Caro Weidenhaus

Irrländer


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schien ihm doppelt und kaum zu ertragen. Meine Frau, mein Heim, verloren, dachte er, und ob ich jemals wieder zurückkehren kann, ist so ungewiss wie alles im Leben. Obwohl man ihm versichert hatte, dass, wenn die Lage wieder unter Kontrolle sei, das Haus bereit stehen würde. Mit vollem Kühlschrank, lachte der Mann am Telefon. Als würde er persönlich das Anwesen Tag und Nacht vor Brand und Plünderung schützen können.

      Am Tag, bevor er fliehen sollte, er empfand es als Flucht, entschied er sich, Carla einzuweihen. Ihr zumindest die halbe Wahrheit zu erzählen. Er hatte bei dem Gedanken daran ein doppelt schlechtes Gewissen. Er hatte seinen „Rettern“ Verschwiegenheit zusagen müssen. Nicht einmal Freunden oder nahen Verwandten gegenüber, durfte er das Arrangement erwähnen. Als sei er jemand, der in einem Zeugenschutzprogramm unterkam. Oder als sei er an einer Verschwörung beteiligt. Wie letzteres kam ihm die Situation auch vor. Aber was sollte er anderes tun, als sein Misstrauen zu verdrängen und zu hoffen, dass er und erst recht Luisa bald in Sicherheit sein würden. Gottseidank gab es keine nahen Verwandten oder enge Freunde, die er vermissen würde.

      Carla gegenüber hatte er erst recht einen Grund, sich unbehaglich zu fühlen. Sie würde von heute auf morgen ohne Job dastehen, außer, er konnte sie zum Mitkommen überreden. Das Kind sollte nicht in so kurzer Zeit noch einmal eine Bezugsperson verlieren. Und auch er hatte sich an Caro gewöhnt. Er hatte aber wenig Hoffnung, dass sie sich ohne konkrete Informationen auf solch eine Abenteuer einlassen würde.

      Das Gespräch machte ihn schon im voraus nervös, dabei war es doch die geringste seiner Sorgen. Wie immer Carla sich entschied, letztenendes würde es kaum einen Einfluss haben, redete er sich ein.

      Er bat sie ins Wohnzimmer. Sie setzte sich mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Couchkante, das Kind auf dem Schoß. Ihr war unbehaglich zu mute, das konnte er ihr ansehen. Weil sein Ton zu geschäftig geklungen hatte? Er musste es lockerer angehen lassen.

      „Ich brauche einen Drink. Sie auch?“ sagte er. Sie schüttelte den Kopf. Er zögerte, ging dann aber zur Hausbar und schenkte sich einen Cognac ein. „Manchmal sind wir nicht Herr unserer Pläne. Die Umstände entscheiden für uns.“ sagte er. Ein blöder Anfang.

      Sie schwieg immer noch. Luisa schlüpfte ihr vom Schoß, steuerte das Klavier an und versuchte den Deckel zu öffnen. Das Klavier seiner Frau. Niemand spielte mehr darauf. Seine Frau hatte auch selten und nicht sehr gut gespielt.

      „Um es geradeheraus zu sagen, wir werden eine Zeit lang wegziehen. Für länger. Für eine unbestimmte Zeit. Die Umstände.“

      Carla zog die Luft scharf ein und kniff die Augen zusammen.

      Er nahm einen großen Schluck Cognac, verschluckte sich und musste husten.

      „Dann bin ich gekündigt?“

      „Ich habe ihr Gehalt überwiesen, für die nächsten drei Monate, natürlich.“

      „Wann?“

      Jetzt brach ihm der Schweiß aus. Meingott, als würde er das erste mal in seinem Leben eine Kündigung aussprechen. „Es muss sehr schnell gehen. Morgen.“

      Luisa hatte es geschafft, den Klavierdeckel einen Spalt breit hochzuschieben und die Finger dazwischen geklemmt. Ihr Geschrei zerschnitt das Schweigen, mit dem Carla auf die Nachricht reagierte. Bevor er die Situation erfasste, sprang sie auf, nahm das Kind auf den Arm, besah sich die Finger, pustete darauf, murmelte etwas und vergrub das Gesicht in Luisas Haaren.

      „Sie könnten auch...obwohl ich das kaum erwarte. Wenn sie mitkommen? Es...es würde mich freuen. Für Luisa wäre es sehr schön. Sie tun dem Kind gut. Das habe ich wohl versäumt, ihnen schon früher zu sagen.“

      „Oh Mann. Ich soll mit? Morgen? Wohin?“

      „Auch das kann ich nicht sagen.“

      „Sie müssen doch wissen, wohin die Reise geht? Wissen sie wie das klingt?“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Sie haben Schiss, nicht war? Angst, das etwas passiert. Das Haus angezündet wird oder so.“ Sie lief mit dem leise weinenden Kind auf dem Arm hin und her, es sah aus, als wolle sie die Füße in den Boden rammen.

