einen Stoß ins Kreuz gab, sodass sie in den brennenden Ofen flogen, wo sie hingehörten, höhnte ich in Gedanken. Natürlich stammt dieser Blödsinn nicht von mir. Ich bin auch sicher, dass sie ihn nicht bei Henning Mankell oder Petra Hammesfahr abgeschrieben hat, wie es auch schon vorgekommen ist. Taubenuss schreibt nämlich auch von anderen ab, sogar von Margaret Mitchell und Nabokov, nur viel vorsichtiger. Nein, dieser Schwachsinn musste auf ihrem eigenen Mist gewachsen sein.
Noch bevor die Pause eingeläutet wurde, steuerte ich den engen Durchgang zur Damentoilette an. Ich versteckte mich in einer der beiden Kabinen und schloss die Tür ab. Die Uranus-Buchhandlung eignet sich gut für größere Leseveranstaltungen. Vor allem aber hat sie eine geräumige Gästetoilette mit separaten Kabinen für Damen und Herren, was man in einer Buchhandlung eher selten findet. Ich zog die schwarze Perücke aus und bürstete mein langes blondes Haar, bis es schön locker fiel. Die Perücke verstaute ich unter meiner viel zu weiten Jacke und klemmte sie in meinen Hosenbund. Natürlich nahm ich auch die schauerliche Hornbrille ab. Im Handspiegel zog ich mir in einem dunklen, fast schwarzen Brombeerton die Lippen nach. Ich puderte auch mein Gesicht ab, das vor Aufregung schon leicht glänzte. Dann setzte ich mich auf den Toilettendeckel und lauschte dem Stimmengewirr, das aus dem Lesesaal bis in die Toilette drang.
Ich wartete geduldig. Mir war klar, dass Taubenuss kommen würde, um ihr Makeup aufzufrischen. Und ebenso klar war, dass sie ihren Bodyguard nicht in die Damentoilette mitschleifen konnte. Zunächst kamen zwei Frauen in flachen Schuhen, die ich erst hörte, als sie den Waschraum betraten. Sie brachten den süßlichen Geruch eines Parfüms mit, das mir unbekannt war. „Eine komische Stimme hat sie schon“ sagte die eine. „So hab ich sie mir gar nicht vorgestellt, so dick und dazu die Mickymausstimme.“
„Na, Du hast es nötig, Lia“, gab die andere in unverhohlenem Spott zurück. „Du bist ja auch nicht gerade eine Elfe.“ Sie ging in die Kabine neben mir und pinkelte ausgiebig.
„Aber meine Stimme passt zu mir“, erwiderte Lia leicht pikiert, als das Plätschern des Urinstrahls aufgehört hatte. „Meine Stimme klingt angenehm und hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit diesem blechernen Gequieke.“ Etwas fiel klirrend zu Boden und rollte über die meerblauen Bodenplatten auf meine Kabine zu. Es war ein Lippenstift in einer vergoldeten Hülse. Ich erhaschte einen Blick auf eine füllige Hand mit einem altertümlich geschliffenen Granatring, die den Stift vom Boden aufklaubte.
„Friede, Lia“, sagte die zweite Stimme lachend. „Ich hab’s nicht so gemeint, das weißt du doch. Sag mir lieber, wie dir die Lesung gefällt.“ Der Knopf des Händetrockners begann geräuschvoll zu summen.
„Tja, also im Buch hat’s mir besser gefallen. Alfredo ist schon ein toller Kerl, aber wenn das mit so einer piepsigen Stimme vorgelesen wird, vergällt es einem irgendwie den Genuss.“ Beide lachten, der Wasserhahn wurde zugedreht, und eine Handtasche mit einem Metallverschluss schnappte zu. Dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Danach geschah eine ganze Weile überhaupt nichts, während ich aufgeregt mit den Zehenspitzen auf den Boden tappte. Das Stimmengewirr im Lesesaal war jetzt gedämpfter. Endlich hörte ich Taubenuss, die den aquamarinblauen Teppichbelag des Lesebereichs offenbar hinter sich gelassen hatte; ihre Stilettos knallten auf die steinernen Platten des Durchgangs.
Ich erhob mich vom Klodeckel und wappnete mich. Los jetzt, Siri! Schnapp sie dir!
Taubenuss stieß die Tür auf und polterte in den Vorraum. Sie kippte ihr Kosmetiktäschchen auf dem holzvertäfelten Waschtisch aus, drehte das Wasser auf und riss ungeduldig an der Tülle des Seifenspenders. Ich riss die Kabinentür auf, trat dicht neben sie und blickte ihr im Spiegel in die Augen.
Karla starrte mich an wie einen Geist. Sie roch nach Rauch, und ihre Nasenspitze glänzte. Ihre Augen waren rotgerändert vom Zigarettenqualm. Taubenuss ist nämlich eine starke Raucherin - ein Laster, mit dem sie gern während ihrer Lesungen kokettiert. Sämtliche Finger ihrer rechten Hand waren quittengelb vom Nikotin, und rings um den Mund hatte sie tief eingegrabene Furchen. Sie sah viel älter aus als auf den Fotos ihrer Website.
