Tom Bleiring

Schattenwelten


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doch kaum hatte sich seine Finger um den Kopf des Steinwesens gelegt, als dieses sich plötzlich heftig schüttelte, den Kopf drehte und ihn böse mit seinen rot funkelnden Augen anstarrte. Duncan’s Herz rutschte ihm in die Hose und mit einem Aufschrei des Entsetzens fiel er von der Mauer. Doch sein Glück blieb ihm auch dieses Mal treu, denn er landete relativ weich. Als er wieder auf den Beinen war, konnte er im Licht der Straßenlaternen erkenne, dass er auf einer alten Matratze gelandet war, die jemand achtlos hier entsorgt hatte. Der Regen wurde wieder stärker und prasselte in großen Tropfen auf ihn herab. Gehetzt blickte sich Duncan um, sah zu dem nun wieder regungslos dahockenden Wasserspeier auf der Mauer empor und rannte los. Er wollte so schnell wie möglich soweit es ging von diesem Haus und seinen Bewohnern wegkommen. Wie von Furien gejagt sprintete er durch die nächtlichen Straßen London’s, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzuschauen. Erst, als seine Lunge wie Feuer brannte und er kaum noch Luft holen konnte, hielt er an und lehnte sich gegen eine Telefonzelle. Kurzschlussreaktion, urteilte sein Kopf und dachte dabei an seine überstürzte Flucht. Unsinn, widersprach Duncan sich selbst. Er war nur knapp einer vermutlich verrückten Sekte entgangen. Wofür es zwar keine Beweise gab, aber immerhin. Duncan starrte verwirrt auf die schwarz glänzenden Pfützen zu seinen Füßen. So hatte er noch nie gedacht, stellte er sachlich fest. Was war das in seinem Kopf? Hatte er sich bei seinem Sturz derart heftig den Schädel angeschlagen, dass er nun Stimmen hörte? Ein interessanter Gedankengang, erwiderte seine neue innere Stimme, wenn auch völlig abwegig. >>Was bist du dann?, << fragte Duncan laut. Der Verstand hinter deinem Verstand, sozusagen, erwiderte die Stimme. Duncan rieb sich die Augen und betastete seinen Kopf, auf der Suche nach Beulen oder anderen Verletzungen. Das ist absolut bekloppt, dachte er. Nicht so bekloppt, wie mitten in der Nacht auf offener Straße Selbstgespräche zu führen, antwortete sein neues Selbst. Das bilde ich mir ein, dachte Duncan und schüttelte verwirrt den Kopf. Das ist nicht real! Wenn du meinst, erwiderten die zweiten Gedanken lakonisch. Duncan sah sich um und stellte fest, dass er sich an das Ufer der Themse geflüchtet hatte. Ein gutes Stück entfernt erhellte Big Ben das Dunkel und tauchte die Straßenzüge in goldenes Licht. Ohne auf seine Umgebung zu achten, trat Duncan auf die Straße. Ein lautes Hupen holte ihn schlagartig zurück ins Hier und Jetzt, grelle Lampen blendeten ihn für einen Moment, dann wurde es schlagartig dunkel um ihn. Ein monotones Summen und Brummen war das erste Geräusch, welches er wahrnahm. Er schlug die Augen auf und blinzelte heftig, denn eine Lampe über ihm schien direkt auf sein Gesicht. Er lag auf einem Bett, das nicht sonderlich weich war und spürte einen Verband an seinem Kopf. Sein ganzer Körper tat weh, von den Füßen aufwärts bis hin zu den Ohren. So etwas hatte Duncan noch nie zuvor gespürt. Selbst seine Haare schienen Schmerzimpulse in sein Gehirn zu senden. Wie konnten bloß Haare so weh tun? Ein kurzer Blick genügte ihm, um die Einzelheiten des Zimmers, in dem er sich befand, wahrzunehmen. Scheinbar befand er sich in einem Krankenhaus. Rechts von ihm war eine graue Tür, die aus dem Zimmer führte. Links von ihm war ein Fenster, welches jedoch hinter einer Jalousie verborgen war, die genau so grau war wie die Tür. Spärliches Tageslicht fiel durch die Rillen der Jalousie und tauchte den Raum in diffuses Halbdunkel. Vor dem Fenster selbst stand ein einfacher Holzstuhl mit Rückenlehne, schwarz und abgenutzt. Genau gegenüber seinem Bett stand ein schmales Regal, in dem einige Krankenhausutensilien lagen. Darunter waren einige Rollen aus Verbandsmaterial, Kompressen, ein Becher mit flachen Holzstäbchen darin, ein kleines graues Männchen und vier Handtücher. Duncan’s Gehirn brauchte einige Sekunden, um die Informationen zu sortieren. Schlagartig war er wieder völlig klar im Kopf, sprang aus dem Bett und ignorierte dabei den aufkommenden Schmerz in seinem Schädel und den Brechreiz in seinem Hals. Sein Blick, seine volle Aufmerksamkeit galten nur dem grauen Männlein, welches im Regal hockte. Mit zittriger Hand deutete er auf das Wesen und stotterte erschrocken: >>Was bist du? << Das Männlein schien darauf gewartet zu haben, angesprochen zu werden, denn es erhob sich nun und klopfte den Staub von seinem grauen Mantel. Der kleine Kopf war haarlos und hatte große Ähnlichkeit mit dem eines Frosches. Auch die Gesichtszüge des Männleins waren denen einer Amphibie recht ähnlich, wenn man bei solchen Tieren überhaupt von Gesichtszügen sprechen konnte. Große Kulleraugen, ein breiter Mund und eine sehr flache Nase, umgeben von vielen Runzeln und Falten, so konnte man das Wesen recht passend beschreiben. Seine kleinen Hände und Füßchen jedoch waren menschlich. >>Aha, << sagte es mit leiser, piepsiger Stimme. >>Was heißt aha?, << erwiderte Duncan nervös. >>Ich habe sie etwas gefragt! << >>Und ich habe dich schon verstanden, mein Junge, << antwortete das Männlein freundlich. >>Aber ich bin erstaunt, dass jemand in deinem Alter mich noch sehen kann.