Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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sie damals immer so voller Tatendrang und voller Ehrgeiz war; sie wollte immer das Ziel erreichen, das sie sich vorgenommen hatte, egal wobei. Sie wusste natürlich, dass es schwer sein würde, alles alleine zu schaffen, und sie wusste, ihr Mann würde sich um nichts kümmern, aber er war damit einverstanden, dass sie zu einem eigenen Haus kommen würden. Sie wusste auch, sie würde Genehmigungen einholen müssen und mit Handwerkern verhandeln, doch sie war wie besessen von der Idee.

      Sie fing an, Zuschüsse zu beantragen wegen der Kinder, und arbeitete verbissen daran, ein eigenes Haus zu bauen - und erreichte alles. Sie verhandelte mit Banken, mit den Herren vom Stadtbauamt und es dauerte nicht lange, bis das Grundstück gefunden war und sie mit dem Bau beginnen konnten. Es sollte ein Haus mit einem flachen Dach im Atrium-Stil werden. Mit der Unterstützung von Nick und ihrem Bruder würde sie viel schaffen. Den Rohbau wollte sie von einer Baufirma erstellen lassen und begann, Angebote einzuholen. Fenster und Türen sollte eine Schreinerei fertigen, alles Elektrische würden die Leute aus der Firma ihres Mannes erledigen. Sie hatte nur noch Gedanken für das Haus, dessen Planung und wie es einmal aussehen würde, wenn alles fertig war. Ohne vorherige Absprache mit Ella hatte sich ihr Mann, der sich nie um etwas kümmerte, von einem Vertreter einen Vertrag für ein Beton-Fertigdach andrehen lassen, und um ihn nicht bloßzustellen, willigte Ella ein, obwohl sie lieber ein Flachdach mit Holzkonstruktion gehabt hätte. Einerseits war sie überrascht, dass Paul sich plötzlich um etwas kümmerte, doch sie hätte wenigstens erwartet, dass er solch wichtige Entscheidungen vorher mit ihr absprechen würde.

      Ella dachte daran, wie stolz sie war bei dem Gedanken, bald Hausbesitzerin zu sein. Tagelang malte sie sich aus, wie alles sein würde. Die Buben, Tobias und Pit, würden zusammen ein großes Zimmer haben. Anna bekäme zwar ein kleineres Zimmer, doch sie freute sich unwahrscheinlich, endlich ein eigenes Reich zu bekommen. Das Schlafzimmer würden ihr Mann und sie immer noch zusammen haben, denn die Kinder sollten nicht merken, wie es um die Ehe der Eltern stand. Sie plante ein großes Wohnzimmer verbunden mit einer schönen Essecke. Gleich neben der Essecke sollte die Küche sein, von der es einen Abgang in den Keller geben würde. Gleich neben dem Abgang in den Keller würde es noch einen kleinen Raum geben, den man als Gästezimmer einrichten könnte. Sie würden dann ein schönes Bad und eine separate Toilette haben. Vom Wohnzimmer könnte man dann auf die Terrasse gehen und den Garten überblicken. Den Garten anzulegen würde viel Arbeit bedeuten, aber dann hätte die Mietze auch täglichen Auslauf. In der Nachbarschaft war ein unbebauter Acker, von dem wollte sie die Erde holen und durchsieben, die sie für den Garten brauchte. Viel Arbeit würde auf sie zukommen, aber Arbeit scheute Ella nicht. Sie erlebte alles, wenn sie an diese Hausbauzeit dachte, noch einmal, schwelgte in Erinnerungen und setzte gleich ihre Hände an die Tasten.

       Nachdem jeder Bungalow in dieser Siedlung im Atrium-Stil gebaut werden musste, gab es laut Bauplan, den man mit dem Kauf des Grundstücks bekommen hatte, zum Nachbar hin eine Trennmauer. Diese Mauer war aus Kalk-Sandsteinen und die Zwischenräume zwischen den Steinen mussten verfugt werden. Ich konnte mir natürlich ausmalen, was da auf mich zukommen würde. Vater bot sich an, diese Mauer zu bauen und erklärte mir, dass man die Zwischenräume zwischen den Steinen mit einem Gemisch aus Sand, Zement und Wasser ausfüllen könnte, und das müsste ich dann selbst machen, denn ein Handwerker würde für diese Arbeit viel zu teuer werden.

