Jessie Adler Gral

Dämon und Lamm


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ihr Geschwätz über Emanzipation und Schwesternschaft für bare Münze. Sie halten Taubnessel für eine besonders engagierte Kämpferin für Frauenrechte. Dabei hat sie eine „Schwester“, die ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt hat, brutal beklaut und ausgeplündert. Karla hat den primitiven und beißfreudigen Charakter eines Pitbulls, der von einem aggressiven Jugendlichen voller Testosteron und Menschenhass abgerichtet wurde.

      Endlich überreichte der Laudator Karla mit großer Geste ihren Preis. Der Rhett ist eine geringfügig abstrahierte, vergoldete Nachbildung des Kopfs von Clark Gable, der als Rhett Butler in Vom Winde verweht unsterblich geworden ist. Als Karla nach dem Kopf griff, knickte sie auf ihren zwölf Zentimeter hohen Stilettos um und wäre gestürzt, wenn der Laudator sie nicht aufgefangen hätte. Er hievte ihren schweren Körper wieder in eine aufrechte Position, wobei er selbst ziemlich ins Wanken geriet. Doch der dünne Kerl schaffte es nicht nur, auf den Beinen zu bleiben, sondern verlor auch keine Sekunde seinen bewundernden Gesichtsausdruck.

      Taubnessel warf den Kopf hoch wie ein ungebärdiges Pferd und lächelte euphorisch ins Publikum. Ich erschrak bis ins Mark, als ich dieses Lächeln sah, in dem sich Gier und Verschlagenheit mit noch etwas anderem, für das ich keine Worte fand, mischten. Taubnessel hat den räuberischen Mund einer fleischfressenden Pflanze.

      Karla stöckelte zum Mikrophon und sagte die üblichen abgedroschenen Dankesworte. Sie bedankte sich bei ihren Freunden und Verwandten, die immer an sie geglaubt hätten, bei den tollen Frauen vom Kloster Sankt Kathrein, bei Mutti und Vati und beim Laudator. Sie vergaß auch nicht ihre Großtante Ottilie in Belgien, ihre Oma väterlicherseits in Kiel und ihre geliebte zweijährige Bulldogge Bürzel, die ihr während ihrer einsamen und harten künstlerischen Arbeit Trost und Unterstützung gespendet hätten.

      Ich glaubte ihr jedes Wort. Bestimmt hat sie schwer geschuftet. Wenn man so wenig Talent hat wie Taubnessel, dann ist auch Abschreiben und ein bisschen Umformulieren Knochenarbeit. Während Karlas langatmigem Monolog lauschte ich auf ihre Stimme: Dieser wuchtige Körper und dazu die Stimme einer in die Enge getriebenen Maus. Zugleich hatte ihre Stimme etwas Schrilles, das schnitt wie zerbrochenes Glas. Ich fand, dass Karlas Stimme gut zu dem gähnenden Abgrund in ihrem Inneren passt, an dessen Grund ich mir ein rotgesichtiges Baby vorstelle, das unablässig kreischt: Beachtet mich, beachtet mich, ich bin toll, toll, toll!

      Als Taubnessel mit ihrer endlosen Dankesrede fertig war, winkte sie den Laudator zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr, wobei sie sich theatralisch an die Stirn griff. Der Laudator wurde bleich vor Aufregung, sodass die unzähligen Sommersprossen auf seinen Wangen wie Sojasoßenspritzer hervortraten, behielt aber die Nerven. Er stützte Taubnessel fürsorglich und verkündete dem wartenden Publikum, dass ein akutes Unwohlsein die beliebte Autorin leider zwinge, auf die angekündigte Diskussion zu verzichten. Sie bedaure unendlich und bitte um Verständnis.

      Taubnessel nickte gewichtig und stützte sich schwer auf den dünnen Arm des Festredners, während ein weiterer Mann auf das Podium stürzte. Zusammen schleppten sie Karla von der Bühne. Taubnessel winkte über ihre Schulter hinweg schwächlich ins Publikum, und alle drei verschwanden hinter dem brandroten Samtvorhang.

      Anschließend ließ sich Taubnessel von drei Männern zu ihrem Pajero eskortieren. Einer davon muss ihr Ehemann Martin gewesen sein, denn das saubere Pärchen sprang auf die Vordersitze, und der Wagen brauste davon, als seien Furien hinter ihm her, während ich das Schauspiel von einer schattigen Nische des Nachbargebäudes aus verfolgte. Fast könnte sie einem leidtun, diese eingebildete taube Nuss, aber sie hat kein Mitleid verdient. Taubenuss hat meine Manuskripte gestohlen und meine wunderbare Serie um Lara Andernach zerstört. Sie hat sich in meinen Gedichten, Geschichten, Artikeln und Büchern bedient, um ihre trübselige Sprache aufzuwerten. Sie klaut jedes gottverdammte Wort, das ich je geschrieben habe, und sie nimmt immer nur das Beste: die gefühlvollsten und aufregendsten Szenen, die prägnantesten Sätze und die originellsten Figuren. Außerdem hat sie meine Sprache gestohlen: meinen Satzbau, meine Adjektive, meine Farben, meine Formulierungen.

