Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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dem Fernseher und fand das in Ordnung. Sie fing keine Liebelei mit dem jungen Mann an, obwohl sie merkte, dass er sich in sie verliebt hatte. Es dauerte sieben Jahre, bis sie dann doch seine Geliebte wurde. Es war jedoch anfangs nicht die Liebe, die sie für Sunny empfunden hatte; es war eher so, dass sie Sunny vergessen wollte. Ella wollte nun auch festhalten, wie sie sich so richtig in ihn verliebte, aber da musste sie die Zeit ein ganz schönes Stück zurückdrehen.

       Es überraschte mich nicht, dass Paul sich mit Nick gut verstand, sie hatten die gleichen Interessen. Alles, was mit Elektrizität zu tun hatte, interessierte beide, und sie wurden Freunde. Er ging bei uns ein und aus, fast wie ein Familienmitglied. Ich wusste auch, dass die Leute tuschelten, aber das störte mich nicht. Wir hatten ja nichts miteinander, wir waren nur befreundet. Doch je mehr ich ihn studierte, desto besser gefiel er mir. Mir fiel auch auf, dass er mich heimlich beobachtete und mich, wenn sich unsere Blicke trafen, immer so eigenartig ansah. Belustigend fand ich es, wenn ich mit Nick über ein Thema diskutierte und wir beide im selben Moment das gleiche Wort benutzten, ja sogar das gleiche sagen wollten. Wir hatten oft die gleichen Gedanken und die gleichen Interessen, und das verband. Sicher bekam er auch mit, dass es mit unserer Ehe nicht zum Besten stand, und eines Tages erzählte er mir von seiner Familie. Es war eine lange Geschichte.

       Nach dem Krieg hatte sein Vater seine Frau und die drei Kinder wegen einer anderen Frau verlassen. Nick hatte noch einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Die Eltern wurden geschieden. Seine Mutter stand mit den drei Kindern ohne Geld da und musste sehen, wie sie ihre Kinder durchbrachte. Deshalb nahm sie eine Stelle in einer Fabrik an und arbeitete in Schichten, einmal von sechs Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags und dann wieder von vier Uhr nachmittags bis spät in die Nacht. Der Vater bezahlte für die Kinder nichts, und die Mutter war wohl zu stolz, ihn um Unterstützung zu bitten. So rackerte sie sich täglich ab, um ihre Kinder zu ernähren. Die kleine Familie lebte zwar auf einem schönen Grundstück, das der Vater noch gekauft hatte, doch auf dem Grundstück lasteten noch Schulden, die abzubezahlen waren, und so musste Nicks Mutter oft auch noch Überstunden machen, um über die Runden zu kommen. Alle zusammen wohnten in einer Baracke, so wie viele Menschen nach dem Krieg. Nick liebte seine Mutter sehr und unterstützte sie, wo er nur konnte. Er hatte sich vorgenommen, später einmal ein Haus zu bauen, um ihr einen schönen Lebensabend bieten zu können. Nicks Bruder hatte dann bald geheiratet, und so wohnten jetzt nur noch er und seine Schwester bei der Mutter.

      Ellas Gedanken glitten ab in die Zeit, als sie und Nick schon längst ein Liebespaar waren. Sie schätzte Nick sehr, weil er sich so liebevoll um seine Mutter kümmerte. Doch manchmal nagte auch ein kleines bisschen Eifersucht in ihr, nein, es war eher Neid auf seine Mutter. Sie wurde von ihm immer ihr gegenüber bevorzugt. Auch saß bei gemeinsamen Autofahrten seine Mutter stets neben ihm und Ella im Fond des Wagens. Oder auf alten Fotos, da steht er immer neben seiner Mutter und ganz selten neben Ella. Aber Ella konnte sie gut leiden, und sie hatte auch nichts gegen Ella. Sie erwähnte nie, auch nicht mit einem Wort, dass sie den beiden ihr Verhältnis übelnahm, obwohl sie diese Tatsache schon längst mitbekommen hatte. Ella seufzte tief und schrieb weiter.

       Meine Eltern machten mir Vorhaltungen, weil Nick bei uns ein- und ausging, und waren wieder einmal um ihren guten Ruf besorgt. Paul verbrachte wie immer seine Freizeit mit Fernsehen, und ich unternahm viel mit Nick und den Kindern. Manchmal fuhren wir in die Berge, besichtigten Schlösser und machten Wanderungen mit Picknick. Wir nutzten jede Gelegenheit, uns zu lieben. Ob im Wald oder auf der Wiese. Wenn die Kinder bei der Oma waren, verabredeten wir uns an den verschiedensten Orten. Einmal trafen wir uns in einem Kornfeld mitten im Sommer. Das Getreide stand hoch, überall waren Blüten von Klatschmohn und blauen Kornblumen, und die grelle Sommersonne brannte über uns beiden. Zwischen den Ähren breiteten wir eine Decke aus, und vor lauter Liebe merkten wir gar nicht, wie die Halme durch die Decke stachen. Einen besonderen Lieblingsplatz hatten wir, und das war ein in der Nähe gelegener kleiner See. Dort badeten wir nackt, und wenn sich doch einmal ein Spaziergänger dorthin verirrte, schlüpften wir schnell unter eine Decke. Was andere dachten, das war uns egal, Hauptsache wir waren glücklich. Nick schenkte mir unwahrscheinlich schöne Momente, die mich meine verkorkste Ehe für kurze Zeit vergessen ließen. Es sollte wohl so sein, dass wir uns begegnet sind. Es war einfach Schicksal, das es gut mit mir meinte.

