Claus-Peter Bügler

Chong


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er die Oberfläche endlich wieder erreicht hatte. Er entdeckte Mina wenige Meter hinter sich und winkte ihr kurz zu, doch kaum hatte Mina begonnen in Chongs Richtung zu schwimmen, als ein neues, fremdes und doch zugleich irgendwie vertrautes Geräusch an seine Ohren drang: Motoren. Schiffsmotoren ...

      Es dauerte nicht lange, bis eine schneeweiße Jacht am Horizont auftauchte und mit hoher Geschwindigkeit auf die beiden im Wasser Treibenden zuraste. Wenig später zerriss das tödliche Knattern einer Maschinenpistole die Luft und ließ zahllose schäumende, kleine Fontänen in Chongs unmittelbarer Nähe in die Höhe schießen.

      >>Achtung. Sie haben vor, uns zu überfahren<<, brüllte Chong dem Mädchen zu, als er erkannte, dass die Jacht geradewegs auf sie zusteuerte.

      >>Wir müssen tauchen. Schnell.<<

      Chong blieb keine Zeit sich zu vergewissern, ob seine Begleiterin die Botschaft verstanden hatte, denn der Bug des Schiffes war jetzt nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Er holte tief Luft und tauchte abermals hinab, als auch schon die Jacht an der Oberfläche über ihn hinweg raste, so dicht, dass er das durch die Schiffsschrauben verdrängte Wasser hart in seinem Rücken spürte.

      Er tauchte hinter der Jacht wieder auf und schnappte nach Luft, als in seiner Nähe ein birnenförmiger Gegenstand auf das Wasser klatschte und detonierte. Die Handgranate ließ sekundenlang einen kreisrunden, wabernden und zischenden Krater entstehen. Meterhohe Wasserfontänen schossen in die Luft. Chong stellte zu seiner Beunruhigung fest, dass die Jacht ihre Fahrt zurückgenommen hatte und nun langsam dahintrieb. Er schluckte schwer, als er auf der Reling fünf bewaffnete Männer entdeckte, deren Pistolen allesamt auf ihn zielten.

      >>Du solltest jetzt ganz lieb und artig sein. Sonst werden dir meine Leute deinen gottverdammten Schädel wegblasen<<, hörte Chong hinter den Schützen jemanden rufen, und so streckte er zum Zeichen seiner Aufgabe den rechten Arm aus dem Wasser.

      >>Kluges Kerlchen. Bereite dich schon mal auf deine Niederlage vor. Sie wird schmerzhaft, sehr schmerzhaft. Und jetzt holt mir dieses dumme Arschloch endlich an Bord.<<

      >>Was ist mit dem Mädchen?<<, rief Chong zurück, als man ihm eine Strickleiter zuwarf.

      Der Mann, der hoch über Chongs Kopf an der Reling stand, lachte hämisch.

      >>Die Hure? Futter für die Haie … und das wirst du auch bald sein ... <<

      ***

      Ihre Gefühle waren ein einziger Cocktail aus Angst und Erregung, während die schwere Harley auf den Wagen, von dem sie verfolgt worden war zuraste. Han-Yeun atmete tief durch, doch sie musste rasch feststellen, dass ihr Plan nicht aufzugehen drohte, denn ihr Gegner hielt gnadenlos seinen Kurs, statt das Steuer herumzureißen und auszuweichen. Offensichtlich war er entschlossen sie zu rammen. Hans Herz begann plötzlich wild zu hämmern, als ihr klar wurde, auf welch gefährliches Spiel sie sich eingelassen hatte. Der Wagen, auf den sie mit ihrem Motorrad geradewegs zuschoss, war jetzt keine 20 Meter mehr von ihr entfernt.

      10 Meter …

      5 ...

      In letzter Sekunde stellte sich die Harley auf ihr massiges Hinterrad, als die Maschine mit dem Wagen kollidierte. Mit viel Glück setzte der Vorderreifen des Bikes auf der Motorhaube auf. Die Geschwindigkeit der Harley lieferte den nötigen Schub, um die Maschine blitzschnell über Haube, Windschutzscheibe und Dach des Wagens rollen zu lassen. Blech ächzte und stöhnte, als das Motorrad über das Heck des Wagens auf den Asphalt hinabrollte. Han schaffte es nur mit äußerster Mühe, die schleudernde Maschine unter Kontrolle zu halten. Ihr Herz raste, als sie das Bike forsch abbremste, während der Wagen ausbrach und gegen einen Hydranten knallte. Han sah, wie ein dicklicher Mann mit blutiger Stirn sich aus dem Fahrzeug schälte und wie ein Betrunkener auf sie zutorkelte.

