Volker Hesse

Der 7. Lehrling


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geschnittenem Speck und wildem Lauch gebraten. Was für ein Festmahl! Nach dem Essen hatte er noch eine Weile ins Lagerfeuer geschaut und war irgendwann eingeschlafen.

      Quentin träumte von der Stadt Balsberg und malte sich in den buntesten Farben aus, was er alles erleben würde. So lag er friedlich schlummernd am langsam niederbrennenden Feuer, während am Himmel über der alten Trauerweide die Sterne ihre Bahn zogen.

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      Korbinian hatte den Hexen und Zauberern Adinas Plan dargelegt. Bevor jedoch darüber diskutiert wurde, unterbrach er die Versammlung für das Abendessen.

      Der Speisesaal war riesig. Lange Tische und Bänke standen unter hohen Kreuzgewölben, deren Bögen auf gewaltigen siebeneckigen Pfeilern ruhten. Pentagramme, geheimnisvolle Schriftzeichen und Reliefs schmückten die Schlusssteine jedes einzelnen Gewölbes. Die langen Wände waren mit Bildern verziert, die Geschichten aus dem Leben der Magier vor einigen hundert Jahren erzählten. An jedem Pfeiler waren sieben Fackeln angebracht, die ein helles, unruhiges Licht in den Saal warfen und die Figuren auf den Wandgemälden scheinbar zum Leben erweckten.

      Alle Magier waren gern in diesem Saal. Sie fanden ihn sehr gemütlich, und oft kam es vor, dass sich ein Abendessen bis tief in die Nacht erstreckte.

      Während alle im großen Speisesaal saßen und hungrig über den leckeren Braten, die Kartoffelklöße und das Gemüse herfielen, wurde natürlich über Adinas Vorschlag geredet. Und hier, abseits der eher strengen Versammlungsregeln, geschah etwas Unerwartetes: Es gelang den Befürwortern der Idee, die Zweifler langsam, aber sicher auf ihre Seite zu ziehen. Korbinian merkte dies und beendete das Essen daher bei Weitem nicht so schnell, wie er eigentlich beabsichtigt hatte. Er musste schmunzeln: Er hätte nicht gedacht, dass bereits einige andere – und ihre Zahl war nicht gering – auf seiner Seite waren.

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      Es war ein eindeutiges Abstimmungsergebnis für Adinas Vorschlag. Korbinian war unendlich erleichtert – wenn Adina das erst hören würde!

      Den Versammelten war die Erleichterung ebenfalls deutlich ins Gesicht geschrieben. Nach der Rückkehr ins Convenium hatte die Beratung nicht mehr lange gedauert. Die unverhofften Helfer hatten gute Vorarbeit für Korbinian geleistet. Eigentlich ging es nur noch um die Art und Weise, wie der Plan umgesetzt werden sollte, und nicht mehr wirklich darum, ob er überhaupt von der Versammlung angenommen würde. Aber es gab ja auch keine Alternative.

      Korbinian ließ einen alten Rotwein ausschenken, dann stießen sie auf das Gelingen ihres Plans an. Und der sah so aus:

      Es gab ein Netz aus Beobachtern, das das ganze Land überspannte, alles erfahrene Hexen und Zauberer. Das waren natürlich die anwesenden Teilnehmer der Ratsversammlung. Sie waren alle zu ihrer jährlichen Sitzung angereist, auf der eigentlich die neuen Lehrlinge ausgewählt werden sollten.

      Außerdem gab es die wandernden Gesellen. Sie waren ebenfalls über das ganze Land verstreut und auf der Suche nach Arbeit, Erfahrung und – neuen Lehrlingen.

      Schließlich gab es noch etliche Magier, die ohne besondere Aufgabe über das Land verstreut oder in Filitosa wohnten, und die Lehrlinge, die in Filitosa ihre Ausbildung absolvierten. Die Versammlung hatte sich geeinigt, alle Lehrlinge ab dem dritten Ausbildungsjahr bei der Suche mit einzusetzen.

      Und all diese Hexen, Zauberer, Gesellen und Lehrlinge würden gemeinsam nach dem einen Lehrling suchen, den sie um jeden Preis bis zum übernächsten Vollmond gefunden haben mussten.

      Filitosa lag etwa in der Mitte des Landes. Das bedeutete, dass man vom Dorf aus gesehen die Suche so durchführen konnte, wie sich die Zeiger einer Uhr drehten. Auf diese Weise würde kein Dorf, keine Stadt, kein Flecken ausgelassen.

      Es sollten drei Ketten gebildet werden. Eine Kette würde bei 12, eine bei 4 und eine bei 8 Uhr mit der Suche beginnen und im Uhrzeigersinn vorwärts gehen. Jede Kette würde in einer festgelegten Reihenfolge zusammengestellt sein: immer zuerst ein älterer Zauberer oder eine Hexe, dann ein Geselle, dann wieder ein Magier, ein Lehrling, dann wieder von vorn. Auf diese Weise war immer rechts und links von einem Lehrling ein erfahrener Nachbar. Der Rest der Magier würde sich in Filitosa um die notwendigen Vorräte und die Vorbereitungen für die feierliche Aufnahme der neuen Lehrlinge kümmern.

