J.L. Stone

Sieben Schwestern - Seranas Rache


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als erstes suchen werden?«

      »Am Tor?«

      »Genau«, trumpfte sie auf. »Denn sobald sie deine Kleider und den Zauberkreis finden, können sie sich ausrechnen, was wir getan haben.«

      »Verdammt!« fluchte ich. »Das war meine Lieblingsjacke!«

      »Tja«, meinte sie etwas mitleidig. »Die wirst du jetzt wohl abschreiben müssen.«

      Doch das nahm ich ihr nicht so ganz ab. Sicherlich amüsierte sie sich mal wieder nur köstlich auf meine Kosten. Dennoch würde ich mich wohl oder übel damit abfinden müssen, auch wenn mein Herz an der Jacke hing.

      »Na gut«, lenkte ich etwas niedergeschlagen ein. »Was sollen wir dann machen?«

      »Das ist relativ simpel«, erwiderte sie. »Wir müssen nur eine andere Pforte finden.«

      »Und wo?«

      »Das weiß ich auch nicht«, gestand sie.

      »Aber du hast doch zweifelsohne schon eine Idee, wie wir das anstellen sollen, oder? Wir können unmöglich das ganze Refugium abfliegen.«

      »So in etwa«, entgegnete sie. »Ich denke, wenn wir richtig hoch aufsteigen und uns von dort oben etwas umsehen, werden wir schon einen Hinweis darauf entdecken. Irgendwo müssen sich ja die anderen Tore befinden. Zudem sind wir in dieser Höhe nicht so leicht zu entdecken.«

      »Und wie willst du die Pforte überhaupt überwinden, wenn wir sie erreichen?« sprach ich einen Punkt an, der mir schon eine Weile Kopfzerbrechen bereitete.

      »Das sollte kein so großes Hindernis sein«, winkte sie ab. »Alle Pforten funktionieren auf die gleiche Art und Weise. Zudem hat jeder Clan einen eigenen Code für Notfälle, der jedes Tor ihrer Heimstatt öffnet und den normalerweise nur das Clanoberhaupt kennt.«

      »Und woher kennst du ihren Code?«

      »Tanja hat ihn mir mal verraten.«

      »Ach so«, machte ich verständnislos. »Und wenn sie die Pforten blockieren?«

      »Dann funktioniert der Code trotzdem«, wiegelte sie ab und verschwand mit kräftigen Flügelschlägen im strahlenden Blau des Himmels über dem Buschland.

      Obwohl ich in den beiden Tagen sportlich derart aktiv war – oder vielleicht trotz – hatte ich Mühe, ihr zu folgen. Die Muskeln in meinen Schultern schmerzten schon jetzt. Trotz allem bemühte ich mich darum an Nathalie dran zu bleiben.

      Da es zudem kaum Luftströmungen oder eine Thermik gab, die das Fliegen etwas erleichtert hätten, stellte dies eine reine Kraft- und Willensanstrengung dar. Dessen ungeachtet genoss ich dieses unglaubliche Erlebnis in vollen Zügen.

      Rasch hatten wir eine ausreichende Höhe erreicht und begannen enge Kreise zu ziehen. Dabei konnte ich meinen strapazierten Muskeln eine kleine Auszeit gönnen. Doch der Blick in die Tiefe entschädigte mich für alles. Er war glattweg atemberaubend.

      Ich konnte fast das gesamte Gelände der Heimstatt überblicken. Trotz der großen Höhe konnte ich alles sehr gut erkennen. Restlos scharf. Da erst erinnerte ich mich, über welch hervorragende Augen Raubvögel verfügten.

      Genau unter mir im Zentrum thronte, wie eine Spinne in ihrem Netz, eine mächtige Trutzburg, die das Zuhause des Raben-Clans sein musste. Sie machte allerdings einen ziemlich schäbigen und nicht gerade sehr einladenden Eindruck auf mich.

      Umgeben war sie von einer weitläufigen Steppe, durch die sich ein verzweigtes Netzwerk von Wegen und Pfaden zog. Die Graslandschaft wurde von kleineren Buschgruppen durchbrochen, die die einzigen Farbtupfer im einheitlichen Braun darstellten.

      An den Rändern des Refugiums erhoben sich teilweise dunkle Wälder, ähnlich dem, aus dem wir geflohen waren. Die meisten Wege und Pfade verschwanden unter deren Blätterdach.

