Volker Hesse

Der 7. Lehrling


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ein erstes Zeichen. Quentin ging vor lauter Vorfreude etwas schneller.

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      Meara hatte die Nacht in einem Heuschober verbracht. Freundliche Bauersleute hatte ihr diese Unterkunft gegeben. Der Bauer war vor seiner Heirat selbst als Zimmermann durch die Lande gezogen, und er hatte Meara beim Abendessen viel von seinen Erlebnissen erzählt. Ihm waren unzählige Geschichten eingefallen, und daher war es auch sehr spät gewesen, als alle endlich schlafen gingen.

      Die Bauersfrau hatte Meara noch zum Frühstück eingeladen. Bei dieser Gelegenheit fragte Meara, ob sie nicht eine Baustelle wüssten, auf der sie arbeiten könne. „In unserem Dorf leider nicht“, antwortete die Bauersfrau. „Aber in Balsberg wird ein großes Kornhaus gebaut, die suchen bestimmt immer mal wieder tatkräftige Hände.“

      Mit vielen Dankesworten verabschiedete sich Meara von den freundlichen Bauersleuten. Sie war ausgeschlafen, satt und ging voller Zuversicht nach Süden, die Richtung, die ihr der Bauer gewiesen hatte.

      Es gab doch viele gute Menschen! Naja, allerdings hatten die Bauersleute sie ja auch für einen normalen Menschen gehalten und nicht für eine Hexe. Wer wusste schon, ob sie auch dann noch so freundlich und hilfsbereit gewesen wären …

      Meara fand das alles seltsam. Die alten Hexen und Zauberer in Filitosa hatten ihr von einer Zeit erzählt, in der Menschen und Magier völlig selbstverständlich miteinander lebten. Da gab es noch keine Notwendigkeit, einen Handwerksberuf als „Tarnung“ zu benutzen. Allerdings machte ihr das Zimmermannshandwerk viel Spaß. Nur Hexe zu sein fand sie fast langweilig. Gut, eine echte Dorfhexe hatte früher sicher eine Menge zu tun. Da hätte man wohl keinen anderen Beruf mehr nebenbei geschafft. Wenn sie es sich recht überlegte: Ausprobieren würde sie es schon gern einmal, als Dorfhexe ihren Unterhalt zu bestreiten.

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      Für junge Magiergesellen auf der Wanderung gab es klare Regeln. „Zaubere niemals, wenn ein erwachsener Mensch dabei ist“, lautete eine davon. Erwachsene waren sehr misstrauisch. Angeblich fürchteten sie sich sogar vor Magiern. Und wenn man den älteren Hexen und Zauberern glauben durfte, waren schon etliche unter Stockschlägen und Steinwürfen aus Ortschaften vertrieben worden – dabei hatten sie nur helfen wollen.

      Bei Kindern musste man da nicht so vorsichtig sein. Wenn Kinder erzählten, dass jemand gezaubert hätte, ging den Erwachsenen normalerweise nur ein Lächeln über das Gesicht. Wahrscheinlich erinnerten sie sich dabei an ihre eigene Kindheit und die Geschichten, die sie selbst damals erfunden hatten.

      Eine andere Regel lautete: „Finde neue Lehrlinge.“ Das war leichter gesagt als getan! Schließlich lief niemand mit einem großen Schild durch die Gegend, auf dem stand: „Ich kann so merkwürdige Sachen, und die anderen Kinder wollen nicht mehr mit mir spielen. Helft mir!“

      Die meisten Magier waren unter den Menschen aufgewachsen und kannten sich nur zu gut damit aus, anders als die anderen Kinder zu sein. Geärgert und verspottet zu werden. Und oft auch: von zuhause weggeschickt zu werden. Wenn nicht rechtzeitig eine fremde Frau oder ein Mann des Weges kam und unter einem geschickt vorgetragenen Vorwand das Kind mit sich nahm.

      Auch Meara war auf diese Weise gerade noch vor der Vertreibung gerettet worden. Die anderen Kinder und auch die Erwachsenen hatten bereits begonnen, sie komisch anzusehen. Fast keines der Kinder durfte noch mit ihr spielen. Ihre Eltern machten sich die größten Sorgen. Da kam eines Tages ein wandernder Händler durch das Dorf. Er stützte sich schwer auf seinen Wanderstab. Ein alter Esel zog den kleinen klapprigen Karren, auf dem sich seine Waren befanden.

      Meara fühlte auf unerklärliche Weise sofort, dass sie dem Mann vertrauen konnte. Sie setzte sich zu ihm, als er am Brunnen eine Pause machte. Es dauerte nicht lange, da hatte sie ihm ihre Probleme mit den anderen Kindern anvertraut.

