Volker Hesse

Der 7. Lehrling


Скачать книгу

einfach konzentriert, und irgendwie ging es dann. Wo bist Du?

       Von Filitosa aus etwa eine Tagesreise entfernt im Nordosten. Ich werde es nicht rechtzeitig schaffen! Was ist überhaupt bei Euch los?

       Das spielt jetzt erst einmal keine Rolle. Wie kann ich Dich finden?

       Von Filitosa aus geht ein Weg schnurgerade nach Nordosten. Den kennst Du bestimmt. Wenn der Weg nach etwas über einem Tagesmarsch am Fuß eines Höhenzuges nach Osten abbiegt, bist Du fast da. Ich bin in dem Wald direkt oberhalb des Weges. Ich konnte ihn schon sehen, bevor ich in dieses verdammte Loch gefallen bin!

       Hör zu: Ich komme und helfe Dir da raus! Ich weiß noch nicht genau, wann ich da sein kann, aber ich werde kommen. Versprochen!

      #

      Das Bild verblasste und war dann ganz verschwunden. Amina atmete tief durch. Ihr Herz raste, als wenn sie gerade durch das ganze Dorf gelaufen wäre. Sie war klatschnass geschwitzt. War das anstrengend gewesen! Sie griff zu dem Krug mit Wasser auf ihrem Nachttisch, goss sich ein großes Glas ein und leerte es mit langen Zügen.

      Was nun? Wie sollte sie zu Milan gelangen? Den Weg kannte sie gut, auch den Höhenzug, von dem Milan gesprochen hatte. Aber es war so weit weg! Zu Fuß über einen Tag, das war unmöglich.

      Dann kam ihr die rettende Idee. Im Norden des Dorfes befanden sich auf einer Koppel die Pferde der Magier. Sie würde sich einfach eines ausleihen. Dann konnte sie in wenigen Stunden bei Milan sein!

      In Windeseile war sie angezogen und lief hinüber zur Metzgerei. Schnell suchte sie einen Trinkschlauch, ein Seil, etwas Wurst und Schinken und eine Decke zusammen. Hastig schrieb sie ein paar Sätze für ihre Schwester auf ein leeres Blatt Papier. Adina würde es sicher am nächsten Morgen finden, wenn sie nicht rechtzeitig zum Frühstück erschien und ihre Schwester nach ihr suchen kam. Dann löschte sie das Licht und lief in Richtung der Koppel los.

      So leise wie möglich führte Amina den Rappen durch das Dorf. Filitosa lag still und friedlich in der Dunkelheit, nur der fast volle Mond beschien den Weg, als sie sich zielstrebig dem nordöstlichen Ausgang zuwandte. Dort angekommen murmelte sie leise den Zugangszauber und verließ das Dorf unbemerkt.

      Sie schwang sich auf den Rücken des Pferdes, ließ es erst im Schritt gehen und später, als sie besser sehen konnte, in Trab fallen. Hoffentlich schaffte sie es, bis zur Abendversammlung zurück zu sein!

      #

      „Was? Wohin ist sie? Was für ein dummer Einfall!“, polterte Korbinian los. Adina stand mit rotem Kopf im Türrahmen und drehte das Papier mit Aminas Zeilen in den Händen. Korbinian bewegte schnell die Finger, und an der Wand erschien eine Karte, die den Nordosten von Filitosa zeigte. Milan war als kleiner unbeweglicher Punkt am Höhenzug zu erkennen, ein anderer kleiner Punkt bewegte sich auf dem nordöstlichen Weg darauf zu – Amina.

      „Schau Dir das an“, forderte Korbinian Adina auf, und zeigte auf die Karte, „das schafft sie nie, bis heute Abend zurück zu sein!“ Aufgebracht stapfte er in seinem Kontor auf und ab. „Was denkt Amina sich dabei? Sie hat wie jeder andere auch einen festen Platz in der Suchmannschaft. Sie kann doch nicht so einfach verschwinden! Wie hat sie überhaupt erfahren, dass Milan dort festsitzt?“

      Adina zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht so genau, aber vor ein paar Tagen kam sie spät abends zu mir und erzählte etwas davon, dass sie eine Art von Gedankenkontakt zu Milan gehabt hätte. Ich kann es auch nicht so richtig erklären, sie war an dem Abend sehr aufgeregt.“

      Korbinian lief immer noch auf und ab. „Das schafft sie nie und – was hast Du gerade gesagt?“ Er war wie angewurzelt stehen geblieben.

      Adina blickte ihn verständnislos an. „Sie war sehr aufgeregt, habe ich gesagt.“

      „Nein, vorher. Hast Du gesagt Gedankenkontakt?“

      „Ja, sie kam zu mir und sagte, sie hätte irgendeine Verbindung zu Milan gehabt und ...“

      „Schon gut, schon gut“, unterbrach sie Korbinian. „Hat sie das vorher schon einmal gehabt?“

      „Nicht, dass ich davon wüsste. Ist das denn wichtig?“ Adina war verwirrt.

