Teufeleien zugefügt hat.
Wie ein Flashback blitzte ihre Website vor meinen Augen auf. Ein nicht sehr attraktives Foto von ihr hängt über dem aufgeblasenen Text wie eine düstere Gewitterwolke. Karla twittert auch gern und häufig. Dabei erläutert sie ihren Lesern, in welch einsamen Qualen sich eine Künstlerin winden muss, um ein Werk zu gebären. Was in ihrem Fall besonders peinlich ist, da sie noch nie etwas anderes geboren hat als ungelenke Dialogversatzstückchen, die ihre von mir geklauten Texte mehr schlecht als recht aneinanderbinden. Wirklich erstaunlich, dass sie ihren Lesern noch nicht erzählt hat, wie oft sie am Tag Pipi macht.
Ich lächelte und hob mein Glas in der Parodie eines Trinkspruchs.
Du wirst noch Heulen und Zähneknirschen, Taubenuss!
Karla. Als ich die Schmierereien an meinem Haus sah, war mir sofort klar, dass die nur von Jammerliese sein konnten. Von diesem armseligen Plasma, das sich nicht mal wehrt, wenn man ihr alles klaut, was sie je verzapft hat. Dieses Geschmiere an meiner Frontwand ist doch bloß das Werk einer wütenden Maus, das nehme ich überhaupt nicht ernst. Ich werd das der Presse gegenüber auch gar nicht weiter kommentieren. Dieser ekelhafte Randow, der wie aus dem Nichts heraus plötzlich vor meiner Haustür stand, schien sich über meine Fassungslosigkeit auch noch zu amüsieren. Na, ich habe den unverschämten Burschen stehenlassen, bin ins Haus gerannt und habe Martin im Büro angerufen. Diese verdammten Pressefuzzis sind doch richtige Aasgeier. Alle wollen sie einem ans Leder.
Leider kriege ich im Moment sowieso ziemlich viel Gegenwind. Für meinen Roman Eisbären überall hab ich ein paar unglaublich unverschämte Kritiken kassiert, da musste ich echt schlucken. Dolf Klöver, der Cheflektor des Hauschildtverlags, behauptete, mein Zeug sei mechanisch zusammengehauen und ein total seelenloses Geschreibsel, das man sofort vergäße, sobald man das Buch aus der Hand gelegt hat. Da käme einfach gar nichts rüber, kein sinnvoller Gedanke und kein lebendiges Gefühl. Dieser widerliche Schmierfink! Der kommt ganz oben auf meine Hassliste. Leider haben auch noch ein paar andere Kritiker in das gleiche Horn getutet. Natürlich muss man diesen Kritikermist nicht wirklich ernst nehmen, aber er macht mich wütend. Was fällt diesen jämmerlichen Typen ein? Die sind doch alle bloß giftig, weil ich erfolgreich bin. Die wären selbst gern Schriftsteller, können es aber nicht. Diese Kerle sind einfach grün und gelb vor Neid.
Siri. Es ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, warum Taubenuss unbedingt Schriftstellerin sein will, da sie doch zum Schreiben so gut wie keine Begabung zeigt. Warum sattelt sie nicht auf Einbrecherin um? Als Gesetzesbrecherin ist sie nämlich ein beachtliches Talent. Aber natürlich muss man sich bei einer kriminellen Karriere im Schatten halten, während Taubenuss doch auf Teufel komm raus ins Rampenlicht will. Wenn man ihr Internet-Tagebuch liest, begreift man sofort, dass sie sich für einen verkappten Rockstar hält.
Es ist wirklich jammerschade, dass ich Karlas kriminelle Machenschaften erst nach fünf Jahren entdeckt habe. Und wenn sie nicht so dreist gewesen wäre, eine meiner Figuren - die dänische Ärztin Mathilda Palmgren - komplett zu übernehmen, hätte ich es vermutlich nie gemerkt. So aber stolperte ich bei einer Internetrecherche über die Rezension eines Romans namens Krähen im Nebel, Raben im Geäst, in dem die dänische Ärztin Mathilda Palmgren eine tragende Rolle spielt. Und so kam alles ans Tageslicht.
Danach hockte ich wie betäubt vor dem Monitor und fühlte mich, als hätte mir ein Mastodon den Huf in den Solarplexus gerammt. Doch das war nichts gegen das Grauen, das mich erfasste, als ich nach und nach den Umfang ihrer Diebstähle erkannte. Erst ganz allmählich begriff ich nämlich, dass sich alles, was ich in rund dreißig Jahren geschrieben hatte - vieles davon noch unveröffentlicht -, in Taubnessels dreckigen Diebeshänden befand.
