Tom Bleiring

Schattenwelten


Скачать книгу

ihm nach. Mr. Pipp blieb stehen und wandte sich ihm wieder zu. >>Ja?, << erwiderte er. >>Ich weiß, die Frage mag sich für sie seltsam anhören, aber was macht ein Traumbringer?<< Der Kobold blickte ihn verwundert an. >>Seltsam, sagst du? Ich bin ein Kobold, und du hältst dich für seltsam? Naja, sei es drum. Zu deiner Frage: Ich bringe Kindern ihre Träume! << >>Was, sie sind der Sandmann?, << entfuhr es Duncan überrascht. >>Nicht der Sandmann, sondern einer von vielen. Klar, dass du den Sandmann natürlich kennst, aber nichts über Kobolde weißt. Das ist typisch für euch Große. Zu deiner Information, junger Freund, Kobolde sind nicht nur kleine Männer mit grünen Hüten, die auf einem Topf mit Gold hocken. << Mit beleidigter Miene watschelte Mr. Pipp von dannen und entschwand, in dem er einfach durch die Wand des Zimmers trat. Das ist doch verrückt, dachte Duncan und griff sich erneut an seinen schmerzenden Kopf. Ich sitze hier auf meinem Bett und unterhalte mich mit einem Kobold, den ich mir einbilde. Nein, sagte eine ihm bekannte Stimme in seinem Kopf, du sitzt hier auf deinem Krankenlager und versuchst dir einzureden, dass du dich nicht gerade mit einem Kobold unterhalten hast. Das ist ein Unterschied. Noch so eine stressbedingte Einbildung, dachte Duncan wütend und überhörte den Einwand seiner zweiten Gedanken. Er erhob sich und trat zu dem Regal, in dem seine Sachen zusammen gefaltet lagen. Nicht ohne Mühe gelang es ihm schließlich, sich anzuziehen. Behutsam öffnete er die Tür und spähte auf den Gang hinaus. Als er sich sicher war, dass niemand sonst zugegen war, ging er zügigen Schrittes zum Eingang des Treppenhauses, lief hinab bis ins Erdgeschoss und verließ das Krankenhaus durch den Vordereingang. Erst, als er sich sicher sein konnte, dass ihm niemand gefolgt war, verlangsamte er seinen Schritt und durchsuchte seine Taschen. Er trug nur sein neues Mobiltelefon, seinen MP3-Player und seinen Jugendpass bei sich. In einer seiner Taschen entdeckte er noch einige Pfundnoten, die ihm wohl Piper am vergangenen Tag untergeschoben hatte. Wohin sollte er nun gehen? Zur Polizei konnte er nicht, diese suchte ihn vielleicht sogar schon als Ausreißer. Auch ins Waisenhaus konnte er nicht zurück, denn Mrs. Carver würde ihn sofort an Mister Miller ausliefern. Wenn du sowieso keine Alternativen hast, dann kannst du auch dem Rat dieses Männleins folgen, sagten seine zweiten Gedanken zu ihm. Und im Grunde stimmte das auch. Solange er nicht wusste, welchen Weg er einschlagen sollte, konnte er sich auf die Suche nach Anderen seiner „Art“ machen, was auch immer das bei einem Kobold heißen mochte. Aber auch hierin lag eine Schwierigkeit. Hatte Mr. Pipp nicht gesagt, dass er sie nur finden würde, wenn er nicht nach ihnen suchen würde? Also wie sollte er solches bewerkstelligen? Wie sollte man jemanden finden, wenn man nicht nach ihm suchte? Widersprach sich das nicht? Duncan’s Kopf begann wieder zu schmerzen, also setzte er sich auf eine Bank und dachte über das Gespräch mit Mr. Pipp nach. Während er so grübelte, vernahm er plötzlich eine piepsige Stimme. >>So eine Sauerei!, << hörte er jemanden rufen. Duncan blickte sich um und bemerkte in dem Mülleimer neben der Bank eine kleine Gestalt. Dieses Wesen glich Mr. Pipp, doch seine Haut hatte eine ungesund wirkende grüne Tönung. Der Mund und die Augen wirkten ebenso froschartig wie bei dem Kobold im Krankenhaus, doch dieser sah verwildert aus, war dreckig von den Zehen bis zum Kopf und schien sich eine dicke Schmeißfliege als Haustier zu halten, mit der das Wesen zu sprechen schien. Als es Duncan’s Blick auf sich spürte, fuhr es erschrocken herum, dann aber streckte es angriffslustig die dürre Brust vor und fragte in flegelhaftem Ton: >>Was glotzt du so, Bengel?! Noch nie jemanden im Müll wühlen sehen? << >>Nein, << antwortete Duncan ehrlich. Das schien den kleinen Burschen aus dem Konzept zu bringen. Nervös huschte sein Blick von links nach rechts und es sagte: >>Was habe ich gerade gefragt? << Als der junge Mann seine Worte wiederholte, warf er sich erneut zornig in die Brust und erwiderte: >>Das war rhetorisch gemeint, klar? Und überhaupt, gehört es sich denn, jemanden beim Müllwühlen zu beobachten? Annabelle und ich mögen sowas nich‘ ! >>Annabelle?, << fragte Duncan irritiert. Der Kobold deutete mit einer Hand auf die Fliege, die sich neben ihm im Abfall niedergelassen hatte und dem Gespräch zu folgen schien. >>Is das ein Problem für dich, dass sie so heißt?, << grunzte der Kobold streitsüchtig. >>Nicht doch,<< erwiderte