      „Nun, vielleicht. Lass mich jetzt bitte allein, Adina. Ich muss über etwas nachdenken. Richte bitte Samuel aus, er möge Ersatz in der Metzgerei organisieren, bis Amina wieder da ist.“

      „Hab ich schon“, unterbrach ihn Adina.

      „Sehr gut“, lobte Korbinian den Lehrling. „Und mach Dir keine Sorgen, sie wird sicher bald zurückkommen.“ Mit diesen Worten schob er Adina auf den Gang hinaus.

      Als die schwere Eichentür ins Schloss gefallen war, stand Adina noch einen Augenblick überrascht davor. So hatte Korbinian sie noch nie rausgeworfen! Naja, er wird schon seinen Grund haben, dachte sie schließlich und ging los, um in der Bäckerei alles für den Tag vorzubereiten. Als sie gemerkt hatte, dass Amina nicht da war, hatte sie natürlich alles stehen und liegen gelassen. Das Frühstück würde noch eine Weile warten müssen.

      #

      Noch vor Sonnenaufgang war Meara aufgestanden. Sie traf die sechs Hexen- und Zauberergesellen aus ihrem Abschlussjahr wie vereinbart im Speisesaal. Alle sieben hatten am gestrigen Tag eilig ihre Besorgungen abgeschlossen, nachdem sie erfahren hatten, dass sie zusammen die Versammlung vorbereiten sollten. Meara hatte Gereon davon überzeugen können, dass sie ihre Kleidung einige Stunden früher brauchte als ursprünglich abgesprochen. Gereon hatte die Hose und das Oberteil selbst bis weit in den Abend hinein fertiggestellt. Als er dann bei Mearas Unterkunft erschien, um die Sachen zu übergeben, ließ er nicht locker, bis Meara sie anprobierte.

      Alles saß wie angegossen. Die Hose eng in der Taille, locker über die Oberschenkel fallend und sich nach unten wieder verengend, sodass sie gut mit den Stiefeln abschloss, die Meara sich ausgesucht hatte. Die kurze Jacke war am Hals weit geschnitten, damit der Kragen ihres Hemdes gut zur Geltung kam. Zur Hüfte hin verengte sich der Schnitt, und betonte Mearas ohnehin schon schlanke Figur zusätzlich. An der Vorderseite war anstatt einer Knopfleiste eine Schnürung mit Lederbändern angebracht. Alle Stellen, die für gewöhnlich stark beansprucht waren – Schultern, Ellenbogen, Gesäß und hintere Oberschenkelseite sowie die Knie – waren anstatt aus Leinen aus einem fast naturfarbenen weichen Leder gearbeitet, das sich unauffällig in den Stoff einfügte. Alles in allem: ein Meisterwerk.

      Meara war begeistert. Und als Gereon sie im Licht der Öllampe bat, sich einmal um sich selbst zu drehen, lächelte auch er zufrieden. Ohne jeden Zweifel würde Gereon es einmal sehr weit in seinem Handwerksberuf bringen!

      Als Meara so gekleidet am Frühstückstisch erschien, verschlug es ihren männlichen Mitgesellen erst einmal die Sprache. Staunend betrachteten sie die Hexe von oben bis unten. „Vielen Dank, Ihr könnt jetzt weiteratmen“, grinste Meara keck und setzte sich.

      Dann wurde der Aufbau der Bestuhlung, des Podestes und anderer Kleinigkeiten durchgesprochen. Samuel würde mit ihnen zufrieden sein.

      #

      An einem kleinen Wäldchen mit einer fröhlich sprudelnden Quelle gönnte Amina sich und dem Rappen eine Pause. Sie betrachtete das treue Pferd. Es graste in der Nähe des Baches, Schaumflocken hatten sich auf dem letzten Stück des Weges an seinem Hals gebildet.

      In dem Tempo konnte sie nicht weitermachen. Wenn sie nicht den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen wollte, musste sie das Pferd schonen. Also zwang sie sich trotz ihrer Ungeduld zu einer guten halben Stunde Ruhe.

      Obwohl sie seit dem letzten Morgen auf den Beinen war, stellte sich keine Müdigkeit ein. Amina war viel zu aufgeregt. Die ganze Zeit kreisten ihre Gedanken um Milan und ob er sich nicht vielleicht doch verletzt haben könnte. In Gedanken schalt sie sich eine dumme Pute, weil sie vergessen hatte, Verbandszeug mitzunehmen. Immerhin wuchsen in der Nähe der Quelle einige nützliche Kräuter, die sie für alle Fälle einsammelte.

      Dann nahm sie ihren