Jessie Adler Gral

Dämon und Lamm


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Farbe. Offenbar hatte die Karosserie gebrannt.

      Obwohl es relativ dunkel war, sah ich all das mit überirdischer Klarheit – ganz so, als hätte eine himmlische Hand Licht über die Szenerie ausgegossen. Mein Blutdruck ging steil nach oben, und mein Herz klopfte zum Zerspringen. Dann, genauso plötzlich, wie mein Herz zu rasen begonnen hatte, beruhigte es sich wieder. Eine frostige Klarheit überkam mich, und in mir breitete sich Lautlosigkeit aus. Ich wechselte zur rechten Fahrbahn, verringerte das Tempo noch weiter und zuckelte gemächlich heim.

      Am nächsten Tag ließ ich es ruhig angehen. Ich nahm warme Lavendelbäder und legte mir Pfirsichmasken aufs Gesicht. Kalamaki spazierte auf dem Wannenrand auf und ab, wie er es immer tut, wenn ich bade. Von Zeit zu Zeit streckte er eine grau bepelzte Pfote ins Badewasser, als wolle er die Temperatur prüfen, und schüttelte die Pfote anschließend mit angewiderter Miene. Doch nach einer Weile stippte er sie wieder hinein. Derweil sann ich im warmen Wasser vor mich hin. Wollte ich, dass Taubnessel tot war? Nun, nicht um jeden Preis, aber heiße Tränen würde ich ihr bestimmt nicht hinterherweinen. Immerhin wäre dann endlich Schluss mit ihren Plagiaten. Doch über Taubnessels weiteres Schicksal hatte nicht ich zu entscheiden.

      Abends lud ich meinen alten Malerfreund Dietmar ins Boccaccio ein und aß ein Filet Mignon mit Strohkartoffeln und grüner Soße, für die ich mein Konto überziehen musste. Dietmar aß gebräunte Forelle an Meerrettichschaum, und wir teilten uns eine große Schüssel Salat Nicoise. Dietmar war aufgekratzt, weil er demnächst bei einer der bekanntesten Kölner Galerien ausstellt, und auch ich war guter Laune. Ich trug ein mintgrünes Kleid mit kleinen schwarzen Tupfen und aß mit gesegnetem Appetit. Ganz egal, ob Taubenuss nun tot war oder bloß verwundet - es war auf jedem Fall eine erfreuliche Nachricht.

      Dietmar machte mir Komplimente, während wir aßen. „Heute siehst du wirklich reizend aus!“, sagte er aufgeräumt und säbelte seiner Forelle den Kopf ab. „Ist dein Filet Mignon gut?“

      „Himmlisch! Die grüne Soße ist ein Gedicht“, erwiderte ich kauend.

      Früh am nächsten Morgen besorgte ich mir sämtliche Regionalzeitungen Kölns. Ich erfuhr, dass die bekannte Autorin Karla Taubnessel einen schweren Autounfall erlitten hatte. Ihr kirschroter Porsche Carrera hatte sich überschlagen, und Taubnessel lag im künstlichen Koma. Natürlich gab es durchaus Hoffnung, doch die Ärzte hatten leider Grund, anzunehmen, dass Taubnessel künftig vom zweiten Brustwirbel an gelähmt sein würde. Weil ihr Wagen in Brand geraten war, und die Rettungskräfte sie nicht rechtzeitig aus dem Wrack befreien konnten, hatte die Ärmste überdies schwere Brandwunden auf der der linken Gesichtshälfte, der Brust und den Oberarmen erlitten. Ihre Haare waren komplett verbrannt und würden auch nicht wieder wachsen. Aber das war nicht so schlimm, denn es gab ja sehr hübsche Damenperücken.

      Ich lächelte still vor mich hin. Welch grausamer Schicksalsschlag hatte Taubnessel, die sich doch in ihren Büchern so engagiert für misshandelte Kinder und geschlagene Frauen einsetzt, da bloß getroffen? Diese feine Seele würde ihr weiteres Leben nun vermutlich an den Rollstuhl gefesselt verbringen. Es traf doch immer die Falschen. Armes Ding.

      Siri, drei Jahre später. Nach so vielen Nöten und Seelenschmerzen hat sich mein Leben überraschend aufs Wunderbarste gewandelt. Gestern habe ich die Nachricht bekommen, dass mein Roman Archaische Rhapsodie, der die dramatischen Schicksale bei einer Überschwemmung in Mumbai schildert, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wird. Mit dem Pulitzerpreis, Taubenuss! Das ist was anderes als ein Rhett, nicht wahr? Und mein jüngster Roman Feuriges Grenada über eine Umweltkatastrophe durch einen unterseeischen Vulkanausbruch wird vom renommierten Braveheart Verlag herausgebracht. Feuriges Grenada erscheint zur Buchmesse im Herbst als Hardcover mit einem wirklich großartigen Titelbild, und ich habe einen sehr erfreulichen Vorschuss kassiert. Dazu kommen noch die zehntausend Dollar, mit denen der Pulitzerpreis dotiert ist, sodass auch meine langjährigen Geldsorgen Geschichte sind.