Karlas Augen flogen furchtsam zur Tür und hefteten sich dann wieder auf den Spiegel, aus dem heraus mein Gesicht sie unbarmherzig anstarrte. Schließlich schien sie sich zu einem Entschluss durchzuringen. Sie warf die Lippen auf, und ein Ausdruck anmaßenden Stolzes legte sich über ihre Züge.
Ich drehte ich mich zu meiner Feindin um und blickte ihr direkt in das leicht gedunsene Gesicht. Ein rasendes Verlangen brandete in mir auf, Karla zu packen und ihren Kopf gegen die Wand zu schmettern, wieder und wieder, doch ich kämpfte diesen atavistischen Impuls meines Reptiliengehirns nieder. Stattdessen zog ich die grauenhafteste Grimasse, zu der ich imstande bin, riss die Augen weit auf und fletschte die Zähne wie eine wahnsinnig gewordene Hyäne. Ich weiß, dass ich so wahrhaft furchterregend aussehe, denn ich habe mal in der Hitze eines Taek Wondo-Trainings eine solche Grimasse gezogen, und mein Sparringspartner, eins siebenundachtzig groß und fast hundert Kilo schwer, sprang einen Meter zurück und erstarrte vor Schreck.
Auch Taubenuss machte einen Satz zurück und erstarrte. Auf ihrem Gesicht malten sich Schock und Unglauben. Gerade als sie den Mund aufriss und loskreischen wollte, zischte ich sie an: „Denk an die Schwarze Susanna und an Wladimir!“
Die Schwarze Susanna und Wladimir sind Figuren aus meinem unveröffentlichten Roman Kälteschauer. Sie sind Spaltpersönlichkeiten der tragischen jungen Julia, die als Kind von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht wurde und darüber multipel geworden ist. Die Schwarze Susanna ist so voller Wut und Hass, dass sie am liebsten jeden Menschen im Umkreis von tausend Metern töten würde, und der Witz ist, dass die sanftmütige Julia von diesen ihren mörderischen Impulsen nicht die geringste Ahnung hat. Auch Wladimir, ihre zweite Spaltpersönlichkeit, ist ein ausgemacht brutaler Kerl. Ich würde diesen beiden nicht gern in einer finsteren Gasse begegnen.
Diese zwei Gestalten also schleuderte ich Taubenuss vor die Füße wie einen scharfkantigen Obsidian. Karla klappte den Mund zu und starrte mich angsterfüllt an. Ich drehte mich um und verließ still die Damentoilette. Die schwarze Susanna und Wladimir sind Mörder. Taubenuss aber wird auf zivilisierte Weise erledigt, schließlich bin ich kein Orang-Utan.
Karla. Als Jammerliese bei meiner Preisverleihung auftauchte und sich dreist in die erste Reihe setzte, dachte ich mir, naja, soll sie, was kann sie schon machen, das elende Gespenst. Auch als sie zum zweiten Mal mit diesem albernen Dalmatiner an meinem Haus vorbeistiefelte, hab ich mich noch nicht groß aufgeregt. Gestern aber hat mir die hässliche Missgeburt auf der Toilette der Uranus-Buchhandlung aufgelauert. Ich stand, noch ganz erfüllt vom rasenden Applaus meiner begeisterten Fans, vor dem Waschbecken, da kam Jammerliese aus einer der Toilettenkabinen, stellte sich direkt neben mich und starrte mich im Spiegel an. So ein freches Luder! Und noch ehe ich mich von meinem Schock erholen konnte, dreht sie sich zu mir um, fletscht die Zähne und rollt mit den Augen, dass man das Weiße sah. Jammerliese sah richtig wahnsinnig aus, und ein paar Sekunden lang hatte ich tierische Angst. Schließlich war außer uns kein Schwein in der Nähe. Was, wenn das dumme Luder jetzt durchdrehte und mit einem Schnappmesser auf mich losging?
Aber nicht doch, wir kennen doch unsere Jammerliese. Alles falscher Alarm. Außer Zähne fletschen und ein bisschen Drohen hat sie nichts gemacht. Ich bin schnell aus der Toilette raus und wieder in den Lesebereich, wo meine treuen Fans mich erwarteten. So ein unverschämtes Miststück! Na, von jetzt ab hab ich auf Schritt und Tritt jemanden bei mir, selbst beim Gang zum Klo. Möglicherweise hab ich Jammerliese falsch eingeschätzt. Wenn ich an ihre Figuren Wladimir und die Schwarze Susanna denke - das sind schon verdammt gewalttätige Typen, die vor Hass und Rachsucht fast bersten. Andrerseits hat sie ja außer Grimassen schneiden nichts getan, obwohl wir allein im Toilettenraum waren. Wenn ich mir vorstelle, was ich ihr antäte, wenn sie bei mir eingebrochen wär, mich beklaut hätte und meine Werke als ihre ausgäbe: Ich würde sie bei lebendigem Leib vierteilen, ihre Viertel auf dem Rost braten und sie verschlingen.
Aber vermutlich sehe ich Jammerliese doch richtig: Die droht bloß, tut aber nichts. Mensch, es ist wirklich ein Glück, dass sie so eine blöde Pazifistin ist. Ich will mir gar nicht ausmalen, was mir passieren könnte, wenn sie mein Temperament hätte. Aber in Anbetracht ihres schwächlichen