Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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sich damals als die glücklichste Frau auf der ganzen Welt, so sehr freute sie sich über das eigene Heim.

      Ella wurde bewusst, dass sie die ganze Zeit an Vergangenes dachte, doch die Wirklichkeit ließ sich nicht verdrängen. Es war spät geworden und sie war müde und ging zu Bett. Im Apartment stand sie am Morgen früher auf, denn der Weg zur Arbeit dauerte jetzt etwas länger als zu der Zeit, in der sie noch im eigenen Haus wohnte. Bei einigen Besorgungen nach Büroschluss traf sie eine Bekannte von der sie erfuhr, dass die Freundin von Tobias gleich nach ihrer Abwesenheit zu den beiden Männern ins Haus gezogen war. „Das ging ja schnell“, dachte Ella und war auch gleichzeitig etwas enttäuscht. Sie wusste, das mit den beiden, mit Becca und Tobias, konnte nicht gut gehen. Aber vielleicht war es gut so und der Junge merkte endlich, dass Becca nicht die richtige Frau für ihn war. Am Anfang, in der ersten Verliebtheit, das wusste sie aus Erfahrung, sah alles so schön rosig aus, aber später dann, wenn man zusammenlebte, kam alles ganz anders. Sie war der Meinung, die beiden passten nicht zusammen. Ella erinnerte sich an den ersten Gedanken, den sie hatte, als Tobias ihr das Mädchen vorstellte: „Intelligenz und Dummheit! Das passt doch überhaupt nicht zusammen.“ Das konnte einfach nicht gut gehen, das sah sie sofort. Ella kam damals gerade vom Einkaufen nach Hause, da saßen beide, Tobias und das Mädchen, auf der Terrasse. Er stellte sie ihr vor als Becca. Er erzählte, sie beide hätten sich vor kurzem im Zug kennengelernt, Becca würde eine Hauswirtschaftsschule besuchen und so seien sie sich nähergekommen. Die beiden wollten jetzt zum Schwimmen gehen und danach nochmals vorbeikommen. Am Abend bei einer Flasche Wein hatte sich Ella dann das Mädchen genauer angesehen. Sie sah ja gar nicht übel aus, aber diese Stimme?! Wenn die Stimme lauter wurde, wurde sie gleichzeitig hoch und ganz schrill, das fiel Ella als erstes auf und das störte sie. „Besonders intelligent scheint sie nicht zu sein“, dachte Ella. Von einem gemütlichen Abend konnte nach der Rückkehr der beiden überhaupt nicht die Rede sein. Es dauerte gar nicht lange, und die beiden jungen Leute zogen sich in das Zimmer von Tobias zurück. Das gefiel Ella gar nicht. Am Tag, an dem man seine Freundin den Eltern vorstellt, gleich im Zimmer verschwinden, das gehörte sich nicht. Den ganzen Abend ließen dann beide nichts mehr von sich hören, und so gingen Ella und ihr Mann zu Bett. Nachts wachte Ella durch ein Geräusch aus dem Schlaf auf. Sie sah auf die Uhr. Es war vier Uhr früh. Um diese Zeit schlich sich das Mädchen aus dem Haus. Ella war entsetzt. Benahm man sich heutzutage so, wenn man das erste Mal Gast bei den Eltern des Freundes war? Ella konnte den Rest der Nacht nicht mehr schlafen. War sie vielleicht altmodisch, wenn sie so dachte? Ihre Enttäuschung war so groß, sie konnte an nichts anderes mehr denken. Tobias und das Mädchen waren die halbe Nacht zusammen, sicher hatten sie miteinander geschlafen. Ging das in der heutigen Zeit so schnell, das mit dem Bett? In ihrer Jugendzeit wäre es undenkbar gewesen, nach der Bekanntmachung bei den Eltern gleich im Bett zu landen. Sie war so enttäuscht von ihrem Sohn. Hatte er denn gar keinen Anstand? Man konnte doch ein Mädchen, das man gerade kennengelernt hatte, nicht gleich mit ins Bett nehmen. Tobias war doch gut erzogen.

      Ella sprach danach tagelang kein Wort mehr mit Tobias, so enttäuscht war sie von ihrem Sohn, denn ein gewisses Maß an Anstand hatte sie von ihm schon erwartet. Hatte er denn überhaupt kein Schamgefühl? Niemand konnte sich vorstellen, wie sie an dieser Enttäuschung litt. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass ihr Jüngster erwachsen geworden war. Ella konnte es sich nicht verkneifen und sprach das Thema bei Pit und Anna an. Doch statt in entrüstete, sah sie nur in schmunzelnde Gesichter. Tobias verstand ihre Reaktion nicht, und von diesem Abend an war er jeden Tag bei Becca. Seit dieser Bekanntschaft hatte er sich sehr verändert. Er war viel ernster geworden und nachdenklicher. Bald kam die Zeit und er wurde mit seinem Studium fertig. Sie war sehr stolz auf ihn. Er war jetzt ein frisch gebackener Dipl.-Ing., er hatte sein Diplom auf der Technischen Universität gemacht. Sicher würde jetzt alles anders werden und man würde nicht mehr so sparen müssen. Schon während seiner Studienzeit hatte Tobias ein Jobangebot von einer großen Firma bekommen, bei der er bald zu arbeiten anfing. Er verdiente jetzt als Diplom-Ingenieur so viel, wie sie und ihr Mann zusammen, und sie hoffte, er würde sich nun eine eigene Wohnung nehmen. Er machte jedoch keinerlei Versuche in diese Richtung, ja warum auch? Zu Hause war es doch viel bequemer und mit einer Art Vollpension noch dazu.

