bist du dran, du diebisches Miststück!
Du kommst vor Gericht!
Taubenuss erstarrte und zog scharf den Atem ein.
„Stimmt genau“, sagte ich heiter. „Bitte ein Autogramm, Frau Taubnessel.“
Karla riss den Kopf hoch und starrte mir ins Gesicht. Ich war ungeschminkt und sah so sauber und farblos aus, als hätte man mich mit Kernseife geschrubbt. Dazu trug ich eine Nickelbrille mit kreisrundem Gestell, die mir ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Ohne Makeup sehe ich ohnehin völlig anders aus, jung und fast ein wenig unscheinbar. Außerdem hätte mich unter dem braven mausfarbenen Topfhaarschnitt noch nicht mal meine eigene Mutter erkannt.
Karla stierte mit leicht geöffnetem Mund zu mir hoch, die Hand mit dem teuren Montblanc unschlüssig in der Luft verharrend, während sie sich zu einer Entscheidung durchzuringen versuchte. Der Mann hinter mir wurde zappelig und begann mit den Füßen zu scharren. Taubenuss klappte den Mund zu und presste die Lippen zusammen. Dann schrieb sie unter meine drohenden Zeilen: „Mit guten Wünschen, Karla Taubnessel.“
Ihre Hand zitterte, und ihr Namenszug geriet leicht verwackelt.
„Verbindlichen Dank“, sagte ich höflich und fügte, schon halb zum Gehen gewandt, über die Schulter hinweg hinzu: „Woher kriegen Sie nur immer diese interessanten Stoffe und die prägnanten Formulierungen?“
„Ich erfinde sie“, schrie Taubenuss meinem sich entfernenden Rücken hinterher. „Ich denke sie mir aus. Es sind alles meine Erfindungen!“
Ich gestattete mir ein teuflisches kleines Lachen und verschwand rasch in der Dunkelheit. Draußen wartete ich nervös in meinem betagten Mercedes. Würde Taubnessel in Begleitung aus der Tür treten oder allein? Karlas Publikum hatte sich bereits davongemacht. Geblieben war nur der einsame Mann, der hinter mir angestanden hatte. Wenn nicht er oder der Buchhändler Karla nach Köln zurückbegleiteten, würde sie allein zurückfahren müssen.
Ich riss mir die mausbraune Perücke vom Kopf und nahm die runde Brille ab. Dann kauerte ich mich auf den Vordersitzen meines Wagens zusammen und überwachte mit Hilfe meines Schminkspiegels den Eingang der Buchhandlung. Übrigens werde ich Karla tatsächlich vor Gericht bringen. Bei meinem Rechtsanwalt liegt eine ausführliche Dokumentation ihrer sämtlichen Plagiate inklusive aller Beweise - Satz für Satz, Figur für Figur, Szene für Szene, Plot für Plot. Weitere Beweismittel lagern bei meinem Notar. Die Einbrüche durch Taubenuss und ihren willigen Kumpan Martin habe ich, wenn auch mit mehrjähriger Verspätung, bei der Polizei angezeigt, wobei ich nicht versäumt habe, der Kripo sämtliche Hintergrundinformationen einschließlich der Namen des sauberen Einbrecherpärchens zu übermitteln. Das wird bei einem Prozess sehr nützlich sein.
Tja, ich kann sie jederzeit verklagen, und da ich so lange nichts von ihren Plagiaten wusste, und Karla fleißig weiterplagiiert hat, ist der Streitwert inzwischen sehr hoch. Wenn Taubenuss den Prozess verliert, wird sie mir ziemlich viel Geld zahlen müssen. Und verlieren wird sie, denn meine Beweise sind eindeutig. Mein Anwalt hat den Streitwert auf insgesamt 185.000 Euro festgesetzt, und ich glaube, das Gericht wird sich dem anschließen. Selbst wenn Taubenuss keine 185.000 Euro hat - von meinen und ihren Prozesskosten, die sie natürlich auch bezahlen muss, ganz zu schweigen -, ist sie doch im Anschluss an den Prozess ruiniert. Kein Hund wird mehr ein Stück Brot von ihr nehmen, und sie ist alles los, was sie sich ergaunert hat: ihren Ruf, ihr Geld und ihren Rhett, den man ihr natürlich wieder aberkennen wird.
Ich seufzte wohlig, während ich unausgesetzt in den Schminkspiegel starrte, und träumte weiter vor mich hin. Taubenuss vor den Schranken des Gerichts, stotternd, gedemütigt und ständig an Boden verlierend, während sich die Stimmung im Saal allmählich immer stärker gegen sie kehrt und schließlich in blanke Empörung umschlägt. Taubenuss, gejagt von den Geiern der Yellow Press, die einen saftigen Skandal wittern. Taubenuss im Blitzlichtgewitter mit einem Schal über dem Kopf, die sich duckt und die Schultern einzieht, während sie in Handschellen durch die Gänge des Gerichts geführt wird. Bei diesen Träumereien wurde mir die Zeit nicht lang, und ich merkte nicht, dass bereits eine dreiviertel Stunde verstrichen war. Inzwischen war es lausig kalt im Wagen, und meine Finger waren klamm, aber ich wollte auf keinen Fall durch einen laufenden Motor die Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Ich wollte wie ein rauchfarbener Geist im Finsteren hocken und auf meine Peinigerin warten. Also starrte ich weiter in den Schminkspiegel, während meine Finger allmählich ertaubten. Nach achtundvierzig Minuten kam sie endlich. Offenbar hatte sie verzweifelt versucht, Zeit zu schinden oder vielleicht auch, jemanden zu überreden, sie nach Köln zurückzubegleiten. Aber es hatte nicht funktioniert.
