Jessie Adler Gral

Dämon und Lamm


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hundsmager. Tja, das macht die Erfolglosigkeit, Jammerliese! Du bist ein dürres, altes, vertrocknetes Huhn. Andrerseits überlege ich schon, ob ich nicht besser damit aufhöre, sie in meinen Büchern noch obendrein zu verhöhnen. Das bringt sie sicher noch zusätzlich in Wut, was aber eigentlich auch beabsichtigt ist. Ich baue in jeden meiner Romane eine Figur ein, die Jammerliese darstellen soll. In Das Fresiengespenst war es eine abgehalfterte alte Malerin mit einem lahmen Bein, die einer frechen jungen Konkurrentin weichen und ihren Liebhaber an sie abtreten muss. In Krähen im Nebel, Raben im Geäst war es eine unreife Halbwüchsige, die Konflikte mit ihrer autoritären Mama hat, und deshalb alkoholsüchtig wird. Und in Eisbären überall war es eine unerfüllte reiche Bulimikerin, die ständig mit ihrem Aussehen beschäftigt ist, ohne ihre Vitamintabletten nicht leben kann und pausenlos kotzt. Schließlich hat mir Jammerliese für all diese Personen in ihren Romanen Vorlagen geliefert. Ich reichere diese Personen bloß noch mit Details aus Jammerlieses Erinnerungen an, und fertig ist die scharfe Waffe, die ihr tief ins Herz dringen soll. Ich benutze auch immer die Originalnamen all ihrer Figuren. Natürlich nicht alle auf einmal oder in einem Buch. Aber nach und nach kommen sie alle an die Reihe. So schnell wird mir der Nachschub auch nicht ausgehen, denn bei meinem dritten Besuch in ihrer Wohnung hab ich nicht nur den kompletten dritten Band ihrer Serie auf der Festplatte gefunden, ich hab auch Jammerlieses Liste interessanter Namen, die sie für ihre Romanfiguren vorgesehen hatte, mit meinem Handy abfotografiert.

      Diese Liste ist überaus nützlich. Überhaupt macht Jammerliese für mich all die zeitaufwendigen Vorarbeiten und zweckdienlichen Recherchen, was sehr bequem ist. Auch Michelangelo hat ja nicht alles selbst gemalt, sondern die Umrisse und Grundierungen von seinen Schülern machen lassen. Ich glaub, ich werde sie in meinen Werken auch weiterhin aufs Korn nehmen. Es ist wichtig, sie richtig zu demoralisieren, denn so halte ich sie unter Kontrolle. Wenn sie sich bis aufs Blut quält, hat sie keinen Mumm mehr, sich mir in den Weg zu stellen. Deshalb hab ich ihr auch indirekt angedroht, sie bis auf die Knochen bloßzustellen, wenn sie mir in die Quere kommt. Das war im zweiten Band meiner Serie um Judy Krawik, die zufällig genauso aussieht wie Lara Andernach und sich auch genauso benimmt, haha. Sowieso hab ich Jammerliese mit ihren Erinnerungen fest an den Eiern. Da stehen nämlich total peinliche Sachen drin.

      Siri. Gestern habe ich Karlas Haus besprüht. Ich kam in tiefster Nacht mit zwei Dosen Lackfarbspray, eine in Giftgrün und die andere in blutigem Rot. Außerdem hatte ich einen starken Handstrahler. Ich war von Kopf bis Fuß in Schwarz und trug uralte, an der Sohle komplett blankgewetzte Turnschuhe. Dicht bei Karlas Haus stank es elendig nach Katerurin – eine durchdringende, widerwärtige Ausdünstung, bei der ich mir am liebsten die Nase zugehalten hätte.

      Ich sprühte Diebin! und Einbrecherin! in Blutrot auf die Stirnwand ihres Hauses, und darunter Plagiatorin! und Hochstaplerin! in Giftgrün. Es war nicht gerade einfach, im Stockdunklen sauber zu arbeiten, aber ich führte die Spraydose mit der Rechten und ließ mit der Linken den Lichtstrahl des Handstrahlers parallel wandern, sodass ich einigermaßen sehen konnte, was ich tat. Obwohl ich es wegen der Dunkelheit nicht richtig beurteilen konnte, hoffe ich, dass die brandroten und giftgrünen Farben auf Karlas pissgelber Wand eine schauerliche Wirkung entfalten werden. Die Beschriftung dürfte jedenfalls von der Pfauenstraße aus gut zu sehen sein, ich habe riesige Drucklettern gesprüht.

      Anschließend huschte ich wie ein Schatten zu meinem betagten Mercedes zurück, den ich weit weg von jeder Straßenlaterne unter den tiefhängenden Zweigen einer Trauerweide versteckt hatte. Diesen Mercedes habe ich noch aus besseren Zeiten, doch ich fahre ihn selten. Das Benzin ist einfach zu teuer. Bevor ich in den Wagen sprang, zog ich mir den schwarzen Overall und das lange schwarze T-Shirt aus. Ich streifte auch die abgewetzten Schuhe und die Schirmmütze ab, die ich über meine zusammengenestelten Haare gestülpt hatte. Dann stopfte ich den ganzen Kram in eine geräumige Plastiktüte und raste mit dem Wagen heim. Essen konnte ich nichts; alles, was ich probierte, schmeckte wie ranziges Mehl. Ich ließ meine Spiegeleier auf dem Küchentisch erkalten und verkroch mich mit einem Malventee ins Bett, wo ich über mein weiteres Vorgehen nachgrübelte.