      Tobias und Becca waren offiziell zusammen, aber sie stritten viel. Ella konnte ihre kreischende Stimme oft aus dem Zimmer von Tobias hören, und das gefiel ihr gar nicht. Becca scheute auch nicht davor zurück, ihn vor seiner Familie oder vor seinen Freunden lächerlich zu machen. Oft stand Tobias dann mit gesenktem Kopf da und ließ sich alles von ihr gefallen. „Wie sein Vater“, dachte Ella. Becca klärte Differenzen nicht unter vier Augen, nein, das geschah immer in der Öffentlichkeit, und das nahm Ella ihr sehr übel und sie mochte sie immer weniger. Sie hatte Angst, dass ihr Lieblingssohn, so nannte ihn jedenfalls seine Schwester Anna, sich da auf etwas einlassen würde, das in ihren Augen nicht gut enden würde.

      Vom vielen Grübeln müde geworden, ging Ella schlafen. Am nächsten Morgen erwachte sie schon sehr früh. Sie nutzte die Zeit, um darüber nachzudenken, wie es in der Firma mit ihr und ihrem Arbeitskollegen weitergehen sollte, denn seit einiger Zeit sprachen sie nicht mehr miteinander. Er grüßte sie nicht und ließ sie einfach links liegen, und das tat weh. Bis jetzt war ihr Beruf immer der Ausgleich zu ihrem verpfuschten Privatleben. All ihr Können und ihre Kraft hatte sie da hineingesteckt, sonst wäre sie nie so weit gekommen. Doch jetzt ging es ihr schlecht, und es wurde ihr richtig übel, wenn sie jeden Tag zur Arbeit fuhr. Sie hatte sich in dieser Firma in den vierzehn Jahren, in denen sie dort arbeitete, von einer kleinen Angestellten bis zur Geschäftsführerin hochgearbeitet. Jetzt aber wurde ihr alles vergällt. Ihr Kollege behandelte sie mit einer Überheblichkeit, die sehr kränkend war.

      In den Beruf zurückgekehrt war Ella schon, als Tobias noch klein war. Als er in die erste Klasse ging, da suchte sie nach einem Job. Sie bekam einen und arbeitete sieben Jahre im Büro für Export in einer Textilfabrik. Der damalige Geschäftsführer war Frauen gegenüber immer etwas feindlich eingestellt. Er war schon etwas älter, aber immer noch Junggeselle. Wahrscheinlich lag es daran, dass er Frauen immer so herablassend behandelte. In seiner Abteilung gab es drei verschiedene Büros. In jedem dieser Büros arbeitete eine männliche Fachkraft zusammen mit einer weiblichen Halbtagskraft, und immer, wenn irgendwo in der Bearbeitung ein Fehler auftauchte, sagte er grinsend und spöttisch: „Natürlich hat das wieder einmal eine unserer Damen verbockt!“ Er sagte das immer in einer so abfälligen Weise, dass keine der halbtags beschäftigten Damen länger als zwei Jahre geblieben ist. Ella war die einzige, die es dort sieben Jahre aushielt, und auch nur deshalb, weil sie auf das Geld angewiesen war und so manche bissige Bemerkung dieses Herrn einfach ignorierte. Doch eines Tages hatte auch sie die Nase voll und kündigte. Nach einem Jahr Pause suchte sie sich einen neuen Job und fing wieder ganz klein von unten an, als Bürokraft in einer LKW-Werkstatt, wo sie noch heute beschäftigt war und inzwischen eine angesehene Position innehatte.

      Der Führerschein

      Und sie fand auch eine Möglichkeit, dieses eine Jahr zwischen dem alten und dem neuen Job zu überbrücken, sie machte noch mit vierzig Jahren ihren Führerschein und das kam ihr bei ihrem neuen Job natürlich zugute, denn ohne Führerschein hätte sie den neuen Arbeitsplatz überhaupt nicht bekommen. Man kann nicht in einer Kfz-Werkstatt arbeiten und keinen Führerschein haben. Ja, sie machte den Führerschein und wäre wahrscheinlich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, diesen zu machen, wären nicht Anna, Pit und sogar Tobias durch die Fahrprüfung gerasselt. Ella verstand das nicht. Es konnte doch nicht so schwer sein, einen Führerschein zu machen, dachte sie damals, und so entschloss sie sich klammheimlich zum Besuch einer Fahrschule. Immer, wenn ihre zwei Großen in der Lehre waren und Tobias in der Uni, besuchte sie den Unterricht in der Fahrschule. Wenn sie dann allein zu Hause war, büffelte sie für die Fahrprüfung. Sie sparte eisern und wollte sich, wenn sie die Prüfung schaffen sollte, ein kleines, gebrauchtes Auto kaufen. Und wirklich, sie schaffte die Prüfung und war sehr stolz, dass sie nicht durchgefallen war. Zu der Zeit lebten Ella, ihr Mann und ihre drei Kinder noch gar nicht lange in dem neuen Haus. Das Geld war knapp. Jedes Wochenende suchte sie zusammen mit Nick bei den umliegenden Gebrauchtwagen-Händlern nach einem kleinen Gebrauchtwagen. Sie suchten wochenlang, verglichen Preise und endlich fanden sie einen preisgünstigen Kleinwagen. Ganz heimlich, an einem Wochenende holten sie das Fahrzeug ab. Ella wollte