Das verursachte mir eine rasende Seelenpein. Es fühlte sich an, als vergewaltige Taubnessel ohne Unterlass mein Gehirn, während ich von den Flammen des Hasses, die in meiner Brust wüteten, langsam aufgezehrt wurde. Nach dem ersten Einbruch haben Taubnessel und ihr Helfer übrigens ein Schlüsselset von mir mitgenommen, was ich wiederum erst Jahre später merkte. Das Schlüsselset lag griffbereit in einem Messingkästchen in meiner obersten rechten Schreibtischschublade. Danach sind die kriminellen Schweine noch zweimal wiedergekommen und haben meine Festplatte erneut kopiert; schließlich brauchte Taubnessel ja Nachschub. Karla ist nämlich völlig fantasielos. Sie kann sich nicht mal die simpelsten Dinge ausdenken und schreibt ungelenk wie ein Schulkind. Wenn sie mal eine kleine Passage selbst schreibt. Die erkennt man immer auf Anhieb, weil ihr Stil gegenüber dem von mir Abgekupferten so unsäglich abfällt. Ich habe nie verstanden, wieso ihrer Lektorin diese Brüche nicht auffallen, aber vermutlich ist die Dame mit von der Betrugspartie. Schließlich muss ja irgendwer Karla mein an den Kondorverlag gesandtes erstes Romanmanuskript in die Hand gedrückt haben.
Übrigens habe ich mir jetzt selbst einen Einbrecher gemietet. Mein Einbrecher heißt Victor, was ich als gutes Omen ansehe. Ich habe Victor im Hauptbahnhof aufgestöbert, wo man Pistolen, Huren, Heroin und sogar Auftragskiller bekommt, falls man welche möchte. Victor ist aber kein Halsabschneider, sondern nur ein routinierter Einbrecher mit erfreulich langer Berufserfahrung. Ich habe ihn mit meinen letzten Kröten dafür bezahlt, in Taubnessels schwefelgelben Bungalow einzusteigen, von dem meine hübsche und äußerst treffende Beschriftung inzwischen abgewaschen wurde. Taubenuss ist seit zwei Wochen auf einer Lesereise durchs Ruhrgebiet, während der ergebene Martin einen Kurzurlaub auf Ibiza macht. Also eine äußerst günstige Zeit für einen Einbruch.
Karla. Jammerliese ist doch wirklich ein Geschenk des Himmels. Seit ihren Schmierereien an meiner Frontwand hat der Verkauf meiner Bücher nämlich wieder ein bisschen angezogen. Uff! In den Klappentexten verkauft mich mein Verlag zwar als Bestsellerautorin, aber tatsächlich laufen meine Bücher gar nicht so toll. Dass ich davon leben kann, wie ich auf meiner Website behaupte, ist jedenfalls gelogen. Aber die Leute sind ja so leichtgläubig. Die schlucken einfach alles, was gedruckt ist oder im Internet erscheint. Denen fällt auch nicht auf, dass meine Biografie frei erfunden ist, und dass die Experten, bei denen ich mir angeblich Rat geholt habe, zum größten Teil überhaupt nicht existieren. Jammerliese merkt es natürlich, weil ich alle Experten mit den Vornamen ihrer Protagonisten ausgestattet habe, aber sonst merkt es offenbar keiner. Es ist wirklich ein Segen, dass Martin mit seinem Schlüsseldienst so gute Geschäfte macht, sonst wäre unser Lebensstandard nämlich ganz schön armselig. Aber der Schlüsselladen ist einfach eine Goldgrube.
Jetzt hat mir Jammerliese mit ihren Beleidigungen doch tatsächlich noch eine Auflagensteigerung verschafft. Tja, sie ist eben eine hirnlose Kuh. Erst lässt sie sich wie ein Gimpel beklauen und merkt es erst nach fünf Jahren, und dann tut sie trotzdem nichts. Ich hab das natürlich vorausgesehen; schließlich steht in ihren Erinnerungen, dass ihr Vater sie als Kind ständig schwer geprügelt hat. Das hat ihr anscheinend das letzte bisschen Mumm ausgetrieben. Falls Jammerliese jemals so was wie Mumm besessen hat, was ich bezweifle. Die hat sich ja auch von ihren Schulkameraden klaglos verdreschen lassen. Und heute ist sie eine New Age-Anhängerin und Esoterikerin, die daran glaubt, dass man verzeihen muss. Na, sie ist eben eine Idiotin. Ihr Romanmanuskript über eine Kindheit zwischen Prügeln, sexueller Belästigung und brutaler Unterdrückung ist allerdings wirklich prima. Und ich hab es in meinem Besitz, ha! Ehe Jammerliese es schafft, auch nur ein Wort davon zu veröffentlichen, hab ich ihr auch diesen Stoff schon dreimal geklaut.
Natürlich muss man das ein bisschen verändern, es verharmlosen und ein bisschen Kitsch einbauen. In Jammerlieses Original ist das doch einfach viel zu brutal. So was will kein Schwein lesen. Aber zum Ausschlachten sind ihre Texte durchaus brauchbar. Fantasie hat sie, unsere Jammerliese. Andrerseits ist es ja nicht so, als ob sie eine tolle Schriftstellerin wär. Ich meine, sonst würd doch irgendwer ihr Zeugs drucken, oder? Ich nehme einfach ihr Rohmaterial, mit dem sie ja sowieso nichts Gescheites anfängt, und mache daraus zeitgemäße, heitere Romane auf einem Niveau, das die Durchschnittsleserin versteht. Deshalb findet sich auch meine Judy Krawik zu dick und ihr Haar strähnig und struppig, denn den meisten Frauen geht’s ganz genauso. Damit können die sich identifizieren.
Siri. Victor hat ein paar interessante Details zutage gefördert. Zwar ist der größte Teil meines Notgroschens jetzt weg, aber dafür weiß