      Taubenuss hat mir die Sprache gestohlen, und dafür werde ich sie erledigen. Und bevor ich sie erledige, werde ich ihr alles entreißen, was sie mir weggenommen hat. Der Presse wird ihr Ende zu diesem Zeitpunkt höchstens noch eine Kurzmeldung wert sein, weil sie schon lange vergessen sein wird.

      Fürchte dich, Taubnessel! Ich bin deine Nemesis.

      Siri. Nach Taubnessels Preisverleihung ließ ich ihr ein bisschen Zeit, um sich von ihrem Schock zu erholen. Sie hatte garantiert Schiss, dass ich bei ihrer Lesung in Bonn wieder im Publikum sitzen würde, doch das war nicht der Fall. Reingefallen, Taubenuss!

      Stattdessen hockte ich mit einem Pokal Gewürztraminer in meinem Wohnzimmer, meinen alten Tigerkater Kalamaki im Arm, und las den Kölner Report. Kalamaki rieb seinen pelzigen Kopf an meiner Schulter, suchte mit seinen smaragdgrünen Augen meinen Blick und schnurrte wie ein Teekessel. Im Kölner Report stand, Taubnessel habe bei ihrer Lesung in Bonn außergewöhnlich nervös gewirkt und sei ganz offenkundig nicht in guter Form gewesen. Und das ständige Umkippen ihrer hohen und ein wenig schrillen Stimme habe den Hörgenuss ziemlich getrübt.

      Taubenuss zeigt erste Schwächen, das ist gut. Von nun an wird sich die Waage unaufhaltsam zu meinen Gunsten neigen.

      Drei Tage nach ihrer Preisverleihung ging ich wieder mit dem Hund an ihrem Haus vorbei. Ich wusste, dass sie abends in der Kölner Uranus-Buchhandlung lesen würde. Es konnte bestimmt nichts schaden, sie schon vorab ein wenig aus dem Gleichgewicht zu kippen. Diesmal tarnte ich mich mit einer hellblonden kurzen Lockenperücke und einer herzförmigen Lolitasonnenbrille in schrillem Zyklam, die mein Aussehen völlig veränderten. Armin trug wieder sein auffälliges Halsband. Das Wetter war sonnig und für einen Herbsttag außergewöhnlich mild. Ein leiser Hauch von Sonnenmilch und Ozon hing in der Luft und erweckte in mir eine reißende Sehnsucht nach den südlichen Meeren, die ich so liebe und so lange nicht gesehen habe.

      Schräg vor Karlas gelbem Bungalow steht ein großer Kirschbaum, der von dem obligatorischen kleinen Grasfleckchen umgeben ist, das man Stadtbäumen zugesteht, damit sie nicht verdursten. An diesem kleinen Grasfleckchen ließ ich Armin lange herum schnuppern, während ich zu Karlas Fenster hochstarrte. Dieses kleine Grasareal wird von allen Hunden der Nachbarschaft aufgesucht, denn viele der in der Pfauenstraße lebenden Menschen sind zu faul, um ihre Vierbeiner lange auszuführen, da man „Gassigehen“ nicht mit dem Auto erledigen kann. Armin wurde es jedenfalls nicht langweilig, er las begeistert seine Hundezeitung.

      Karla Taubnessel trat an das riesige Panoramafenster und stand mehrere Minuten lang unbeweglich hinter ihrer grobmaschigen Gardine, die einen trübseligen Beigeton aufweist.

      Ich konnte ihre Nervosität bis in meine Zehenspitzen spüren.

      Zu ihrer Abendlesung erschien Taubenuss in einem apfelsinenfarbenen Ensemble, das sich scheußlich mit ihrem eher rötlichen Teint biss. An ihrer Seite hatte sie einen Bodyguard, einen sonnengegerbten Kerl, der aussah wie ein Kleiderschrank. Der Bodyguard durfte mit ihr auf die Lesetribüne. Während der ganzen Lesung hockte er dicht neben ihr auf einem Kunststoffstuhl ohne Armlehnen und suchte mit zusammengekniffenen Augen den Raum ab. Dieser Bodyguard muss Taubenuss einen Haufen Geld kosten.

      Karla erklärte dem Publikum, dass es Drohungen einer Verrückten gegen sie gegeben habe, weshalb sie sich einen Personenschützer habe zulegen müssen. Sie erhielt ein mitfühlendes Gemurmel von den fast ausschließlich weiblichen Zuhörern, in das sich Aufregung und Entrüstung mischte.

      Ich stand in einem schlecht ausgeleuchteten Bereich der Uranus-Buchhandlung und war mit einer rabenschwarzen Perücke im Pagenkopfstil und einer furchterregenden Hornbrille getarnt. Dazu trug ich sehr zurückhaltende Kleidung in verwaschenen Graublautönen. Ich hielt mich auch ein wenig gebückt, wie es ein alter Mensch tun würde. So etwas verändert die Körpersilhouette enorm.

      Taubenuss wirkte angespannt. Ihre Blicke geisterten nervös durch den Raum, doch sie erkannte mich nicht. Als sie die erste Seite umblätterte, zitterten ihre Finger, und ihre Blechstimme kippte mehrmals peinlich. Sie trank eine ganze Literflasche Mineralwasser aus und verlangte mitten in der Lesung eine neue. „Judy und Rudi standen verlegen im Türrahmen wie