Claus-Peter Bügler

Chong


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ihrer Mutter: Falls irgendjemand jemals versuchen sollte dich festzuhalten oder dir wehzutun, dann versuch ganz einfach wegzulaufen ... zu anderen Erwachsenen oder zur Polizei ... um Hilfe zu holen. Su-Lin beschloss, sich diesen Rat zunutze zu machen.

      Ihr Zimmer lag ebenerdig, sodass sie mit einem einzigen Sprung von der Fensterbank gefahrlos auf dem grünen, streichholzkurzen Rasen vor dem Haus landen würde, ohne sich zu verletzen. Sie schlüpfte hastig in ihre Schuhe, lauschte noch einmal kurz an der Zimmertür, fischte aus ihrem Kleiderschrank eine flauschige rosa Jacke und öffnete schließlich das Fenster. Warme, milde Luft begann sie sanft zu umhüllen, während sie auf die Fensterbank hinaufkrabbelte. Sie ging tief in die Hocke und landete mit einem leichten Hopser auf dem Rasen. Auch wenn der unheimliche, fremde Mann, der so plötzlich in ihrem Zimmer aufgetaucht war sie erschreckt hatte, so fand sie zugleich auch alles ziemlich aufregend und spannend. >>Wie im Kino<<, flüsterte sie, sprang auf die Füße und huschte ums Haus, um bald darauf mit der Dunkelheit zu verschmelzen.

      Kurze Zeit später erhellte sich plötzlich ihr Zimmer, als das Licht eingeschaltet wurde. Jemand riss fluchend vor Wut das Fenster, durch welches das Mädchen entschlüpft war auf und stierte wie ein Wolf, den man um seine Beute betrogen hatte, in die Nacht hinaus.

      >>Verdammtes Balg<<, schimpfte der Kerl. Er ärgerte sich, dass er so dumm und leichtsinnig gewesen war, die Kleine aus den Augen zu lassen. Innerlich rechnete er bereits damit, dass die Göre bald mit irgendwelchen Nachbarn oder gar den Bullen auftauchen würde. >>Zeit, die Segel zu streichen.<<

      Als Souvenir hinterließ er eine mit den Schuhen ausgetretene Zigarettenkippe auf dem Treppenabsatz vor der Eingangstür.

      Irgendwo knackten Zweige in der Dunkelheit. Das Knacken wurde von leichten, schnellen Kinderfüßen begleitet.

      >>Ich würde dir liebend gerne deinen Arsch versohlen<<, murmelte der Mann, doch er hatte nicht die geringste Lust mit der Kleinen Fangen zu spielen und so verwarf er den Gedanken rasch wieder.

      Das Grollen eines schweren Motorrads dröhnte im selben Moment durch die nächtliche Straße, wurde lauter und lauter. Der Mann hegte keinen Zweifel, dass die Maschine sehr rasch näherkam.

      >>Falsch verbunden<<, stieß der Kerl in Gedanken gehässig hervor, dann fiel schlagartig der Groschen. Er hatte keinen Zweifel, dass es sich bei dem Motorradfahrer um die Anruferin handelte, die einige Zeit zuvor mit ihm telefoniert hatte. Das Motorrad verlangsamte seine Fahrt, wodurch das Grollen der Maschine in ein sanftes Brummen überging.

      >>Maaaaaammmmiiii<<, plärrte irgendwo ein helles, zögerliches Kinderstimmchen, als die Harley endlich zum Stehen kam.

      Die zierliche Frau auf dem Rücken der Maschine klappte das Visier ihres Helmes hoch und starrte völlig entgeistert, aber doch zutiefst erleichtert auf ihre Tochter, die sich vor ihr wild gestikulierend aus der Dunkelheit schälte. Dann erblickte sie den fremden Mann auf dem Treppenabsatz vor ihrer Haustür und der unbekannte Kerl sah sie ...

      Mit raschen Schritten kam er näher und Han hatte das Gefühl, als würde das schmierige Grinsen im Gesicht des Mannes größer und größer, als wüsste er bereits siegessicher, dass sie ihm nicht entkommen konnte.

      >>Spring auf! Schnell ... mach schon ... beeil dich, er hat uns gleich erreicht ... <<

      Schon umklammerte Su-Lin mit beiden Armen den Oberkörper ihrer Mutter die Vollgas gab, bis sich die schwere Maschine wie ein sprungbereiter Löwe kurz auf das Hinterrad stellte und davonjagte. Das Mädchen drehte kurz den Kopf, um über ihre Schulter nach hinten zu blicken, wodurch der Fahrtwind ihre Haare zerzauste.