      Vorbei die Zeiten, in denen ich zerrissene Unterwäsche tragen und meine alten Pantoffeln mit Teppichklebeband flicken musste. Vorbei die Zeiten, in denen ich mir überlegen musste, ob ich mir eine Straßenbahnkarte leisten könnte oder ob ich zu Fuß ins Stadtzentrum laufen musste. Mein betagter Mercedes hat vor zwei Jahren den Geist aufgegeben, doch jetzt kann ich mir ein hübsches umweltfreundliches Elektroauto leisten. Und ich kann mir ein paar hinreißende Kleider in meiner Lieblingsboutique Nanettes Frühling aussuchen, die ich seit zehn Jahren strikt gemieden habe, da ich ohnehin nichts hätte kaufen können. Übrigens habe ich beschlossen, Karla Taubnessel im Moment noch nicht zu verklagen. Es würde mir zwar eine stolze Summe einbringen, aber Urheberrechtsprozesse sind zeitaufwändig. Stattdessen schreibe ich lieber meinen neuen Roman über einen achtundsechzigjährigen Prokuristen, der den Fotografen in sich entdeckt und auf seine alten Tage weltberühmt wird, zu Ende. Aufgeschoben ist schließlich nicht aufgehoben.

      Wenn man der Klatschpresse glauben darf, ist Taubenuss ohnehin am Ende.

      Seit zwei Jahren ist es nämlich totenstill um sie geworden. Karla lebt in einer Rehaklinik für Brandverletzte im Allgäu und wird vom Klinikpersonal hermetisch abgeschirmt. Trotzdem ist es irgendeinem Paparazzo mit Teleobjektiv gelungen, sie im klinikeigenen Park abzuschießen. Das Bild ging durch sämtliche Gazetten der Yellow Press, und auch ich sah es mir aufmerksam an.

      Taubnessel hockt zusammengesunken in ihrem Rollstuhl, und ihre Schultern hängen mutlos herab. Sie ist mit soliden Gurten an der Rückenlehne festgeschnallt, damit sie nicht vornüberkippt, und starrt mit wütenden Augen in die Kamera. Die linke Seite ihres Gesichts ist von schweren Brandwunden entstellt, die Haut reptilartig vernarbt. Sie trägt ein farbenfrohes Kopftuch, und ihr Mund ist und schief und verzerrt.

      Taubnessels Foto berührte mich eigenartig, doch ich konnte die Empfindungen, die flüchtig durch meine Seele geisterten, nicht greifen. War es Fassungslosigkeit? Erbarmen? Grauen? Genugtuung? Ich überlegte, ob ich Taubenuss dazu getrieben hatte, die Kontrolle über ihren Angeberschlitten zu verlieren.

      Ich muss zugeben, es hat Zeiten gegeben, in denen ich Taubenuss am liebsten mit bloßen Händen erwürgt hätte. Nicht ohne ihr vorher die Zähne einzuschlagen, wohlgemerkt. Bestimmt hat es ein gewisses Entsetzen in ihr ausgelöst, als ich sie auf der ersten Buchseite darüber informierte, dass ich sie verklagen werde, denn sie wusste ja, dass sie schuldig war wie Kain. Andrerseits – wäre sie nicht mehrfach in meine Wohnung eingebrochen und würde seitdem meine Texte, Stoffe und Plots in übelster Form ausbeuten, würde ich sie doch auch nicht verklagen wollen. Für solche Fälle hat unser Rechtssystem die Urheberrechtsklage vorgesehen, von einer strafrechtlichen Verfolgung ihrer Einbrüche und Diebstähle gar nicht zu reden. Ihr geschieht also Recht.

      Habe ich Taubnessel in Panik versetzt, als ich sie mit meinem Wagen die Autobahn entlanghetzte? Höchstwahrscheinlich. Obwohl ich das Resultat überraschend fand. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass sich Taubenuss so rasch in Panik versetzen ließe. Allerdings weiß ich, dass es beträchtliche Angst erzeugt, wenn einem auf der linken Spur ein Auto hinterherjagt, selbst bei dem relativ moderaten Tempo von Hundertzwanzig. Genau das ist mir nämlich selbst passiert, als ich noch jung und leicht zu beeindrucken war.

      Ein schlammfarbener Ford, vollgepackt mit vier brutal aussehenden Kerlen, setzte sich auf der Autobahn nach Würzburg direkt hinter meinen klapprigen Volkswagen und trieb mich die linke Fahrbahn entlang. Die Bahn war gestopft voll; es gab einfach keine Lücke auf der rechten Seite, in die ich mich hätte hineinretten können. Weiter beschleunigen war auch nicht möglich, mein altes Auto fuhr bereits Spitzengeschwindigkeit. Im Rückspiegel konnte ich sehen, dass die Schweine über die ganzen viehischen Gesichter lachten, während ich Blut und Wasser schwitzte und mir vor Angst fast in die Hosen machte. Der Abstand zwischen uns betrug gerade mal eineinhalb Meter, und obwohl sie bei einem Crash ebenfalls draufgegangen wären, war das für diese Kerle anscheinend ein Mordsspaß. Endlich erspähte ich eine Lücke auf der rechten Fahrbahn und konnte ihnen entwischen. Von daher weiß ich genau, wie leicht man bei einer solchen Hetzjagd Todesängste aussteht.

      Doch als der Unfall geschah, fuhr ich schon eine ganze Weile nicht mehr hinter Karla her. Zwischen dem Schneegestöber, das mich mein Tempo vermindern und zurückbleiben ließ, und Karlas Crash in den Birken lagen bestimmt zehn Minuten, in denen wir kilometerweit