Jessie Adler Gral

Dämon und Lamm


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Sie hat Kleidergröße achtundvierzig und ist nicht siebenunddreißig, wie sie in ihren Klappentexten behauptet, sondern siebenundvierzig. Victor hat alle interessanten Dokumente, an die er herankam, fotografiert. Man kann nie voraussagen, wozu man so etwas nochmal braucht. Er hat auch ein paar Fotos von Taubenuss und ihrem Kerl mitgehen lassen. Martin sieht darauf aus wie ein richtiger Hallodri. Er hat sich ein blondes Gemsenbärtchen zugelegt und trägt ein mokantes Lächeln im Mundwinkel. Seine Augen sind hell und haben einen arroganten Ausdruck. Es ist ein unverschämter Blick, der signalisiert, dass er nichts anbrennen lässt, wenn er eine Chance wittert.

      Ich denke, ich werde Natascha auf ihn ansetzen. Natascha ist fünfundzwanzig Jahre jünger als Taubenuss und hat lange, hellbraune Locken. Außerdem hat sie schwarze Augen, die wie mit Milch gefüllt aussehen. Natascha ist Halbpakistanerin mit einer deutschen Mama und sehr verführerisch. Ich habe sie während der Recherchen zu meinem Buch Spiel mir das Lied vom Sex kennengelernt, einer Reportage über das deutsche Rotlichtmilieu. Natascha hat nämlich eine Zeitlang als Callgirl gearbeitet, aber seit neuestem studiert sie Archäologie. Natascha mag mich, und sie schuldet mir noch einen Gefallen. Ich bin sicher, dass sie mir helfen wird. Außerdem braucht sie ja nicht wirklich mit Martin zu vögeln. Es reicht völlig, wenn sie ihn in eine peinliche Situation bringt - nackt auf einem Hotelbett, in den Armen einer aufregenden, ebenfalls fast nackten Frau. Die Fotos kann Victor schießen. Professionelle Qualität ist nicht nötig, einfache Schnappschüsse tun‘s auch. Victor sollte nur möglichst nah rangehen.

      Karla. Hoffentlich sitzt Jammerliese in Duisburg nicht wieder im Publikum! Ich hatte meine Lesung in der Rochus-Buchhandlung zwar bereits abgesagt, werde sie jetzt aber doch halten. Ich hab allerdings schon Schiss, dass sich die dämliche Kuh wieder in eine der ersten Reihen hockt und mich blöde anstiert. Diese Anstiererei ist echt nervig, auch wenn es nur Jammerliese ist. Zu allem Überfluss liegt mein Bodyguard mit einem Aneurysma in der Uniklinik. Blöder Hund. Ich finde, es ist seine Aufgabe, auf mich aufzupassen und nicht im Spital herumzuliegen. Ich wollte Martin und Steffi zur Lesung mitschleifen und ihnen auftragen, Jammerliese scharf im Auge zu behalten, aber beide haben keine Zeit.

      Uff! Ich meine, Jammerliese ist ja bloß ein blöder erfolgloser Niemand, aber es ist doch leichter, eine Lesung zu halten, wenn sie nicht da ist. Natürlich hat die dämliche Gans nicht die geringste Chance, mich aus dem Sattel zu werfen, dafür habe ich mich viel zu gut abgesichert. Aber schön ist der Gedanke nicht, dass sie wieder im Publikum hockt und glotzt. Ach, was soll’s, Ohren steif und durch! Jammerliese ist doch nichts weiter als ein armseliger Loser. Außerdem, was hab ich ihr denn schon getan? Klar, ab und zu hab ich eine von ihren Formulierungen genommen, manchmal auch eine ganze Szene oder eine komplette Person. Oder auch mehrere. Jammerliese formuliert ganz nett und erfindet recht brauchbare Figuren, aber das ist auch schon alles, was sie kann. Sie ist eine unbedeutende, erfolglose Null, die sich in ihrer Freizeit ein paar Geschichten ausdenkt, die keiner lesen will. So sehe ich das. Ich bringe ihr Zeug erst unter die Leute. Sie liefert vielleicht den Teig, aber ich hole das gebackene Brot aus dem Ofen, ha! Jammerliese ist einfach viel zu rechtschaffen. Wahrscheinlich will sie deshalb keiner drucken, da brauchte ich gar groß nachzuhelfen. Natürlich war auch ihre gesamte Korrespondenzakte auf der Festplatte, und so war ich immer bestens informiert, welchem Verlag sie ihr Manuskript gerade angeboten hatte. Da genügte dann ein schlichter Anruf meiner Lektorin, und die Leute haben ihr das Zeug wie eine heiße Kartoffel retourniert.

      Tja, so ist das Leben, Jammerliese! Nur die Starken überleben. Wer nicht wagt, gewinnt auch nix. Schau mich an, ich hab was riskiert und gewonnen. Und wo bist du heute? Kein Schwein erinnert sich mehr an deinen Namen. Keiner will deinen Kram lesen. Den vermarkte jetzt ich, denn heutzutage ist literarisches Junk Food angesagt. Aber das hast du dummes Luder nie begriffen.

      Siri. Victors Fotos sind einfach brillant. Martin liegt mit glasigen Augen und halb erigiertem Schwanz auf einem Hotelbett im eleganten Ambassadeur, und Natascha beugt sich über ihn - nur mit einem aufreizenden Schlitzhöschen und Strapsen bekleidet. Das mit dem nur halb erigierten Schwanz ist schade, aber mehr war bei Martins Alkoholpegel leider nicht drin. Aber auch so sind es gelungene Bilder.