<< Duncan spürte den Scherz zurückkehren, diesmal heftiger als zuvor, und sank wieder auf das Bett. >>Was hat denn mein Alter damit zu tun? << stöhnte er und hielt sich den Kopf. >>Oh, eine ganze Menge. Du scheinst schon aus der Pubertät heraus zu sein? Naja, ist auch egal. Du siehst mich, wie es scheint. Ja, du kannst mich sehen, eindeutig. Bist du vielleicht einer von ihnen? << Bei seinen letzten Worten kniff das Männlein misstrauisch die Augen zu engen Schlitzen zusammen. >>Einer von wem oder was oder welchen?, << brummte Duncan. Die Situation verunsicherte ihn, was ihn zornig machte. >>Na du wüsstest, wen ich meine, wenn du einer von ihnen wärst, << erwiderte das Männlein fröhlich und hüpfte aus dem Regal zu Boden. Mit einem weiteren Satz war es auf dem Bett und sah Duncan fragend an. >>Geh davon aus, dass ich nicht weiß, wen oder was du meinst, << zischte Duncan wütend. Das Männlein zuckte mit den Schultern und ließ sich im Schneidersitz neben Duncan nieder. >>Wenn ich mich zuerst vorstellen darf?<< >>Ich bitte darum, << erwiderte Duncan entnervt. Das Männlein wirkte für einen Moment beleidigt, dann aber winkte es galant mit der Hand durch die Luft und deutete eine Verbeugung an. >>Ich bin Mr. Pipp, meines Zeichens Kobold und Traumbringer, wobei du dir Letzteres sicher schon denken konntest. << Duncan’s Blick ruhte auf dem Männchen, bis er begriff, dass hier eine Erwiderung erforderlich war. >>Duncan Dafoe, sehr erfreut. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprechen, Mr. Pipp. Hatte ich einen Unfall? Wo bin ich überhaupt? << >>Ein wirklich interessanter Punkt, den du da ansprichst, << antwortete Mr. Pipp, >> denn ich dachte, euresgleichen wäre nicht kaputt zu kriegen. Du bist der Erste, dem ich als Patienten in einem Krankenhaus begegne. Und ja, du hattest einen Unfall und befindest dich in einer Klinik im Zentrum von London. Den Namen weiß ich nicht, die sind mir eigentlich auch schnuppe.<< >>Euresgleichen?, << wiederholte Duncan . Mr. Pipp gestikulierte wage mit den Händen. >>Na eben Große von deinem Schlag eben, << sagte er. >>Du kannst mich sehen, obwohl du schon fast erwachsen bist. Und du hast dieses Funkeln in den Augen, als wärst du einer von ihnen. << >>Einer wovon ?!, << rief Duncan lauter als eigentlich beabsichtigt. In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Krankenschwester trat in das Zimmer. >>Fein, sie sind aufgewacht, << sagte sie und öffnete die Jalousie. Grelles Tageslicht drang in den Raum und blendete Duncan. >>Sie wurden angefahren und haben eine unschöne Beule am Kopf davon getragen. Aber wenn sie sich fit fühlen, dann können sie uns heute vielleicht schon nach der Visite wieder verlassen. << >>Ein Autounfall, << sagte Duncan und starrte weiterhin auf das Männlein. Die Krankenschwester schien es nicht zu bemerken, doch so leicht wollte Duncan nicht aufgeben. >>Sie sehen hier nichts, was hier nicht hingehören würde, oder?, << fragte er die Frau. Die Krankenschwester schenkte ihm einen mitleidigen Blick und antwortete: >>Oh, machen sie sich keine Gedanken darum. Nach solch einem Unfall und mit so einer Beule am Kopf kommt es bei manchen Patienten zu Sinnestäuschungen. Wenn sie Dinge sehen, die gar nicht da sein sollten, ist das sicher darauf zurückzuführen. << >>Wir sind also alleine hier? , << fragte Duncan. Die Krankenschwester nickte heftig. >>Ja, junger Mann, das sind wir in der Tat. << Dann verließ sie kopfschüttelnd das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. >>Ein interessantes Gespräch, << bemerkte Mr. Pipp. Duncan starrte ihn sprachlos an. Dann aber sagte er schließlich: >>Wenn sie keine Einbildung sind, warum kann ich sie dann sehen? Ich habe vorher noch nie Kobolde zu Gesicht bekommen, warum also gerade jetzt? << Mr. Pipp kratzte sich hinter seinen kleinen spitzen Ohren und erwiderte: >>Noch nie einen gesehen, wie? Das heißt also, du bist neu. Kein Begleiter bei dir ? Dann würde ich versuchen, andere wie dich ausfindig zu machen. Du findest sie recht schnell, wenn du sie nicht suchst. Sie können dir helfen. << Mr. Pipp erhob sich und sprang vom Bett hinab auf den grünen Linoleumboden. >>Ich finde sie, wenn ich nicht nach ihnen suche?, <<