Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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nicht das Gefühl, dass das ehrlich klingt.

      Ich sehe Tim vorsichtig an, dessen Gesichtsausdruck einen harten Zug annimmt. Nur mit Lippenbewegung fragt er: „MARCEL?“

      Ich nicke und seine Augen funkeln wütend auf. Er streckt seine Hand aus und streichelt über meinen Arm, der den Hörer hält. Ich greife schnell danach und schiebe sie weg, die Gänsehaut ignorierend, die seine Berührung auslöst, weil die Spannung zwischen uns, mit Marcel am Telefon, unerträglich wird.

      „Ich werde morgen versuchen früher zu kommen. Versprochen. Und wenn ich dich abholen kann, gehe ich so schnell nicht wieder“, stammelt Marcel wie ein kleiner Junge, dem man sein Spielzeug weggenommen hat. Er ist wirklich süß. Aber Tim schiebt sich dicht an mich heran und knöpft einen Knopf nach dem anderen von meiner Pyjamajacke auf.

      Ich schlage ihm auf die Finger, dass es laut klatscht. Erschrocken verdrehe ich die Augen und Tim grinst, ohne dass seine Augen den grimmigen Ausdruck verlieren. Er scheint es ernsthaft darauf anzulegen, dass Marcel von seiner Anwesenheit in meinem Zimmer erfährt. Was soll ich nur tun?

      „Das brauchst du dann auch nicht“, versuche ich Marcel sinnvoll zu antworten. Aber mein Kopf ist nicht bei der Sache.

      „Kann ich dann wirklich bei dir bleiben?“, fragt Marcel mit hoffnungsvoller Stimme. „Bis zum Wochenende?“

      Ich will ihm einfach schnell antworten und schnell das Gespräch beenden. Tim hat sich mittlerweile noch dichter an mich herangeschoben und drängt sein Ohr dicht an den Hörer.

      Ich drehe den Kopf weg, um ihm das Mithören zu erschweren. Ich will Marcel schnell antworten und brumme gerade ein „Ja“, als Tim mit einer Hand mein Kinn packt und mir einen Kuss auf den Mund drückt. Ich sehe ihn verdattert an und wage keinen Mucks zu machen, schiebe aber seine Hand energisch beiseite.

      „Jetzt werde ich erst recht nicht mehr schlafen können. Hoffentlich kann ich dich morgen abholen“, höre ich Marcel sagen.

      „Das wäre schön“, murmele ich und starre Tim aufgebracht entgegen, der über meine Beine steigt und sich auf meine Oberschenkel setzt. Seine Lippen legen sich wieder auf meine und er schiebt seine Zunge in meinen Mund, während seine Hände sich in mein Haar schieben.

      Das geht entschieden zu weit. Ich gebe ihm mit der freien Hand einen Stoß vor die Brust, was ihn mit den Armen nach Halt rudern lässt. Dabei verheddert er sich in dem Telefonkabel und reißt mir fast den Hörer aus der Hand. Es scheppert laut, weil die Vase auf meinem Tisch davon umgerissen wird. Ich höre plätschernd das Wasser auf den Fußboden laufen.

      Tim fängt sich nur mit Mühe, mich entrüstet anstarrend.

      „Verdammt!“, fauche ich wütend.

      Tim streicht sich über den Verband und verzieht wehleidig das Gesicht. Missmutig steigt er aus dem Bett und mustert mich mürrisch.

      „Was ist bei dir los?“, höre ich Marcel fragen: „Ist alles okay?“

      „Nah klar! Aber mir ist die Vase runtergefallen und ich muss jetzt erst das Wasser wegwischen, bevor die Schwester kommt“, brumme ich aufgebracht.

      Ich habe echt Angst, dass wirklich eine Schwester von dem Lärm aufgeschreckt ins Zimmer stürmen könnte. Dann würde sie wegen Tim herumtoben und Marcel würde das mitbekommen.

      „Okay, Schatz! Ich wollte dir auch nur eine gute Nacht wünschen. Dann schau mal, dass du meine Rose retten kannst. Sie ist eine Rose der Liebe!“ Er lacht über seinen Ausspruch. „Also bis morgen. Ich freu mich. Schlaf gut.“

      „Schlaf gut“, erwidere ich und um Tim einen verbalen Schlag zu verpassen, füge ich noch hinzu: „Ich freue mich auch auf dich.“ Dabei sehe ich Tim böse an. „Bis dann, Marcel.“ Ich lasse den Hörer auf die Gabel fallen. „Verdammt, spinnst du?“, fauche ich Tim im nächsten Augenblick an.

      „Ich freue mich auch auf dich“, äfft er mich nach.

