Volker Hesse

Der 7. Lehrling


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Medard ein fleißiger und kluger Geselle, er war eben nur manchmal etwas mürrisch. Aber das würde Quentin ihm schon austreiben!

      Falk hatte am Nachmittag angedeutet, dass das heutige Abendessen etwas Besonderes werden würde. Quentin war schon sehr gespannt. Er ging zu Finja in die Küche, um zu fragen, ob er etwas helfen könne. „Natürlich“, antwortete Finja. „Kannst Du Feuer machen?“ Quentin blickte sie verständnislos an. „Aber es ist Sommer, da brauchen wir doch kein Feuer ...“

      Finja lächelte. „Nein, ich meine draußen hinter dem Haus. Dort, wo die Bänke um die Feuerstelle stehen.“ Quentin verstand immer noch nicht, wofür das gut sein sollte. Da klärte Finja ihn auf: „Wir werden heute Abend selbst Brot machen. Um einen Stock gewickelt und über dem Feuer gebacken. Kennst Du das?“ Und als Quentin den Kopf schüttelte, erklärte sie weiter: „Den Teig habe ich heute Vormittag schon gemacht. Der wird um einen Stock gewickelt und dann über das Feuer gehalten, bis er gar ist. Dann wartet man ein bisschen, bis das fertige Brot abkühlt, nimmt es vom Stock und kann in das Loch in der Mitte leckere Sachen hineintun. Ich habe Marmelade, Schinkenwürfel und kleine Käsewürfel gemacht. Man kann es natürlich auch nur mit Butter essen ... Ich sehe schon, Du hast es begriffen.“, lachte sie, als sie Quentins Gesicht vor Vorfreude erstrahlen sah. „Nun spute Dich, sonst gibt es erst um Mitternacht etwas.“ Sie lachte immer noch, als Quentin bereits wie der Blitz aus der Tür geschossen war.

      Eine Falle und eine seltene Gabe

      Grimmig stapfte Milan in der Dämmerung vor sich hin. Er würde es nur mit viel Glück schaffen, dessen war er sich sicher. Mittlerweile kannte er in etwa die Gegend, durch die er ging, und wusste, dass er das Unmögliche möglich machen musste. Zum nächsten Sonnenaufgang würde er sicher nicht ankommen, aber vielleicht schaffte er es bis zum Einbruch der Nacht. Hoffentlich war das nicht zu spät.

      Es gab nur eine Möglichkeit: notfalls querfeldein und ohne Pause weitermarschieren. Hinter dem Höhenzug, an dessen ansteigender Flanke er sich gerade befand, war ein Weg, der fast gerade in Richtung Filitosa führte. Wenn alles gut ging, konnte er in zwei Stunden drüben sein. Dann würde er wesentlich schneller vorwärtskommen. Das änderte allerdings nichts daran, dass seine Ankunft am nächsten Tag trotzdem auf Messers Schneide stand.

      Die Nacht brach herein. Obwohl er im Wald war, verringerte Milan sein Tempo nicht. Der Mond war aufgegangen und warf geisterhafte Schatten durch die Bäume. Plötzlich ertönte irgendwo links von ihm ein langgezogenes Heulen. Oh nein, nicht auch noch Wölfe!, schoss es Milan durch den Kopf. Das erste Heulen wurde von einer anderen Stelle weiter vor ihm erwidert.

      Zum Glück waren die Wölfe offenbar in einiger Entfernung. Wie alle anderen Magier kam zwar auch Milan mit allen Tieren gut aus, aber bei Wölfen konnte man sich nie so ganz sicher sein. Da war es besser, wenn man nicht allein unterwegs war. Hastig lief er durch die weit auseinanderstehenden Buchen und hoffte, bald auf der anderen Seite des Bergkamms anzukommen.

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      Das war ein prächtiges Abendessen gewesen! Quentin wollte Finja beim Wegräumen der Sachen helfen, aber sie schickte ihn schlafen. Kaum in seiner Kammer angekommen, fiel Quentin mit kugelrundem Bauch in sein Bett.

      Falk und Finja saßen noch gemeinsam am herunterbrennenden Feuer und sprachen leise darüber, was für eine Freude der Junge doch war. Fleißig, höflich und immer hilfsbereit. Sie waren sehr zufrieden mit ihm und mochten ihn sehr. So wie Quentin hätten sie sich auch eigene Kinder gewünscht, die ihnen aber nie vergönnt gewesen waren. Ihre Enttäuschung darüber war lange vorbei, fast vergessen. Finja lehnte sich an Falks Schulter, und gemeinsam betrachteten sie den aufgehenden Mond, der fast voll war. Hoffentlich würde Quentin lange bei ihnen bleiben!

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      Endlich ging es wieder abwärts. Ein gutes Stück unterhalb der Stelle, an der er war, konnte Milan schon den Weg als schwach schimmerndes Band vor sich sehen. Er beschleunigte ein wenig und schlitterte den laubbedeckten Hang hinab.