      »Die ist ja bis jetzt nur minimal geschrumpft«, wunderte sich Nathalie.

      »Wie meinst du das?«

      »Soweit ich mich erinnern kann, hatte die Zuflucht des Raben-Clans einen Durchmesser von ungefähr 10 Kilometer«, erklärte sie. »Jetzt schätze ich diesen auf etwa acht.«

      »Und dann schieben die schon solch eine Panik?« stieß ich hervor.

      »Na ja, du musst verstehen, dass es zu Anfang ein schleichender Prozess ist, der sich mit der Zeit dann erheblich beschleunigt. Ich schätze, in circa sechs Monaten hat sich die Heimstatt völlig aufgelöst.«

      »Und dann stehen sie auf der Straße?«

      »So in etwa, wenn sie bis dahin kein neues Refugium erschaffen haben oder bei einem befreundeten Clan Unterschlupf finden.«

      »Welche Konsequenzen hat das für uns?«

      »Dass die Auswahl an Toren immer noch sehr groß ist«, bemerkte sie und studierte alles ganz genau.

      »Und das bedeutet?«

      »Dass wir uns auf unser Glück verlassen müssen«, erklärte sie. »Da ich nicht weiß, wohin jedes einzelne Tor führt, ist es letztendlich egal, für welches wir uns entscheiden. Ich hoffe nur, dass wir eins erwischen, das zurück in die Stadt oder deren Nähe führt.«

      »Wie meinst du das?«

      »Nun«, fing sie mit ihrer Erklärung an. »Nicht jede Pforte endet irgendwo in der Stadt. Sie können in der Außenwelt sehr weit auseinander liegen. Oder hast du vielleicht gedacht, dass unsere Heimstätten nur auf ein enges Gebiet begrenzt sind.«

      »Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht«, gestand ich. »Somit könnten wir also überall auf der Welt auftauchen, weitab von unserem Zuhause?«

      »Na ja, nicht auf der ganzen Welt, aber schon in einem großen Gebiet«, schränkte sie ein.

      »Na klasse!« seufzte ich. »Das könnten ja dann Hunderte von Kilometern sein.«

      Die Aussicht, eine solch große Strecke bei meiner schlechten Kondition noch zurücklegen zu müssen, wenn wir die falsche Pforte auswählten, heiterte mich nicht gerade auf. Die Chancen standen verdammt gut, dass uns dieses Schicksal erwartete.

      »Nicht ganz diese Dimensionen, aber du hast es im Grunde erfasst.«

      »Du kannst einem wirklich Mut machen!« beschwerte ich mich.

      »Jetzt lass mal nicht den Kopf hängen«, bemühte sie sich mich aufzumuntern. »Es wird schon schiefgehen.«

      »Dein Wort in Gottes Ohr.«

      »Vertrau mir«, forderte sie mich auf. »Doch jetzt haben wir genug geredet. Lass uns endlich von hier verschwinden und einem dieser Wege folgen.«

      »Nach dir«, gab ich ganz den Gentleman.

      Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Noch ehe ich ausgesprochen hatte, legte sie die Flügel etwas an und ließ sich langsam tiefer sinken. Dabei folgte sie einem ziemlich gut erkennbaren Pfad, der von der Trutzburg zum Rand der Zuflucht führte.

      3 – Entdeckungen

      Wir hatten etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als Nathalie unerwartet von unserem anvisierten Ziel abwich. Unweit von mir begann sie dann hektisch mit den Flügeln zu schlagen, um auf der Stelle zu verharren, so wie es Falken taten, wenn sie auf Beute aus waren.

      »Was ist?« wollte ich wissen, als ich es neben ihr gleich tat.

      Meine Muskeln protestierten zwar heftig gegen diese erneute Belastung, aber mir blieb keine andere Wahl. So biss ich den Schnabel zusammen und versuchte neben Nathalie in der Luft zu stehen. Es gelang mir nur sehr mäßig. Immer wieder scherte ich zur Seite aus oder sank etwas nach unten.

      »Hier ist irgendetwas«, erwiderte sie abwesend und starrte angestrengt in die Tiefe.

      Noch immer erstreckte sich unter uns die weite Steppe, die von hohem Gras bewachsen war. So sehr ich mich auch anstrengte,