Jessie Adler Gral

Dämon und Lamm


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kopierte, durchsuchte ich die Wohnung. Das hat mir ehrlich gesagt ziemlich viel Spaß gemacht. Ich sah mir einige ihrer unzähligen Akten an, filzte vorsichtig ihre Wäscheschublade (alles verwaschener alter Kram) und las ihren albernen Tagesplan, auf dem die zu erledigenden Aufgaben standen. Offenbar erstellt Jammerliese jeden Tag eine solche To do-Liste, denn bei unserem zweiten Einbruch eineinhalb Jahre später lag wieder eine auf dem Tisch. Diesmal hatten wir es viel leichter, denn wir hatten ja ihre Ersatzschlüssel, die wir beim ersten Mal hatten mitgehen lassen. Arme Jammerliese, sie ist wohl ein bisschen zwanghaft. Na, mir kann es weiß Gott egal sein.

      Über der Heizung im Schlafzimmer hing ein getragenes Höschen, können Sie sich das vorstellen? Ich beschloss sofort, das in meinem nächsten Roman zu verwenden. Und dann ihre Yucca-Palmen - alles voller Yucca-Palmen und Kiefernholz. Ich meine, spießiger geht‘s nun wirklich nicht mehr. Auf ihrer Festplatte war nicht nur das Manuskript von Das eisblaue Auge der Finsternis, sondern auch der zweite Band ihrer Serie mit dem Titel Kinderjäger, alles schon komplett redigiert und druckreif. Und dazu noch die Hälfte ihres dritten Bands! Außerdem haufenweise Erzählungen, Gedichte, Romanentwürfe und jede Menge der sozialpolitischen Artikel, die sie geschrieben hat, bevor sie auf Romane umgestiegen ist.

      Bloß dass ihre Romane keiner will, haha! Auf der Platte waren auch die sozialpolitischen Bücher, die sie früher verzapft hat, und die alle veröffentlicht sind. Die fasse ich natürlich nicht an, naja, jedenfalls kaum. So ein kleiner Halbsatz hin und wieder, wer will das schon nachweisen? Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn mit solch einer reichen Beute hätte ich im Leben nicht gerechnet. Ganz besonderen Spaß machten mir die beiden umfangreichen Manuskripte Erinnerungen in ihrem elektronischen Papierkorb, den sie offenbar zu löschen vergessen hatte. Diese Manuskripte sind - na sagen wir - ziemlich intim, und damit habe ich Jammerliese fest an der Gurgel.

      Den Beischlaf mit ihrem späteren Ehemann auf dem Küchenstuhl hab ich sofort für die Szene zwischen Judy und Rudi genommen. Das kommt sehr schön. Ich hab einfach nur die Ichform in die dritte Person geändert, und das war’s. Jammerlieses Erinnerungen sind überhaupt eine wahre Fundgrube für ausgefallene Szenen und Formulierungen. Ich brauche mich nur zu bedienen, und das Beste ist: Sollte Jammerliese es jemals schaffen, wieder ein Buch rauszubringen, kann sie diese Sachen nicht mehr benutzen. Die sind für sie unrettbar verloren, ha!

      Siri. Zwei Monate, nachdem ich Karlas Einbrüche entdeckt hatte, bekam sie für ihr drittes von mir abgekupfertes Machwerk einen Preis, den Rhett. Der Rhett hat seinen Namen von Rhett Butler aus Vom Winde verweht, und er ist eine begehrte Trophäe in der Welt der Herz-Schmerz-Literatur.

      Ich selbst schreibe Thriller über ernste und traurige Themen, die mit Umweltzerstörung, Flüchtlingselend und sexuellem Missbrauch zu tun haben. Vom ersten Band meiner Serie um meine schwarzäugige Heldin Lara Andernach schickte ich fünfzig Seiten samt einem Exposé an den Kondorverlag. Das war er, der Fehler. Im Kondorverlag nämlich hat irgendeine pflichtvergessene Lektorin Taubnessel mein Manuskript in die Hand gedrückt. Guck mal hier, das ist sehr originell, du wolltest doch immer schon mal ein Buch schreiben! Vielleicht aber hat Taubnessel mein Manuskript auch von irgendeinem Schreibtisch gestohlen, als sie im Kondorverlag die Fußböden schrubbte oder Gottweißwas. Jedenfalls bekam sie meine Texte, schön mit meiner Adresse versehen, in ihre diebischen kleinen Finger, und was sie las, gefiel ihr. Und so beschloss Taubnessel, die bis dahin erst eine einzige jämmerliche Kurzgeschichte veröffentlicht hatte, bei mir einzubrechen, um meine Serie zu klauen. Und das tat sie. Karla nahm die Figuren, die Szenen, die Plots, die Namen und die Formulierungen. Sie bediente sich in meinen Gedichten, Novellen, Artikeln und natürlich in meiner Romantrilogie.

      Das musste sie auch, denn sie hat überhaupt kein Sprachgefühl und einen unglaublich beschränkten Wortschatz. Und von der menschlichen Psyche, die für einen Schriftsteller doch so wichtig ist, versteht sie so viel wie ein Wasserschwein von katholischer Liturgie. Wie habe ich gelitten, als sie ihre Judy Krawik mit den ungebärdigen Locken meiner Lara ausstattete! Als sie Judy zu einem Racheengel hochstilisierte wie Lara – ihre banale, kettenrauchende, ungepflegte Judy mit den Proletenmanieren. Auf einmal trug Judy taillierte Lederjacken, schminkte sich und wurde attraktiv. Ja, sie wurde sogar liebenswürdig und - man höre und staune - behutsam und zartfühlend. Etwa so behutsam und zartfühlend wie du, Taubnessel?