      Irgendwann hatte der alte Mann sie dann um den bunten Anhänger gebeten, den sie an einem Lederband um den Hals trug. Meara wusste noch ganz genau, wie sprachlos sie gewesen war, als der Mann den Anhänger in die Hand nahm, kurz die Augen schloss und ihr dann erzählte, woher der Anhänger kam, dass es ein Geschenk ihrer Mutter zu ihrem fünften Geburtstag war und dass sie von ihrem Vater ein dazu passendes Lederband geschenkt bekommen hatte. Dass sie den Anhänger eigentlich nie ablegte, auch nicht, wenn sie zu Bett ging. Das hatte Meara noch nie erlebt! Es gab außer ihr noch jemanden, dem Gegenstände Geschichten erzählten!

      Dann ging alles sehr schnell. Der alte Mann hatte mit ihren Eltern gesprochen, ihnen gesagt, dass ihm die Arbeit immer schwerer falle und er immer dringender jemanden zur Unterstützung brauchte. Schließlich hatte er das Kind als seine Gehilfin mit auf die Reise genommen. Meara der Abschied unendlich schwer gefallen, aber sie hatte das untrügliche Gefühl, dass eine spannende Zeit vor ihr lag.

      So war es dann auch gekommen. Der alte Mann ging mit ihr geradewegs nach Filitosa und übergab sie ihrem späteren Lehrmeister Samuel.

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      Meara riss sich aus ihren Träumen. Irgendwann würde sie bestimmt selbst einen Kandidaten finden, da war sie sich sicher. Ihr „ziviler“ Beruf sorgte dafür, dass sie immer ein paar Tage oder Wochen an einem Ort blieb, bevor sie weiterzog. Und da große Baustellen immer auch Kinder anziehen, konnte sie diese zwischendurch gut beobachten.

      Bislang war sie nicht erfolgreich gewesen. Sie wusste, wie wichtig es Korbinian war, dass die Gesellen auf ihrer Wanderschaft neue Lehrlinge fanden. Die Versammlung der alten Hexen und Zauberer hielt allerdings nichts davon. Die Gesellen seien alle Grünschnäbel, viel zu unerfahren, hätten nicht den richtigen Blick, den würde man nämlich nur mit viel Erfahrung bekommen, und so weiter und so fort.

      Das war aber für die wandernden jungen Hexen und Zauberer nur noch mehr Ansporn, neue Lehrlinge zu finden! Sie würde schon die Augen aufhalten. Und wer weiß, vielleicht stand sogar in der nächsten Stadt schon jemand in der Menge …

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      Korbinian ließ es sich richtig schmecken. Erst nachdem er fünf verschiedene Brötchensorten durchprobiert hatte – immer nur die Deckelhälfte, weil da die leckeren Körner drauf waren –, legte er das Messer zur Seite. Er lehnte sich mit seiner Tasse Kaffee in der Hand zurück und sah die Zwillinge an: „Es war sehr, sehr gut! Ganz ausgezeichnet! Aber genug geschlemmt! Erzählt, was gibt es bei euch denn Neues?“

      Amina und Adina erzählten ein wenig von ihren Geschäften, von der Handwerkslehre und auch von ihrer Hexenlehre. Bei einer weiteren Tasse Kaffee kamen sie dann auf aktuelle Ereignisse.

      „Ist es eigentlich richtig, dass noch nicht alle Lehrlingsplätze besetzt sind?“, fragte Adina. Offenbar hatte sich die schlechte Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. Korbinian nickte, sagte aber nichts weiter. „Oh je, es bleiben aber nur noch knappe zwei Monate! Wie sieht denn Euer Plan aus?“ Amina knuffte ihre Schwester in die Seite: „Sei nicht so vorlaut, Adina! Es steht Dir nicht zu, solche Fragen zu stellen!“

      „Nein, nein, ist schon gut“, beruhigte Korbinian die beiden. „Wir sind in der Versammlung noch zu keinem Ergebnis gekommen. Die Beratung wird nachher fortgesetzt. Aber …“ Korbinian rieb sich nachdenklich über die Augen, „ich glaube nicht, dass wir zu einer schnellen Lösung finden werden. Alle Hexen und Zauberer, die in der Versammlung sind, haben das ganze Jahr über gesucht. In allen Teilen des Landes. Es ist ja nicht so, dass sie alle nur vor dem Kamin gesessen hätten! Sie haben gesucht, wirklich gesucht! Aber die Anzahl derer, die zu uns und nicht zu den Menschen gehören, wird entweder geringer, oder wir erkennen sie nicht mehr so gut wie früher. Ich weiß es wirklich nicht.“ Korbinian seufzte und trank einen Schluck Kaffee.

      „Aber wenn nicht sieben neue Lehrlinge gefunden werden, dann wäre das ja ganz furchtbar!“, rief Amina. „Alle Schutzzauber ...“

      Korbinian nickte. „... würden zusammenbrechen, wenn die sieben mal sieben Lehrlinge nicht mehr vollzählig sind. Ja, die Lage ist ernst.“ Sie versanken in nachdenkliches Schweigen.

      So saßen sie eine Weile da und starrten in ihre Kaffeetassen. Plötzlich hob Adina den Kopf: „Aber wenn …“ Korbinians Blick war zuerst ein wenig belustigt, aber