sicherheit hätte sie dabei schelmisch gegrinst, wenn es ihr möglich gewesen wäre.

      »Lass es nur nicht zur Gewohnheit werden«, fügte sie noch hinzu.

      »Ich werde mir Mühe geben.«

      So wie es aussah, erholte sie sich wesentlich schneller als ich, da sie schon wieder scherzen konnte. Doch es tat mir gut, lenkte es mich doch von der ganzen undurchschaubaren Geschichte ab, in die ich so unvermittelt hinein geraten war.

      Hoffentlich war dieser Stress mit all seinen Strapazen bald vorbei, damit ich in mein altes, beschauliches Leben zurückkehren konnte. Ob mir das allerdings jetzt noch problemlos gelingen würde, wagte ich zu bezweifeln, jetzt wo ich Nathalie und ihre Welt der Magie kennengelernt hatte.

      »Geht es wieder?« erkundigte sie sich nach einer Weile mitfühlend.

      »Lass mir noch ein Weilchen«, bat ich sie. »Diese Jagd da drinnen hatte mir absolut das Letzte abverlangt. Ich war noch nie so kaputt, das kannst du mir glauben. Ich könnte auf der Stelle einschlafen und nie mehr aufwachen.«

      »Unterstehe dich«, drohte Nathalie.

      »Hast du eine Ahnung, wo wir ungefähr sind?«

      »Nicht die geringste«, gestand sie. »Ich wollte nur noch weg von der Pforte und habe nicht auf unsere Umgebung geachtet.«

      »Dann könnten wir also sonst wo sein?«

      »Ja«, dehnte Nathalie. »Aber mach dir mal keine Gedanken, wir werden schon zurückfinden.«

      »Du hast gut reden«, beschwerte ich mich, schon wieder etwas munterer. »Du musst deinem Chef ja auch nicht erklären, warum du am Nachmittag nicht mehr zur Arbeit erschienen bist.«

      »Hey!«

      »'tschuldigung«, brummte ich kleinlaut. »Das belastet mich eben.«

      »Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber ich bin mir sicher, dass wir auch dafür eine Lösung finden werden. Du wirst sehen. Wir lassen dich dabei nicht im Stich. Versprochen!«

      »Okay, ich vertrau dir ja.«

      »Das ist gut«, entgegnete sie und rückte näher an mich heran. »Du hast dich echt klasse gehalten da drinnen und dir vor Tarid keine Blöße gegeben, auch wenn es nicht ganz leicht für dich war.«

      »Na ja, es ist ja auch schon ein großer Anreiz, wenn das eigene Leben davon abhängt.«

      »Gleichwohl, du hast deine Sache besser gemacht als ich erwartet hatte«, erklärte sie und schmiegte sich noch enger an mich.

      Diesmal begann mein Herz nicht durch die übermenschliche Anstrengung zu pochen, die ich hinter mir hatte. Sondern es war ihre reizvolle Nähe zu mir. Ich genoss sie in vollen Zügen, das will ich gar nicht abstreiten, aber ich konnte es nicht so recht würdigen, so erledigt wie ich war.

      Das Einzige, zu dem ich fähig war, war ein kurzes Reiben meines Schnabels an ihrem. Wie sehr sehnte ich mich danach, sie jetzt so richtig in den Armen zu halten und sie zu küssen.

      Der kurze, intime Moment war aber schnell wieder vorbei, als sie von mir abrückte.

      »Ruh dich noch eine Weile aus. Ich sehe mich derweil ein wenig um«, verkündete sie. »Vielleicht gelingt es mir herauszufinden, wo wir uns befinden. Ich bin bald wieder zurück.«

      »Sei bitte vorsichtig«, bat ich sie und gab ihr nickend meine Zustimmung.

      »Du kennst mich doch«, erwiderte sie mit einem Kichern.

      Daraufhin hopste sie auf einen höheren Ast über mir, breitete ihre eleganten, hübsch gemusterten Schwingen aus und ließ mich mit einem leisen Krächzen alleine im Busch sitzen.

      Ich konnte nur hoffen, dass unsere Verfolger uns nicht mehr auf den Fersen waren und unsere Spur verloren hatten. Hoffentlich kam sie bald wieder gesund und munter zurück.

      So sehr ich mir auch Sorgen um sie machte, genoss ich doch die Ruhe. Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag wieder und das Pochen in meinen Schultern ließ langsam nach.

      Doch ich machte mir keine Illusionen. Uns könnte noch ein verdammt langer Flug bevorstehen und ich hatte keine Ahnung, wie ich den überstehen sollte. Ich war jetzt schon vollauf ausgelaugt und hatte kaum noch Kraft, um mich an den Ast zu krallen. Da half auch eine kurze Rast nicht mehr viel.

      Genau in diesem Moment meldete sich mein Magen mit einem nagenden Hungergefühl. Da wurde mir bewusst, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr zu mir genommen hatte. Und nach dem Sonnenstand zu urteilen, musste es später Nachmittag sein.

      Na, klasse. Damit würde alles nur noch schwieriger werden. Ich hatte jetzt noch kaum irgendwelche