      Wie auch immer, sie bekam diesen Preis, und ich ging zu ihrer Preisverleihung.

      Taubnessel war bereits mit dem Laudator auf der Bühne, als ich mich zu meinem reservierten Platz in der zweiten Reihe durchkämpfte. Ich trug ein auffällig rotweiß gemustertes Kleid mit einem geschwungenen Samtkragen und dazu schwarze Lackstiefeletten mit himmelhohen Absätzen. Das Kleid war sehr kurz. Auf dem für mich reservierten Platz hockte ein dicker Mann mit Entennase und schaute fasziniert zur Bühne hoch. Ich wies dem Dicken meine Platzkarte vor und scheuchte ihn von meinem Stuhl. Dann ließ ich mich auf dem Sitz nieder, legte meine Hände im Schoß zusammen und starrte Karla bohrend an.

      Taubnessel erbleichte, als sie mich erkannte.

      Sie weiß natürlich, wie ich aussehe, denn in meinem Schlafzimmer hängen ein paar goldgerahmte Fotografien von mir hinter Glas. Sie kennt mein Gesicht auch von den Klappentexten meiner sozialpolitischen Sachbücher. Außerdem haben Taubnessel und ihr Handlanger Martin natürlich mein Haus beobachtet und gewartet, bis ich aus dem Weg war. Schließlich konnten sie schlecht einbrechen, während ich daheim war. Daher weiß Taubnessel ganz genau, wie ich heute aussehe – mit langem offenem Haar von leuchtendem Blond und ziemlich dünn und elegant.

      Karla Taubnessel erbleichte also, und ich sah, wie sich auf ihren Wangen zwei rosarote, scharf abgezirkelte Flecken bildeten, was ihr das Aussehen eines Clowns verlieh. Karla hatte tüchtig zugenommen, obwohl sie doch schon früher alles andere als ein zartes Pflänzchen war, wie man auf den stark retuschierten Fotos ihrer Website sieht. Jetzt aber war sie eine richtig massige Erscheinung, fast ein Koloss. Sicher eine Frust-Fresserin, die sich schon bei den leichtesten Versagungen mit Rumkugeln und Marzipankartöffelchen vollstopft.

      Taubnessel fasste sich rasch. Sie straffte die Schultern, stöckelte zu ihrem Stuhl und ließ sich hineinplumpsen. Ihre rundlichen Füße steckten in schmalen Riemchensandaletten mit sehr hohen Absätzen. Karla atmete ein paar Mal tief durch und lächelte verzerrt ins Publikum. Dann begann sie zu lesen, und ich war verblüfft über die atemlose, leicht blecherne Mickymausstimme, die aus ihrem monumentalen Leib drang. Schließlich hörte ich Karlas Stimme zum ersten Mal, und der Gegensatz zwischen ihrer kompakten Erscheinung und der mausartigen Stimme war bestürzend. Karlas Stimme bebte leicht, doch als sie zu einer besonders albernen Passage kam, gewann sie wieder an Festigkeit. Es handelte sich um ein kurzes Dialogstück, das sie offenbar selbst geschrieben hatte, denn es war hundsmiserabel. Ab und zu muss sie sich natürlich ein paar überleitende Zeilen abringen, schließlich kann man eine Geschichte nicht einfach eins zu eins kopieren, sonst landet man auf der Stelle vor dem Kadi.

      Karla piepste sich durch die Lesung und hob dann stolz den Kopf. Der Applaus am Ende der Lesung baute sie sichtlich auf, und die rosaroten Flecken auf ihren Wangen begannen zu verblassen. Als sie zum Laudator ging, um ihren Preis entgegenzunehmen, schaute sie nicht ins Publikum, sondern blickte starr geradeaus.

      Der Laudator, ein dürrer rothaariger Kerl mit einem Gesicht voller brauner Sommersprossen, pries Karlas alberne Machwerke mit warmen Worten. „Mit der Reporterin Judy Krawik hat Karla Taubnessel eine sympathische und originelle Heldin geschaffen“, sagte er mit tönender Stimme. „Der Roman Krähen im Nebel, Raben im Geäst ist ein großer Wurf der wunderbaren Autorin. Es ist ein spannender und anspruchsvoller Roman, eine leidenschaftliche Hommage an die Liebe! Es ist ein hinreißender Liebesroman mit einer gerüttelten Portion Sprachgefühl!“ Und so weiter, und so fort. Dass die Lobpreisungen, die er zitierte, fast ausschließlich aus den Modezeitschriften Ulla und Larissa stammten, erwähnte er nicht. Und was das Sprachgefühl anbelangt, so sind die poetischen Passagen komplett aus meinen Gedichten und Novellen geklaut.

      Mir war, als würde ich von einer heißen Lohe versengt.

      Ich bekam Magenkrämpfe, doch ich ignorierte sie hartnäckig. Am schlimmsten schmerzte mich Taubnessels grauenvolle Heuchelei. In ihren Büchern gibt sie vor,