      >>So ein Mist<<, fluchte Han leise, denn ausgerechnet jetzt ging das Benzin endgültig zur Neige und der unbekannte Kerl kam langsam näher wie ein Wolf der wusste, dass seine Beute in der Falle saß.

      Han hüpfte rasch vom Rücken der Harley und stutzte irritiert, denn der Mann änderte urplötzlich seine Richtung, um geradewegs auf eine Ansammlung von Mülltonnen zuzuschwenken.

      >>Maaaaaamiiiiii<<, kreischte dahinter auf ein Mal eine angsterfüllte Kinderstimme und Han spürte, dass es höchste Zeit wurde zu handeln.

      >>Meine Tochter bekommst du nicht, du Scheißkerl.<<

      Han musste mit ansehen, wie der Mann ihr Kind grob am Arm zerrte, wobei sein Gesicht durch ein geradezu grotesk wirkendes Grinsen entstellt wurde.

      >>Hör endlich auf, mir mit deiner verdammten Plärrerei auf den Geist zu gehen, sonst setzt es was<<, brüllte der Mann das Mädchen an.

      Su-Lin zuckte zusammen, als hätte man ihr einen Stromschlag verpasst.

      >>Liebes, tu' was der böse Mann dir sagt. Mami ist gleich bei dir. Hab' keine Angst ... <<

      Der Kerl fuhr wütend herum. Seine braunen Augen funkelten bösartig, als er mit der freien Hand ein Stilett aus seiner Jackentasche hervorkramte.

      >>Versuch's, du verdammte Schlampe. Komm schon, du Nutte. Ich werde dich gleich bis zum Hals aufschlitzen.<<

      Der Kerl lachte irre als in der Ferne Sirenengeheul ertönte.

      >>Die Polizei wird bald hier sein. Lassen Sie mich und meine Tochter gehen und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen werde.<<

      >>Unannehmlichkeiten?<< Der Mann äffte linkisch Hans Tonfall nach. >>Unannehmlichkeiten, die wirst du gleich haben, Schätzchen, nicht ich ... <<

      Überraschenderweise gab der Kerl Su-Lin einen Schubs, dass sie aufschreiend zu Boden stürzte, während er sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihre Mutter warf. Han nahm hilflos wahr, wie sie zu Boden gerissen wurde, spürte heißen, übel riechenden Atem in ihrem Gesicht. Der Mann lag über ihr und hatte vor ihr das Messer in die Kehle zu rammen. Mit aller Verzweiflung setzte Han sich zur Wehr. Dann ging alles rasend schnell. — Reifen quietschten. Türen knallten. Schwere Stiefelschritte. Schüsse ...

      Han musste mit ansehen, wie durch eine Kugel ein großes Stück des linken Schläfenknochens ihres Peinigers förmlich zerfetzt wurde und sich nun Blut und Hirnmasse auf ihren Oberkörper ergoss. Angewidert rollte sie den Toten von sich und übergab sich röchelnd. Jemand legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie blickte hinauf zu dem freundlich-mitfühlenden Uniformierten und fühlte sich schwach erleichtert.

      >>Alles in Ordnung?<<

      Sie nickte kraftlos. >>Wo ist … <<

      >>Ihr Kind?<<, vollendete der Polizist Hans Satz, wobei er einem weiteren Beamten ein Zeichen gab.

      Kurz darauf huschte Su-Lin kreidebleich in die Arme ihrer Mutter, doch Han ahnte instinktiv, dass der Albtraum noch lange nicht vorbei war ...

      ***

      Chong hatte seine Füße kaum an Deck, als ihm irgendjemand von hinten hart den Lauf einer MP in den Rücken rammte. Er strauchelte, verlor das Gleichgewicht und knallte auf seine Knie. Irgendwer trat ihm plötzlich schmerzhaft in die Seite und er biss auf die Zähne, schluckte den Schmerz, der von seinen brennenden Rippen ausging. Wie durch einen dichten, undurchdringlichen Nebel sah Chong ein paar schwarze Sandalen vor sich. Er blickte wie ein Betrunkener in die Höhe, sah verschwommen eine weiße Hose und nach einer Ewigkeit tauchte das zu der Hose passende Gesicht in weiter Ferne auf. Ein grinsendes, bösartiges Gesicht mit asiatischen Zügen.

      >>Willkommen<<, sagte Maurice Cheng lässig. Er blies den Rauch seiner Zigarette weit von sich. >>So sieht man sich also wieder ... << Cheng schob sich genüsslich die Zigarette zwischen die schmalen, kalten Lippen und sog den Rauch tief ein. >>Ich würde sagen, diesmal sind deine Karten ziemlich mies, denn wir werden dich endgültig zum Teufel jagen. Ich hasse nichts mehr, als wenn irgendein gottverfluchter Hurensohn wie du sich in meine Geschäfte einzumischen droht.<<