       Das Einzige, was mir bei Nick fehlte, war das Tanzengehen. Nie besuchten wir Veranstaltungen, die mit Tanzen verbunden waren. Ich wollte dies nicht, denn nur dasitzen und zusehen, wie die anderen vergnügt tanzten, das mochte ich nicht. Aber das Tanzen fehlte mir sehr, und wenn wir doch einmal auf eine Hochzeit eingeladen waren, gab Nick sich viel Mühe und schob mich über die Tanzfläche, aber etwas lustlos. Doch das hatte mit dem Tanzen, wie ich es kannte, nicht im Entferntesten zu tun. Er konnte eben nicht tanzen, und er wollte es auch nicht lernen. Ich konnte ihn nicht dazu überreden, einen Tanzkurs zu machen. Lächelnd meinte er dann: „Ja, ich kann nicht tanzen, und du kannst nicht schwimmen!“ Da musste ich lachen, denn schwimmen konnte ich wirklich nicht. Ich war als Kind in den Bergen aufgewachsen, und da gab es keine Möglichkeit zu schwimmen. Später gab es in der Schule auch keinen Schwimmunterricht, so wie heute. Als dann Anna in die Schule kam und Schwimmunterricht hatte, habe ich mich vor meinem Kind geschämt, weil ich nicht schwimmen konnte. Ich habe mich dann von einer Nachbarin überreden lassen, mit ihr einen Schwimmkurs zu besuchen. All meinen Mut habe ich da zusammengenommen und konnte danach wirklich, wenn auch nur unsicher, schwimmen. Besser ging es, wenn ich im Wasser den Boden unter meinen Füßen sehen konnte. Da wurde ich dann mutig und bin geschwommen, aber in einen See oder gar ins Meer traute ich mich nicht.

       Als die Kinder schon etwas größer waren, gingen wir an einem schönen Sommernachmittag an einen nahen See. Dieser See war ziemlich groß mit einem leicht abfallenden Ufer, so dass auch Kinder am Rande planschen konnten. Während Nick mit den Kindern Federball spielte, ging ich ein Stück ins Wasser. Gerade einmal so weit, dass mir das Wasser bis zum Bauch reichte. Plötzlich muss da unter Wasser eine Mulde gewesen sein, denn ich ging sofort unter. In panischer Angst fing ich an zu rudern, schluckte Wasser, und ich weiß noch, dass ich dachte: „Aha, so ist das, wenn man ertrinkt!“ Prustend und wild um mich schlagend gelangte ich ans Ufer und ließ mich erschöpft auf die ausgebreitete Decke fallen. Nick und die Kinder hatten nichts bemerkt, aber seit diesem Erlebnis konnte ich plötzlich nicht mehr schwimmen. Ich habe es immer wieder versucht, wenn wir beim Baden an einem See waren. Es ging einfach nicht - sobald ich auch nur einen Fuß ins Wasser setzte, bekam ich panische Angst, es war, als ob ich eine Art Phobie hätte. Ich habe es dann Nick erzählt, und seit er weiß, warum ich nicht schwimmen kann, drängt er mich auch nicht, ins Wasser zu gehen. So blieb es eben dabei, er konnte nicht tanzen, und ich konnte nicht schwimmen. Wenn wir mit den Kindern baden gingen, schwamm er mit ihnen um die Wette, nahm manchmal Anna auf den Rücken, und sie hatten alle Spaß im Wasser, so dass ich schon ein bisschen neidisch wurde. Trotzdem konnte ich mich zu einem nochmaligen Schwimmkurs nicht überwinden; ich habe eben Angst vor dem Wasser und das hat sich bis heute nicht geändert.

       Viele Jahre sind wir nun schon zusammen. Meine Liebe zu ihm wurde nicht weniger, wie das oft bei Liebespaaren der Fall ist, im Gegenteil sie wurde stärker. Wir brachten einander viel Verständnis entgegen. Er verstand mich, dass ich die Familie nicht auseinander bringen wollte, und ich verstand ihn wegen seiner Mutter, die für ihre drei Kinder so viel auf sich genommen hatte. Jeder von uns beiden hatte also einen sogenannten Hintergrund, aber wenn wir mit den Kindern zusammen etwas unternahmen, vergaßen wir das alles in diesem Moment und stellten uns vor, wir wären eine richtige Familie. So ist es auch heute noch, aber wenn ich daran denke, wie viele Jahre es gedauert hat, in denen wir wirklich nur befreundet waren, dann glaubt uns das heute noch niemand. Eigentlich kam die richtige Liebe, nachdem wir eine Gartenlaube gebaut hatten. Genau da nahm das Schicksal seinen Lauf.

       Die Kinder wurden größer, und ich machte mir wegen der Zimmeraufteilung Gedanken. Alle drei hatten zusammen nur ein Zimmer. Die Buben zusammen, das ginge ja noch, doch Anna brauchte dringend ein eigenes Zimmer. Ich inserierte in der Tageszeitung, suchte eine größere Wohnung. Doch es gab immer nur Drei-Zimmer-Wohnungen, und die hatten wir ja. Ich fuhr mit Nick alle Neubauten in der näheren Umgebung ab, doch eine Vier-Zimmer-Wohnung fanden wir nicht. Eines Tages vergab die Stadt, in der ich mit meiner Familie wohnte, kleine Pachtparzellen für