Martin Scherbakov

Ein russisches Wintermärchen


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lief es nicht so glatt bei Paulas Großeltern. Nun nahm Paula das Telefon, und schlug ihrem Opa vor, ohne groß zu überlegen:

      „Hättest du was gegen eine Reiseverlängerung nach Russland?“

      „Ja, aber...?“

      An diesem Moment unterbrach die Verbindung, wahrscheinlich aus menschlichen Gründen.

      „Paula, was bildest du dir überhaupt ein, du fährst mit Alfred nirgendwo hin, es ist nicht mal ein Monat nach eurer Spielkasinotour durch den Wilden Westen vergangen!“

      „Es war nur einmal, und nicht im Wilden Westen, sondern in Mexico und außerdem wollte ich gar nicht dorthin!“ setzte Paula zu ihrer Verteidigung ein.

      „Ja Paula, außerdem wolltest du in den Winterferien nach Paris mit deiner Oma!“ Roberts Replik erschien in dem Moment nicht so überzeugend.

      Mittwochmittag rief Petrov wieder an und teilte mit, dass er Paula in Russland womöglich gut gebrauchen könnte. Er fliege Donnerstagabend los. Danach legte er auf. Wahrscheinlich war er schon dabei, seine Sachen zu packen. Nun stand die Ingolstädter Familie vor einem Dilemma: Paula in ein unbekanntes Land mit einem fast unbekannten Menschen zu schicken? Wahnsinn! Alfred herbeirufen, damit er wieder alles in einen Casinourlaub verwandele? Auch keine gute Idee! Allerdings sollten sie sich bis Donnerstag entscheiden.

      Am Morgen des nächsten Tages offenbarte Johanna schließlich ihren gut durchdachten Plan:

      „Du fährst mit Susanne!“

      Susanne, Wolf mit Nachnahmen, unterrichtete Russisch an Paulas Schule und war außerdem eine gute Freundin von Johanna. Sie veranstaltete eine Fahrt nach Moskau, Ingolstadts Partnerstadt, und zwar genau im richtigen Zeitraum. Wie passend. Paula hingegen hasste Susanne Wolf. Frau Wolf hatte schon mal ein Jahr lang bei Paula unterrichtet und das reichte ihr: Sie verbot im Unterricht alles, was ihrer Ansicht nach „nicht zum Unterricht gehörte“ und verteilte Strafarbeiten, als wären es Süßigkeiten. So einen Russlandaufenthalt wollte Paula überhaupt nicht. Ihre letzte Hoffnung war ihr Opa, auch wenn ihr Plan sogar ihr selber ziemlich wage erschien. Sie rief ihn mithilfe ihres Mobiltelefons an und teilte ihm mit, wer mit ihr nach Russland fahren sollte. Sie bekam sofort eine Antwort, die sie hören wollte:

      „Sag mir ein Datum und Ort, dann treffen wir uns dort, mein Ehrenwort!“

      Auch wenn Paula einsah, dass dies nur blöde Schwatzerei ihres Opas war, fand sie in ihr eine Art Erleichterung.

      Nach einem langweiligen Schultag packte sie schnell ihre Sachen zu Ende und schon klopfte es an der Tür. Es war Petrov. Er führte einen weißen Koffer mit sich, eine Seltenheit, und eine Aktentasche, ganz in Schwarz.

      „Paula, mein Schatz, wo willst du den jetzt mit dem Koffer hin?“ wunderte sich Johanna.

      „Mama, du siehst doch! Petrov ist da!“

      „Aber wir haben das Thema doch schon zigmal durchgekaut, ich dachte, es sei dir bewusst, dass du mit erst Susanne Samstagmorgen nach Moskau fliegen wirst!“

      „Aber Mummy!“

      „Kein Aber!“ Paulas Mutter schien nicht nachgeben zu wollen.

      Zum Glück erkannte Petrov die heikle Situation und sprang sofort ein:

      „Sehr geehrte Frau, ich versichere Ihnen, das ich auf Ihre Tochter aufpassen und kein Auge von ihr lassen werde. Außerdem habe ich bereits zwei Plätze gebucht, in der Business Class! Wäre wirklich schade, sollte eins leer bleiben!“ Petrov sprach zwar freundlich, seine Stimme war aber auch sehr durchdringlich. Sogar Johanna musste sich für einen kurzen Moment zusammennehmen, um eine situationsgerechte Antwort zu finden.