      Plötzlich war der Boden unter seinen Füßen verschwunden. Einen Augenblick später schlug er hart auf dem Boden einer tiefen stockfinsteren Grube auf. Laut fluchend rappelte Milan sich hoch und suchte in seiner Gürteltasche nach Zündhölzern. Das hätte ich doch sehen müssen!, schimpfte Milan lautlos vor sich hin. Was bin ich für ein Idiot!

      Endlich hatte er ein Zündholz gefunden, riss es an und sah sich um. Jetzt wusste er, warum er vorher nichts gesehen hatte: Er war in eine gut getarnte Wolfsfalle gestürzt! Die Kanten so hoch, dass er sie nicht einmal im Sprung erreichen konnte. Kein Vorsprung, an dem er sich hätte hochziehen können. Die Wände so glatt, dass sie keinen Halt boten. Und die Hölzer, mit denen die Grube abgedeckt gewesen war, so dünn, dass er sie nicht als Behelfsleiter benutzen konnte.

      Das Zündholz verlosch. Völlig enttäuscht ließ Milan sich auf den Boden sinken und lehnte sich an die Wand zurück. Die letzte kleine Chance, die er noch gehabt hatte, um Filitosa rechtzeitig zu erreichen, war wie eine Seifenblase zerplatzt.

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      Amina schreckte aus dem Schlaf hoch. Wieder hatte sie das Gefühl, irgendwie mit Milan verbunden zu sein. Er wollte nach Filitosa kommen, konnte aber nicht. Irgendetwas hinderte ihn. Aber was?

      Amina versuchte angestrengt, weiter in die Ahnung vorzudringen, aber sie spürte nur Dunkelheit und Milans Enttäuschung.

      Fieberhaft überlegte sie, was passiert sein könnte, aber nichts wollte ihr einfallen. Dann hatte sie eine verrückte Idee. Sie hatte zwar gehört, dass eine Gedankenverbindung zwischen Magiern auch über weite Strecken möglich sein sollte, aber in ihrer Lehrzeit war das Thema nur beiläufig erwähnt worden. Natürlich spürte ein magischer Mensch einen anderen, wenn er in dessen Nähe war. Aber so einen gewollten gedanklichen Kontakt über eine große Entfernung hinweg hatten sie nie wirklich behandelt. Selbst ausprobiert hatte sie es sowieso noch nie, aber: Ein Versuch konnte nicht schaden, oder? Schließlich gab es in ihrer Kammer niemanden, der sie auslachen würde, wenn es misslang! Sie rappelte sich in ihrem Bett auf und konzentrierte sich auf ihr Gefühl. Dann versuchte sie, mit Milan in Kontakt zu treten.

      Zuerst dachte sie angestrengt an Milans Gesicht, so wie sie es in Erinnerung hatte. Nichts. Dann an seine Arbeit in der Schmiede. Nichts. Sie spürte seine Gegenwart nicht, irgendetwas machte sie falsch. Sie probierte es über Gedanken an die eine oder andere flüchtige Begegnung. Immer noch nichts. Aber Amina gab nicht auf.

      Schließlich stellte sie sich die gedankliche Verbindung als einen Weg durch blühende Wiesen vor, an dessen Ende Milan stand. Dann rief sie ihm in Gedanken immer wieder eine Frage zu: Kann ich Dir helfen? ? Kann ich Dir helfen?

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      Milan sprang auf und sah nach oben an den Rand der Grube, die sich im Mondlicht deutlich abzeichnete. Da musste jemand sein! Gerade noch hatte er einen Gedanken an Amina gehabt, als er ein Mädchen fragen hörte, ob sie ihm helfen könne.

      Aber da oben war nichts. Trotzdem hörte er immer wieder diese Frage. Er rief laut: „Ich bin hier unten in der Wolfsfalle! In der Wolfsfalle! Hier unten!“ Nichts tat sich. Außer, dass er plötzlich eine weitere Frage hörte: Eine Wolfsfalle?

      Als er begriff, dass die Stimme nicht von oben kam, sondern in seinem Kopf war, musste Milan sich erst einmal wieder setzen. Dann versuchte er sich auf die Stimme zu konzentrieren. Er schloss die Augen, atmete tief durch und dachte: Wer bist Du?

      Auf die Antwort brauchte er nicht zu warten, denn plötzlich sah er in seinen Gedanken mitten auf einer blühenden Wiese Amina vor sich stehen.

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      Das Bild in Aminas Gedanken war plötzlich ganz klar. Milan stand vor ihr. Mit zerrissenen, dreckigen Sachen und Abschürfungen an Händen und Knien.

       Bist Du verletzt?

       Nein, es geht mir ganz gut. Ich bin mitten im Wald in eine Wolfsfalle gestürzt. Ich habe keine Ahnung, wie ich hier herauskommen soll, die Wände sind