      Natascha hat mir erzählt, dass sie Martin nicht viele Fallen zu stellen brauchte. Der Kerl sei ihr praktisch in den Schoß gefallen wie eine überreife Mango. Wir saßen im Café Central, tranken Cappuccino mit Schlagsahne und Schokoladenstreuseln und waren blendender Laune. Natascha hatte Martin in seiner Stammkneipe Backes aufgegabelt, wo er gerade das sechste Bierchen zischte, und ihn nach allen Regeln der Kunst abgeschleppt. Die beiden Eingangssätze, die ich ihr eingebläut hatte - “Das muss doch ermüdend für Sie sein, so eine prominente Frau zu haben! Bestimmt interessieren sich alle nur noch für sie“ - haben Wunder gewirkt. Martin stürzte sich wie ein ausgehungerter Hai auf den Köder und schluckte ihn mit Haut und Haar, was mich nicht erstaunte. Schließlich ist ja bekannt, dass die meisten Männer mit dem Erfolg ihrer Frauen ziemlich schlecht zu Rande kommen. Das sieht man schon daran, dass die Liste bildschöner Schauspielerinnen, die kurz nach dem Empfang eines Oscars von ihrem Kerl verlassen oder öffentlich gedemütigt wurden, von Jahr zu Jahr länger wird.

      Martin jedenfalls beklagte sich heftig über seine Rolle als Prinzgemahl und bekundete, dass er es „satt habe bis obenhin“. Von da bis zum Bett im Ambassadeur war es ein Kinderspiel. Während Martin im Bad seine prall gefüllte Blase entleerte, öffnete Natascha Victor leise die Tür und ließ ihn hinter die blausamtenen Fenstervorhänge schlüpfen. Das Bett stand praktischerweise sehr nahe beim Fenster, sodass Victor tolle Nahaufnahmen schießen konnte.

      Nachdem ich meinen Fotografen und Einbrecher für seine Dienste entlohnt und Natascha die Spesen - einige Flaschen Champagner einer edlen Marke und die Hotelkosten - ersetzt hatte, war von meinen Ersparnissen fast nichts mehr übrig. Doch das stört mich nicht, denn alles verläuft genau nach dem Plan, den ich so akribisch ausgetüftelt habe. Die Fotos von Martin und Natascha sind hinreißend, besonders der leicht dümmliche Ausdruck auf Martins gemsenbartgekrönter Visage. Und es ist kein einziger Fingerabdruck auf den Fotos, denn Victor und ich haben ständig Handschuhe getragen. Auch jetzt, da ich die Päckchen für KLARSICHT und für Taubenuss packe, trage ich transparente Einweghandschuhe.

      Karla bekommt ihr Päckchen als erste, im Briefzentrum abgestempelt und ohne den leisesten Kommentar. Dem KLARSICHT-Redakteur werde ich die benötigten Hintergrundinformationen telefonisch geben, mit verstellter Stimme vom Bahnhof aus, wie ich es schon bei Randow gemacht habe. Für KLARSICHT ist das genau der richtige schlüpfrige Stoff. Ein Hinweis, dass dieser Mann der Ehemann der bekannten Autorin Karla Taubnessel ist, der sich mit einer fremden Schönheit amüsiert, während seine Frau auf Lesereise ist, dürfte genügen. KLARSICHT besorgt den Rest.

      Ich hoffe, dass ihr treuloser Kerl Karla schwer zu schaffen machen wird. Das ist das Mindeste, was sie verdient für all die Seelenschmerzen, die sie mir zugefügt hat. Karla hat übrigens ihre Lesung in Duisburg abgesagt, wie mir der Inhaber der Rochus-Buchhandlung bedauernd mitteilte. Eine Unpässlichkeit der geschätzten Autorin, wirklich zu schade. Aber die Sache werde am sechzehnten Dezember nachgeholt. Ich dankte dem Buchhändler und bestellte eine Karte auf den Namen Margot Fonteyn (ein bisschen Fantasie kann bestimmt nichts schaden), abzuholen eine halbe Stunde vor Beginn der Lesung.

      Siri. Die Lesung zog sich entsetzlich in die Länge, und ich langweilte mich furchtbar. Karlas blecherne Stimme war die reinste Tortur, und nur die Freude darüber, dass ihre Hamsterbacken noch deutlicher hervortraten als früher, hielt mich bei der Stange. Eine Frust-Fresserin, hab ich‘s doch gewusst. Endlich kam Taubenuss zum Ende und hob siegessicher Kopf.

      Es waren nur elf Leute in der Buchhandlung. Möglicherweise lag das an dem regnerischen Wetter. Die Temperatur lag nur knapp über Null, und wahrscheinlich hatten die Menschen einfach keine Lust, ihre gemütliche Wohnung zu verlassen. Vielleicht war aber auch Karlas Stern im Sinken begriffen. Möglicherweise hatten die Leute genug von ihrer quäkenden Stimme. Jedenfalls war die Autogrammschlange vor ihrem Lesepult erfreulich kurz. Nur vier Personen.

      Ich stellte mich als Vorletzte an, ein Exemplar von Krähen im Nebel, Raben im Geäst in der Hand. Karla schrieb mit raumgreifenden Gesten Autogramme und lächelte huldvoll. Als ich