      „Ich lasse mein Kind eigentlich nicht mit fremden Männern gehen. Und schon gar nicht in unbekannte Länder!“

      „Madame, beruhigen sie sich! Schauen sie auf mich! Bin ich ein fremder Mann für sie? Einer, der nicht in der Lage ist, auf ihre Tochter aufzupassen? Und Russland als ein unbekanntes Land zu bezeichnen? Nein, dies stimmt auch nicht! Moskau, es ist schon fast Europa! Glauben sie mir, alles wird laufen wie geschmiert!“

      Johanna wollte einfach nicht aufgeben:

      „Aber Paula trifft sich mit Frau Wolf trotzdem?“

      „Ja klar, ich werde persönlich dafür sorgen!“

      Den letzten Stein setzte Robert:

      „Abgesehen von dem Rosa finde ich, dieser Detektiv ist ein g’scheiter Mann. Er wird Paula sicher nichts tun!“

      „Also gut! – Johanna gab auf – Paula, du fliegst mit Petrov!“

      Paula machte vor Freude sogar einen kleinen Luftsprung. Zum Abschied umarmte Robert seine Tochter und Johanna küsste ihre Tochter direkt auf ihre Lippen, was Paula, an ihrem Gesichtsausdruck erkennend, anscheinend nicht gefiel. Danach schlossen sie die Tür und die Reise konnte beginnen.

      Jeder sah diese Reise als etwas Anderes:

      Aus Johannas Sicht sollte es eine ruhige Fahrt werden, bei der sich ihre Tochter im Polizeibüro entspannen würde, betreut von Susanne, mit einem Abstecher auf den Roten Platz. Aus Alfreds Sicht sollte es eine Vergnügungsreise mit einem Schuss Abenteuer sein. Rafting auf einem wilden Fluss, Bärenjagd und als er von Nuko erfuhr, schrieb er noch ein Feuergefecht dazu. Von Petrov wusste er überhaupt noch nichts. Petrov und Paula hatten nur ein Ziel: Nuko finden, egal welche Schwierigkeiten auftreten würden. Petrov buchte einen Non-Stop-München-Moskau-Flug. Am späten Abend hob das Flugzeug ab…

      2

      Um halb zwölf flogen sie schon hoch über Ingolstadt und um 4:00 nach Moskauer Zeit stand Paula bereits auf russischem Boden. Sie konnte während des etwa dreistündigen Fluges nur für kurze Zeit die Augen schließen, denn ihr Herz wollte einfach das schnelle Pochen nicht aufhören, sie war zugleich aufgeregt, beunruhigt und gespannt, gespannt darauf, was kommen würde. Als die beiden bei der Passkontrolle ankamen, blieb Petrov stehen und fing an, mit der Dame im Schalter etwas auf Russisch zu klären. Dies dauerte eine Weile. Bald kam noch eine Frau von der Passkontrolle angelaufen, dann noch eine dritte, kurz darauf fingen sie an, sich gegenseitig anzumotzen. Petrov entfernte sich dabei rasch und machte einen Anruf von seinem Mobiltelefon aus. Nach einer guten halben Stunde kam ein Mann im schwarzen Anzug mit schwarzen Haaren und einer schwarzen Uhr an und diskutierte eine Zeit lang mit Petrov. Danach entfernte er sich wieder eilig, jedoch mit Paulas Pass in der Hand. Erst um 7:30 kam der Mann in Schwarz zurück und nach letzten Kleinigkeiten bekam Paula ihren Pass zurück. Petrov sagte Paula, hätte die FSB nicht mitgeholfen, wäre sie bereits auf dem Weg in ihr Heimatland.

      „Ich hatte doch eigentlich ein Visum, oder nicht?“ wunderte sich Paula.

      „Ja“, murrte Petrov mit einer leicht gesunkenen Stimme „aber irgendeine Kurzaufenthalts-Schülergruppenvisa, gültig ab Übermorgen! Und das mit den Visa in Russland wird alles sehr ernst genommen! Weil du nicht als ein einfacher Toury nach Russland einreisen solltest, hast du ein Spezialvisum benötigt!“

      „Und was ist eigentlich FSB?“ fragte Paula weiter neugierig.

      „Hm… Könnte man mit FBI vergleichen“

      Jetzt verstand Paula, wie ernst diese ganze Sache war. Sie nahmen ein Taxi, blieben aber schon bald im riesigen Morgenstau stehen. Paula schlummerte wieder ein. Als sie von Petrov geweckt wurde, stand auf ihrer Uhr 7:03, in Russland schon neun Uhr morgens. Das Gebäude, in das sie eintraten, sah nicht wie ein Hotel aus, sondern eher wie Haus aus einem Viertel mit nicht wirklich gut betuchten Menschen. Petrov sagte dazu:

      „Das Haus hat eine gute Lage und es ist aus der Weltkriegszeit, also kannst du dich freuen!“

      Nach solch einer Nacht war es für Paula keine leichte Sache sich zu freuen. Halb im Schlaf sah Paula in dem dunklen Gang ein Albert Einstein Bild hängen. Sie vermutete zumindest, es gesehen zu haben. Petrov kommentierte Paulas irritierten Blick mit einem knappen Bonmot:

      „Kultur muss sein!“