      „Tu ich auch“, brumme ich und klettere aus dem Bett. Schnell hole ich ein Handtuch aus dem Badezimmer und gehe um das Bett herum, um mir den Schaden anzusehen. Die Vase und die Rose liegen auf dem Tisch, und das Wasser ergießt sich in einem Rinnsal bis fast unter das Fenster.

      „Und du gehst jetzt“, fauche ich Tim an, während ich das Wasser aufputze. Mir wird dabei schwindelig, was ich aber ignoriere.

      Tim steht nur da und sieht mich hitzig an. „Meine Rippen tun wieder weh“, mault er plötzlich und drückt wehleidig seine Hand an die Brust.

      „Selber schuld.“ Ich bringe das Handtuch in das Bad und werfe es in die Dusche. Die Rose stecke ich wieder ohne Wasser lieblos in die Vase zurück.

      Tim sieht mir zu und in seinen Augen schimmert deswegen einen Augenblick lang Genugtuung. „Ist die von ihm?“, fragt er.

      „Ja“, knurre ich und klettere ins Bett zurück.

      Er baut sich vor meinem Bett auf und murmelt leise: „So läuft das nicht. Warum ruft dich dieser Spinner an und säuselt dir etwas ins Ohr. Bloß weil er uns geholfen hat, heißt das nicht, dass er jetzt auf irgendwas ein Anrecht hat.“ Seine Augen funkeln wütend. „Du gehörst zu mir, dass wirst du schnell begreifen. Und er ist keine Konkurrenz“, spuckt er mir wütend entgegen.

      „Du spinnst doch!“, fauche ich aufgebracht: „Du bist keine Konkurrenz für ihn. Wir werden niemals …“, zische ich wütend und weiß, dass mein ganzer Körper anders darüber denkt.

      „Oh doch! Natürlich werden wir. Das ist das Einzige, was Kurt Gräbler Gutes zustande brachte.“ Tim lacht grimmig auf. „Und auch du wirst auf die Dauer gar nichts dagegen tun können. Glaub mir. Das mit uns ist vorprogrammiert.“

      Ich sehe ihn sprachlos an. Meine Gedanken überschlagen sich. Was meint Tim plötzlich damit? Weiß er mehr als ich?

      „Hast du schon etwas herausgefunden?“ Meine schlimmsten Befürchtungen sehe ich bewahrheitet. Es gibt etwas, das mich und Tim, im Namen von Kurt Gräblers Intrigen, zueinander hinzieht. Und er weiß davon. Und doch scheint ihn das nicht zu stören.

      „Erzähl ich dir, wenn wir uns wiedersehen“, weicht Tim schnell aus. „Morgen früh werde ich aber erst mal zu meinem Vater fahren.“ Er greift in seine Pyjamajackentasche und zieht einen kleinen abgerissenen Teil einer Zeitschrift heraus, auf die eine Ansammlung von Zahlen gekritzelt steht. „Meine Telefonnummer. Für den Fall, dass du sie nicht mehr hast. Jetzt, wo wir nicht mehr Gefahr laufen umgebracht zu werden, können wir uns jederzeit treffen.“ Seine Betonung liegt auf jederzeit.

      „Ich ruf dich nicht an. Nicht nach der ganzen Sache hier“, maule ich ungehalten. Es ist nicht zu fassen, was er abgezogen hat, während ich Marcel am anderen Ende der Leitung hatte. Ich sehe mein Marcel-Carolin-Gerüst auf erschreckend wackligen Beinen stehen, wenn Tim in der Nähe ist und es behagt mir gar nicht, dass er es jederzeit zu Fall bringen kann. Und scheinbar ist er sich dieser Macht völlig bewusst. Seine dunklen Augen und der arrogante Zug um seinen Mund sagen das nur zu deutlich. „Rede keinen Unsinn. Natürlich rufst du mich an.“ Tim legt den Zettel auf mein Bett, beugt sich dicht zu mir vor und sieht mich durchdringend an: „Du gehörst zu mir. Daran wird nichts etwas rütteln. Ist das klar?“, bestimmt er leise und ich starre ihn fassungslos an.

      Seine Wut scheint sich zu legen und ein überheblicher Gesichtsausdruck gewinnt die Überhand. „Und noch was! Du brauchst mich nicht anlügen“, murmelt er. „Ich weiß, dass du noch mit niemandem im Bett warst. Deshalb nimmst du keine Pille und stellst dich so an.“

      Ich starre ihm betroffen ins Gesicht. Was soll das jetzt? Was will er von mir hören?

      Doch er wartet nicht auf eine Antwort von mir, sondern schiebt sich noch näher an mich heran. Seine schwarzen Augen funkeln mir entgegen, als er flüstert: „Und das hat einen Grund!“

      Ich schlucke und spüre seinen heißen Atem auf meinem Gesicht.

      „Weil ich es sein soll. Und ich werde es auch sein. Freunde dich mit dem Gedanken an. Du und ich … gehören …