Duncan sofort,>> auf keinen Fall! Ist ein hübscher Name für eine Fliege. Wie heißt du? << Der Kobold starrte ihn zuerst noch finster an, schien sich dann aber zu entspannen. >>Du kannst mich Trashcan nennen, << antwortete er generös. Duncan kniff die Augen zusammen. >>Wie war das bitte?, << fragte er ungläubig. >>Trashcan, << wiederholte der Kobold. >>Das ist ein sehr…ungewöhnlicher Name. << >>Besser als Euseborius, und viel einprägsamer, << erwiderte Trashcan. >>Auf jeden Fall,<< entgegnete Duncan. Mit jemandem, der in Abfalleimern wühlte und sich selbst Trashcan nannte, wollte er lieber keinen Streit vom Zaun brechen. Annabelle flog auf und summte fröhlich um seine Nase herum. >>Sie mag dich wohl, << stellte Trashcan fest. >>Was verschlägt dich hierher? Ist drüben schlechtes Wetter? << >>Drüben?, << fragte Duncan. >>Auf der anderen Seite, << erwiderte Trashcan und deutete mit dem Daumen hinter sich. >>Geh davon aus, dass ich nicht weiß, wovon du sprichst, << sagte Duncan verständnislos. Trashcan’s Augen funkelten, als er in verschwörerischem Ton fragte: >>Bist du der Junge, den sie suchen? << Ein Ausdruck von Panik huschte über Duncan’s Gesicht, der dem Kobold nicht entging. >>Soso, << sagte er, >>da sucht die halbe Agentur nach ihm, und zu wem verirrt er sich? Zum alten Trashcan. Das ist ja mal was. Aber keine Angst, mein Freund, ich wird dich nich verpfeifen. Stehe selbst nicht auf bestem Fuß mit diesen hochnäsigen Typen, die meinen, die Welt gehöre ihnen. Bin ein alter Rebell, wenn du verstehst. Nieder mit dem Establishment, und so. << Trashcan hob die rechte Hand, zur Faust geballt, empor und grinste frech. >>Aber du musst verdammt gut drauf sein, wenn du ihnen bis jetzt entwischen konntest. Die Agentur hat verdammt gute Spürhunde, die jeden schon auf eine Meile Entfernung ausmachen können. Du kannst dem alten Trashcan ruhig erzählen, was du ausgefressen hast. Ich kann ein Geheimnis für mich behalten und schweigen wie ein Grab. << >>Ich habe keine Ahnung, wovon du überhaupt sprichst, << erwiderte Duncan und blickte sich besorgt um. >>Was zum Teufel ist die Agentur? Und warum suchen die mich? Ich habe überhaupt nichts angestellt oder ausgefressen! << Trashcan sah sich um und rief lauter als nötig: >>Oh, ja, klar! Natürlich hast du nichts angestellt! Blöde von mir, also echt. Aber nun mal im Vertrauen, du weißt es wirklich nicht? << Duncan schüttelte entnervt den Kopf. >>Oh, das ist ja mal was, << erwiderte der Kobold daraufhin verblüfft. >>Bist du etwa ein Neuling? Gerade erst dazu gestoßen? Das würde zumindest deine Planlosigkeit erklären. Aber die halbe Agentur hält sich derzeit hier auf und sucht nach einem flüchtigen Jungen. Man kann von einer recht wichtigen Person ausgehen, wenn sie die Hälfte ihrer Agenten hierher schicken, um denjenigen zu suchen. Zumindest hat der alte Trashcan das gehört. << >>Da kommt man sich wie ein Schwerverbrecher vor, << stöhnte Duncan und vergrub das Gesicht in den Händen. >>Naja, immerhin haben sie dich noch nicht geschnappt, << sagte Trashcan. >>Das ist schon mal viel wert, glaub mir. Drüben sind die Jäger natürlich besser als hier, aber üblicherweise sind sie auch hier erfolgreich. << >>Ich werde also gejagt! << rief Duncan mit wachsender Verzweiflung. Er konnte nicht begreifen, wie er in solch ein Schlamassel hinein geraten war. Kobolde, Jäger und Agenturen, das klang alles viel zu phantastisch und unwirklich. Aber es schien so, als würde es den Kobold beeindrucken, dass man ihn noch nicht gefangen hatte. Trashcan’s Äußerungen nach mussten diese Spürhunde echt Profi’s sein, doch es war ihnen noch nicht gelungen, Duncan ausfindig zu machen. >>Bitte erzähl mir mehr über diese andere Seite, von der du gesprochen hast, << bat er Trashcan. >>Bin ich ein verdammter Fremdenführer?, << erwiderte dieser heftig. >>Es würde mir zu verstehen helfen, << erklärte Duncan hilflos. Trashcan setzte sich auf eine leere Dose und begann damit, an seinen verdreckten Fingernägeln zu knabbern. Als er den Ekel auf Duncan’s Gesicht bemerkte, fing er an, zu schmatzen und widerliche Sauggeräusche zu produzieren. >>Die andere Seite ist eigentlich keine andere Seite, << verkündete er schließlich in schulmeisterlichem Tonfall. >>Sie ist genau da, wo man selber ist, doch nicht jeder kann sie sehen und dorthin gelangen. Sie ist keinen Steinwurf entfernt, so nahe ist sie, doch für die meisten Großen ist sie auf Lebzeiten hin unerreichbar. << >>Deine Beschreibungen wären hilfreicher, wenn sie weniger nebulös wären, << sagte Duncan. Trashcan wirkte auf diese Erwiderung hin beleidigt, doch er fuhr