      >>Der Mann steigt in ein blaues Auto<<, kreischte Su-Lin über den Motorenlärm ihrer Mutter zu. >>Jetzt verfolgt er uns.<<

      >>Hätte ich mir fast denken können<<, sagte Han mehr zu sich selbst als zu ihrer Tochter. >>Festhalten! Wir biegen ab.<<

      Das Motorrad legte sich mit seiner gewaltigen Masse so stark auf die Seite, dass Hans Knie fast den Boden streifte, als sie an der folgenden Kreuzung rechts abbogen, doch der blaue Wagen blieb ihnen unerbittlich auf den Fersen. Han warf einen flüchtigen Blick auf die Benzinanzeige der Harley, um festzustellen, dass der Tank fast leer war. Ein dunkler Schatten huschte unheilvoll über ihr Gesicht.

      >>So ein Mist<<, fluchte sie leise, dann kam ihr eine Idee.

      Sie nahm das Gas weg, bis die Maschine an den Straßenrand rollte.

      >>Los. Spring ab. Schnell. Versteck' dich.<<

      Su-Lin blickte ihre Mutter verständnislos an. >>Aber Mama.<<

      >>Keine Widerrede. Mach was ich dir sage. Los, beeil dich.<<

      Das Mädchen sprang schließlich vom Sozius, um sich hinter ein paar Mülltonnen zu kauern.

      Man muss im Leben wissen, wann man kämpfen muss, hatte Chong früher einmal zu seiner Frau gesagt.

      >>Du hast recht, mein Lieber<<, flüsterte sie leise.

      Dann wendete sie mit ruhiger Entschlossenheit das Motorrad und steuerte geradewegs auf ihren Verfolger zu ...

      ***

      Mina sah es zuerst.

      Luftblasen, die ganz in ihrer Nähe aus der Tiefe des kühlen Meerwassers aufstiegen. Dicht unter der Wasseroberfläche schwebte ein dunkler, schwarzer Schatten langsam auf sie und Chong zu.

      Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, seit der Frachter in die Luft geflogen war, nur vereinzelt trieben Trümmer im Wasser. Stumme Zeugen der Katastrophe, die Chong und seine Begleiterin nur mit viel Glück überlebt hatten.

      >>Da drüben. Was ist das?<<

      Chong schwamm herum und blickte in die Richtung, in welche Mina deutete. >>Ich glaube, wir kriegen gleich Besuch. Sieht aus wie ein Froschmann ... <<

      Er holte tief Luft und tauchte. Jetzt konnte er den anderen genau vor sich sehen. Es war ein Taucher, der langsam auf ihn zu glitt. Seine Harpune zielte unmittelbar auf Chongs Kopf und das wollte diesem gar nicht gefallen ... Chong sah, wie der Kerl, der sich nur wenige Meter von ihm entfernt befand, abdrückte. Blitzschnell bewegte sich etwas silbrig Glänzendes durchs Wasser. Chong machte eine Drehung und tauchte zur Oberfläche zurück, um nach Luft zu schnappen, wodurch das Geschoss haarscharf an ihm vorbei glitt.

      >>Vorsicht<<, kreischte Mina urplötzlich. >>Hinter dir.<<

      Chong fuhr herum. Der Froschmann hatte ihn ganz offensichtlich schneller erreicht, als er es erwartet hatte. Dafür hielt der Taucher jetzt in seiner rechten Hand ein großes Marinemesser mit nachtschwarzem Griff, bereit auf Chong einzustechen. Der andere war ein richtiger Riese mit Bärenkräften, wie Chong feststellen musste, denn obwohl es ihm gelang, den Arm des Angreifers zu fassen und ihm das Messer zu entwenden, zog der Kerl ihn wie eine Spielzeugpuppe zu sich heran, um seine massigen Pranken wie zwei Schraubstöcke um seine Oberkörper zu legen. Chong hatte das Gefühl, als versuchte jemand ihm das Rückgrat zu brechen, während der harte, kontinuierliche Druck der gegnerischen Arme allmählich sämtliche Luft aus seinen Lungen presste. Das Blut in Chong Schläfenarterie begann wild zu pulsieren, zu klopfen, zu hämmern, als der andere ihn unter Wasser zog. Tiefer und tiefer sanken die beiden Männer in ihrem gnadenlosen Ringen, das nur einer von ihnen überleben würde, dem Meeresgrund entgegen. Chong schaffte es schließlich, dem Froschmann das Mundstück seines Atemgerätes zu entreißen. Der verdrehte schlagartig die Augen, schlug und zappelte wie ein Fisch, als sich Chongs Rechte in seine Leber bohrte. Tausende Luftblasen stiegen aus dem stumm geöffneten Mund des Mannes auf und endlich spürte Chong, wie sich die Umarmung seines Gegners zu lockern begann, als der Körper des Tauchers erschlafft.

      Chong tat einen tiefen Zug aus dem Mundstück und ließ den Sauerstoff in seine brennenden Lungen strömen. Wenig später tauchte er der Wasseroberfläche entgegen, während der bewusstlose Taucher durch das Gewicht seines Atemgerätes unbarmherzig in die Tiefe gezogen wurde, seinem sicheren Tod entgegen.

      Chong