Taubenuss witterte nach allen Seiten wie ein gehetztes Tier. Inzwischen fiel ein leichter Nieselregen vom Himmel. Karla hastete zu ihrem Auto des Tages, einem knallroten Porsche Carrera, und schmetterte die Autotür zu. Sie stellte ihre Musik, ein übles Technogedröhn, dessen wummernde Bässe durch meine geschlossenen Autofenster drangen, auf brüllende Lautstärke. Mir drehte es den Magen um vor Abscheu. Taubenuss warf noch ein paar sichernde Blicke um sich, bevor sie mit Bleifuß und kreischenden Reifen davonschoss.
Ich wartete, bis Taubnessel um die Ecke war, ehe ich die Lichter einschaltete. Mein Wagen ist alt, aber er fährt noch locker hundertachtzig, denn ich habe ihn immer gut in Schuss gehalten. Und mehr ist auf den meist stark befahrenen Autobahnen zwischen der Kölner Senke und dem Ruhrgebiet ohnehin nicht drin. Dann fuhr ich ihr gemächlich hinterher. Ich kenne die Strecke zur Autobahn wie meine Westentasche, denn ein ehemaliger Liebhaber von mir wohnt in Duisburg. Ich kenne auch ein paar raffinierte Abkürzungen zur Autobahn. Taubenuss konnte mir nicht entwischen.
Wenige Kilometer nach der Autobahnauffahrt sah ich ihre Rücklichter. Taubenuss fuhr inzwischen langsamer, offenbar überzeugt, dass niemand hinter ihr her war. Auf der Bahn war nur geringfügiger Verkehr. Es regnete jetzt stärker, und aus einem Riss im wolkenverhangenen Himmel trat eine schmale Mondsichel hervor und warf ein fahles Licht auf die nasse Fahrbahn.
Jetzt! Ich atmete tief durch und beschleunigte den Wagen. Dann setzte ich mich genau hinter Karlas Auto auf die rechte Spur. Damit sie mich auch erkannte, hupte ich ein paar Mal in Stentorlautstärke.
Taubnessel sah in den Rückspiegel, und ihr hübscher Porsche machte einen Satz.
Sie wechselte auf die linke Spur, und ich folgte ihr auf dem Fuß. So brausten wir auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn, während Taubnessel alarmierte Blicke in den Rückspiegel warf. Der Mond hatte sich wieder verfinstert und der kalte Regen, der vom Himmel fiel, begann in Schnee überzugehen. Der Schnee war nass und pappig und schmolz sofort wieder, aber die Sicht wurde schlechter und die Fahrbahn ein bisschen rutschig. Ich ging leicht vom Gas und ließ mich ein paar Meter zurückfallen.
Dann wurden die Flocken größer und taumelten mir in einem wahren Schneegestöber vor die nachtschwarze Windschutzscheibe. Binnen kürzester Zeit fiel der Schnee so dicht, dass ich kaum mehr die Hand vor Augen sah. Ich wechselte auf die rechte Fahrbahn und fuhr noch vorsichtiger. Kein Grund, sich wegen Taubnessel den Hals zu brechen. Kurz hinter Neuss war es dann ganz plötzlich vorüber. Der Himmel klarte auf, und ein paar Sterne funkelten wie geschliffene Kristalle. Die Fahrbahn trocknete rasch, und ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag nieder. Doch obwohl ich raste wie der Teufel, konnte ich Taubnessels Porsche nicht mehr einholen.
„Verdammte Axt!“, sagte ich frustriert in den dunklen Wagen und zog enttäuscht meine Bahn heimwärts.
Ich durchfuhr gerade eine langgezogene Kurve, als am rechten Fahrbahnrand das blinkende Blaulicht eines Polizeiautos auftauchte. Ein Notarztwagen mit offener Tür stand direkt daneben. Ich drosselte das Tempo und folgte den Signalzeichen des Polizisten in Warnschutzweste, der alle Fahrer auf die linke Fahrspur winkte. Dann fuhr ich in mäßigem Tempo an der Unfallstelle vorbei und gähnte ermattet. Die Müdigkeit, die meiner stundenlangen Anspannung gefolgt war, wurde plötzlich übermächtig.
Auf dem Asphalt lag eine Person, die meinen Blicken verborgen blieb, flankiert von den gekrümmten Silhouetten zweier Rettungssanitäter. Zwischen drei Birken am rechten Fahrbahnrand hing Karlas roter Porsche. Die Vorderseite war eingedrückt,