      Taubenuss ist nämlich überzeugt, sie hätte mich mit meinen überaus persönlichen Erinnerungen fest unter dem Daumen, und ich würde es nicht wagen, etwas gegen sie zu unternehmen. Das geht aus ihren Machwerken und den darin eingeflochtenen vorsichtigen Drohungen klar und deutlich hervor. Dabei kräht doch nach dem, was in meinen Erinnerungen steht, heute kein Hahn mehr. In jedem ins Internet gestellten Teenagererguss liest man viel schärfere Sachen. Aber klar, in ihrem Herzen ist Karla natürlich eine kleine Spießerin und findet meine Erinnerungen deshalb so spektakulär. Und natürlich rührt ihre lächerliche Fehleinschätzung auch daher, dass sie glaubt, die Welt interessiere sich für Schriftsteller. Arme Karla. Die Welt interessiert sich für Paris Hilton, Dieter Bohlen und Angelina Jolie, nicht für Schriftsteller. Deine vermeintliche Waffe ist stumpf, Taubenuss, und wenn du endlich begriffen hast, was wirklich auf dich wartet, wird es zu spät sein.

      Am nächsten Morgen schlang ich ein Croissant herunter und trank drei Tassen schwarzen Kaffee. Dann flitzte ich mit dem Rad zum Hauptbahnhof, um von einer Telefonzelle aus die Kulturredaktion des Kölner Reports anzurufen. Der Kulturredakteur ist ein sensationslüsterner Kerl namens Bert Randow, den ich bei der Vernissage der naiven Malerin Veronique Sarkowski kennengelernt hatte. Sarkowski malt grauenhaft schlechte Bilder, aber das gehört nicht hierher. Von Randow meldete sich mit einer tiefen heiseren Stimme, der man den jahrzehntelangen Whiskykonsum deutlich anhörte. „Am Haus von Karla Taubnessel gibt es eine Sensation zu sehen“, haspelte ich in den altmodischen Hörer.

      „Karla wer?“

      „Karla Taubnessel, die bekannte Literatin.“

      „Ach die“, brummte Randow. „Und worin besteht die Sensation?“

      „An ihrem Haus stehen wüste Schmähungen, die sollten Sie sich nicht entgehen lassen.“

      „Hören Sie“, begann Randow und machte ein schlürfendes Geräusch; offenbar trank er gerade Kaffee. „Zunächst mal brauche ich Ihren Namen und anschließend-“

      „Taubnessel wohnt im Pfauenweg 9“, unterbrach ich ihn und hörte, wie er mit Papier raschelte und geräuschvoll zu kauen begann. „Und mein Name ist Cindy Ribbentrop.“

      „Ach nee!“, sagte Randow feixend.

      Ich hängte den Hörer ein und stürzte aus dem Bahnhof. Zu blöd, diese Sache mit von Ribbentrop. Warum ich ausgerechnet auf den Namen einer Nazigröße verfallen war, konnte ich mir selbst nicht erklären. Aber immerhin hatte ich das von weggelassen und meine Stimme verstellt. Tatsächlich hatte ich versucht, die blecherne Mickymausstimme von Taubenuss nachzuahmen, indem ich höher sprach als normal und etwas atemlos und piepsend, was mir aber nicht recht gelungen ist.

      Doch Bert Randow hatte offenbar trotz allem angebissen, denn am nächsten Morgen waren die Schriftzüge an Karlas Haus der Aufmacher des Kölner Reports. Auf der Titelseite prangte ein Foto von Taubenuss, die mit empörter Miene auf ihre geschändete Hauswand starrte. Ich verschlang den Artikel mit hungrigen Augen. Er war ein wenig hämisch geraten, also scheint auch Randow Taubenuss nicht gerade ins Herz geschlossen zu haben. Der beigefügte zweite Schnappschuss war auch nicht viel schmeichelhafter. Karla sah aufgeblasen aus und noch dicker als sonst, und ich erspähte einen Anflug von Hamsterbacken.

      Zum ersten Mal, seit ich Taubnessels Schandtaten entdeckt hatte, atmete ich frei durch. Ich schlenderte mit dem Kölner Report in der Hand in meine Küche, wo Kalamaki aufgekratzt um meine Knöchel strich. Ich köpfte einen Piccolo und trank das erste Glas im Stehen, mit genüsslich zurückgelegtem Kopf, während Kalamaki seine rosa Nase gegen meine Waden stupste, um mir klarzumachen, dass er mitfeiern wollte.

      Ich gab Kalamaki ein kleines Stück Camembert, sein derzeit bevorzugtes Lieblingsleckerli, und zog mich mit dem Kölner Report und einem frisch gefüllten Sektkelch ins Wohnzimmer zurück, wo ich auf mein Cordsamtsofa sank. Kalamaki folgte mir geräuschlos und sprang auf meine Knie. Er trampelte eine Weile mit den Pfoten auf mir herum, ehe er es sich bequem machte und in einem tiefen, fast grollenden Ton zu schnurren begann. Ich schloss meine Hände um meinen Kater und