      Plötzlich wollte er es nur noch beenden, sie los werden, für heute. In seinem Kopf vibrierte es, als würde gleich eine Seite reißen. Er stand auf, gab das Zeichen. „Es tut mir leid. Überlegen sie es sich.“ Er nahm ihr Luisa ab.

      Caro ließ die Arme hängen. „Ich lege mich nicht gerne fest. Ich brauche Raum, will nicht festgenagelt werden.“ sagte sie.

      „Den Eindruck hatte ich nicht. Sie waren immer da, immer zuverlässig.“

      „Kinder soll man nicht enttäuschen.“

      „Vielleicht stehen sie morgen früh mit einem Koffer in der Tür. Wenn nicht, tut es mir sehr leid.“

      „Es geht nicht. Wir stehen auf verschiedenen Seiten.“ sagte Carla.

      „Das verstehe ich nicht.“

      „Dann erzähle ich ihnen mal was. Von der anderen Welt. Aus der ich komme, in die ich jeden Abend zurückgehe. Mein Freund ist Journalist. Er ist sechsundzwanzig Jahre alt, davon hat er ganze vier Jahre einen Job gehabt und Geld verdient. Er war selig, gleich nach der Journalistenschule bekam er einen Job bei einer Tageszeitung. Er ist gut. Nach drei Jahren wurde das Blatt von einem Verlag geschluckt. Man behielt ihn, aber er war nicht mehr angestellt, sondern musste als freier Journalist weitermachen. Die gleiche Arbeit, etwas weniger Geld. Gut, das hat er weggesteckt. Er ist noch jung und frei hört sich gut an. Letztes Jahr dann wurde gekündigt, viele verloren ihre Arbeit und er bekommt keine Aufträge mehr. Warum? Man kam in den Chefetagen auf die Idee, dass es viel wirtschaftlicher sei, wenn nicht jedes Käseblatt seine Artikel von eigenen Journalisten schreiben lässt und legte Redaktionen zusammen. Warum diese Maßnahmen? Den Anlegern hatte man zweistellige Renditen garantiert.“

      „Das tut mir leid für ihren Freund. Aber warum erzählen sie mir das jetzt?“

      „Damit sie kapieren, warum ich ihr Angebot nicht annehmen kann.“

      „Das verstehe ich. Sie haben einen Freund...das wusste ich nicht. Was macht er jetzt? Hat er einen neuen Job? Vielleicht kann ich helfen. Ein paar Anrufe...“ Er vergaß, dass er dafür kaum noch Zeit haben würde.

      Sie lächelte, dabei kniff sie die Augen zusammen, aber ganz kurz sah er Wut blitzen .„Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Vielleicht zündet er ja Häuser an.“

      Luisa quengelte. Carla setzte sie auf den Boden ab. Sie stand jetzt zwischen den Erwachsenen und rührte sich nicht. Spürte vielleicht die Spannung. Oder sie dachte sich ein neues Spiel aus, zu dem sie Carla gleich überreden würde.

      „Vielleicht werde ich Luisa vermissen.“ sagte Carla.

      „Und mich?“ fragte er.

      Darauf gab sie keine Antwort.

       6

      Auf den Stufen der Kirche saßen Männer, Frauen, Kinder und verspeisten die Reste von den Tafeln der umliegenden Restaurants. Diese waren angesichts der immer größer werdenden Not dazu übergegangen, die Essensreste abends in Plastikkübeln vor die Hintertüren zu stellen. So hoffte man, die Gäste vor den immer dreisteren Belästigungen zu schützen.

      Der Anblick erschütterte Carla jedes mal und manchmal warf sie den Leuten ein paar Münzen zu. Sie fühlte die Not der Menschen wie eine physische Substanz, die wie ein mittelalterlicher Pesthauch ihre Lungen verklebte und ihr das Atmen beschwerte. Dann war sie sich sicher, das es richtig war, sich zu den Demonstranten zu bekennen, die sich jeden Abend trafen und gegen das System und seine Ungerechtigkeiten protestierten. Die laut skandierend durch die Straßen zogen, den Verkehr lahmlegten, vor denen die Konsumbummler flüchteten und Geschäftsinhaber ihre Läden sicherten. Auch wenn es manchmal zu Gewalttätigkeiten nicht nur von seitens der Polizei kam. Sie war vorsichtig und versuchte die Orte und Situationen zu umgehen, die besonders brenzelig zu werden drohten. Genügte sich damit, in der trägen