      Die Versammlung hatte sich eine Woche Zeit gegeben, um alle Magier zusammenzurufen. Daran sollten sich sieben Wochen Suche anschließen. Die neunte und letzte Woche vor dem übernächsten Vollmond war für die Reise des Lehrlings nach Filitosa vorgesehen.

      Je länger die Magier über den Plan nachdachten, umso besser gefiel er ihnen. Korbinian hob die Versammlung auf und bat alle, in den Speisesaal zu gehen, denn diese Entscheidung musste gebührend gefeiert werden!

      Aber bevor er selbst zur Feier gehen konnte, mussten noch ein paar Dinge erledigt werden.

      Eilt herbei!

      Im Vorraum des Conveniums warteten die Lehrlinge, die zur Bedienung der Versammlung eingeteilt waren. Korbinian rief sie zu sich und sprach ein paar kurze erklärende Worte zu ihnen. Dann schickte er sie los, um alle Lehrlinge ab dem dritten Ausbildungsjahr aus dem Dorf zusammenzuholen.

      Als alle fort waren, begab sich Korbinian in die Bibliothek.

      Die Bibliothek befand sich exakt in der Mitte der Magierunterkunft und war ein hoher, riesengroßer fünfeckiger Raum. Sie war so groß, dass es mehrerer Kamine bedurfte, um im Winter eine angenehme Temperatur herzustellen. In der Bibliothek ruhten Tausende von Büchern und Schriftrollen in hohen Holzregalen. Zwischen den Regalen waren hier und da kleine Sitzgruppen aufgestellt, um den Magiern das Lesen angenehm zu machen. Überall waren magische Fackeln und Kerzen angebracht, die immer dann anfingen zu brennen, wenn jemand in der Nähe war.

      Genau in der Mitte der Bibliothek und damit im Zentrum des Pentagramms, in dem das Dorf lag, war ein großer runder Tisch mit vierzehn Stühlen aufgestellt. Hier fanden sich die Magier ein, wenn mächtige Zauber aufgerufen werden sollten.

      Korbinian setzte sich auf einen der Stühle, nahm eine Fingerspitze kräftigender Kräuter aus einer Dose und kaute sie. Er atmete tief durch. Dann schloss er die Augen und versank in ruhige Konzentration. Das uralte Ritual begann.

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      Als Korbinian anfing, seine Finger zu bewegen, bildeten sich kleine Nebelschwaden, die spielerisch seine Ärmelaufschläge umtanzten. Dann bewegte er leise murmelnd seine Hände. Der Nebel wurde dichter, kompakter und strömte langsam zur Mitte des Tisches. Dort bildete er ein waagerechtes, sich drehendes Rad über der Tischplatte. Der Zauberer wiederholte die lange Formel immer wieder und bewegte seine Finger im Takt dazu. Minute um Minute verging.

      Korbinian schwitzte. Tropfen standen auf seiner Stirn, aber er merkte davon nichts, so tief war er in die Beschwörung versunken. Er war aufgestanden. Jetzt bewegte er die Arme. Sein Murmeln hatte sich zu leisem Reden gesteigert und wurde von Wiederholung zu Wiederholung lauter. Das Nebelrad wurde immer größer und begann langsam pulsierend gelblich zu leuchten.

      Korbinian steigerte sich immer weiter in den Zauberspruch hinein. Der Schweiß rann ihm mittlerweile in kleinen Bächen über das Gesicht. Seine Beschwörung war durch die ganze Bibliothek zu hören und wurde immer lauter. Kleine Blitze zuckten durch den Nebel. Das Rad kreiste immer schneller und erzeugte ein sirrendes hohes Geräusch, das lauter und lauter wurde, je schneller sich das Rad drehte.

      Der Magier war jetzt völlig in Trance. Seine Beschwörungsformel donnerte durch den Raum und wurde von den Wänden als Echo zurückgeworfen. Das Nebelrad rotierte so schnell, dass keine klaren Formen mehr zu erkennen waren. Es leuchtete so hell, dass man an jedem Ort der Bibliothek ohne Kerze oder Fackel ein Buch hätte lesen können. Der Ton, den das Nebelrad erzeugte, war zu einem ohrenbetäubenden Kreischen angeschwollen. Niemand, der bei Verstand war, hätte den Raum im Moment noch freiwillig betreten wollen.

      Die Möbel in der Bibliothek begannen zu zittern. Stühle bewegten sich über den Boden, hier und da fiel ein Buch aus einem Regal.

      Das Kreischen wurde immer lauter,