       Alles hatte ich durchdacht und organisiert. Es verlief alles wie geplant, und mit dem Rohbau wurde noch vor dem Wintereinbruch begonnen. Es passte alles wunderbar in meinen Zeitplan, sogar, dass die Baufirma gerade einen Termin frei hatte. Im Haus selbst war mein Bruder unentbehrlich. Alles was Wasserleitungen und Fliesen betraf, erledigte er, und Nick ging ihm tatkräftig zur Hand, wo immer er konnte. Beide waren sehr geschickt in allen handwerklichen Arbeiten, und wir mussten sparen, wo wir nur konnten. Mein Mann wurde von meinem Bruder in die Arbeiten mit einbezogen, was ihm manchmal überhaupt nicht in den Kram passte, und er versuchte, sich dauernd mit irgendwelchen Ausreden vor der Arbeit zu drücken. Vater wollte natürlich auch mithelfen, was mir gar nicht recht war, denn er hatte ein paar Monate zuvor einen Herzinfarkt erlitten und musste sich noch schonen. Aber er ließ nicht locker und so war ich damit einverstanden, dass er die Terrasse betonierte, denn er hatte ja nach dem Krieg vorübergehend als Maurer gearbeitet. Die Innenarbeiten gingen flott voran. Ich arbeitete zu der Zeit wie besessen und half überall mit. Über den Winter musste der Rohbau dann austrocknen, und im Frühjahr war es endlich so weit, die Maler konnten kommen, und nach ein paar Wochen konnten wir einziehen. Nie werde ich vergessen, wie stolz und glücklich ich war, und wie die Kinder sich freuten, endlich ein eigenes Reich zu haben.

       Wir mussten damals mit dem Geld wirklich sparsam umgehen, und so verlegten wir die Teppichböden im ganzen Haus selbst. Davor musste jedoch der Fußboden, der aus Estrich bestand, mit einer Bindeschicht überstrichen werden, damit der Teppichboden haften konnte, denn im ganzen Haus war eine elektrisch gesteuerte Fußbodenheizung. Durch das Auftragen der Bindeschicht wurde verhindert, dass sich beim Einschalten der Heizung der Teppich wölbte. Diese Schicht strich ich selbst auf die Böden im ganzen Haus, und durch das Einatmen der Dämpfe wurde ich dann auch noch krank. Zuerst war mir tagelang übel, dann bekam ich am ganzen Körper eine Art Nessel-Sucht. Ich kam in die Hautklinik und musste dort vier Wochen bleiben. Die vielen Untersuchungen und Allergie-Tests führten zu keinem Ergebnis, so dass der dortige Oberarzt der Meinung war, das könnte von den Nerven kommen, nachdem diese Nessel-Sucht meist nur dann auftrat, wenn ich mich aufgeregt hatte. Dieser Arzt bemühte sich sehr, die Ursache zu finden. Er machte Tests, forschte tagelang nach, was es wohl sein könnte. Bei dem Medikamententest kam er dann zu einem Ergebnis. Ich erhielt das Schmerzmittel Salizylsäure als 100-prozentige Lösung zum Einnehmen und bekam plötzlich ganz furchtbare Schwellungen. Meine Lippen wurden ganz dick, mein Gesicht war gerötet und geschwollen und auf meinem Kopf an der Kopfhaut bildeten sich Beulen, die aussahen, als wäre mein Kopf eine Berg- und Tal-Bahn. Ich musste im Anschluss daran täglich mehrere Ampullen Kalzium einnehmen und bekam nach meiner Entlassung aus der Klinik noch ein halbes Jahr lang Kalzium und diverse Spritzen. Der Oberarzt meinte, es würde mir noch einige Zeit eine Bestrahlung mit einer Höhensonne guttun, doch damit sei die Abteilung nicht ausgestattet. Leider ließ sich der Professor, der die Krankenabteilung leitete, nur einmal in der Woche kurz bei den Patienten blicken, denn den Herrn Professor interessierten nur seine Privatpatienten. Ich sah, dass er im Untergeschoss des Krankenhauses eine eigene, private Abteilung hatte und dort auch recht gut eingerichtet war, sogar mit einer Höhensonne, wovon die Patienten in der normalen Abteilung leider nicht profitierten. Aus lauter Langeweile studierte ich das Krankenblatt an meinem Bett, und diverse Eintragungen verstand ich nicht. Ich befragte die Stationsschwester, was die einzelnen Eintragungen zu bedeuten hätten. „Das sind Tabellen mit Aufzeichnungen, die Aufschluss darüber geben, welche Medikamente sie bekommen!“, meinte die Schwester und ich fand heraus, dass diverse Medikamente eingetragen waren, die ich überhaupt nie bekommen hatte. Schon damals dachte ich, es wäre besser, wenn jeder Patient nach einer Behandlung oder vielleicht pro Quartal ein Rechnungsduplikat bekommen würde und somit überprüfen könnte, ob die in Rechnung gestellten Medikamente auch wirklich gegeben wurden. Ich konnte über einen solchen Schwindel nur den Kopf schütteln.

      Sie unterbrach das Tippen, stand auf und sah aus dem Fenster. Sie blickte über den kleinen Garten in der Nachbarschaft ihres Apartments und schon waren ihre Gedanken wieder bei ihrem eigenen Garten. Ja, viel Arbeit hat er damals gemacht, der Garten, als sie ihn angelegt hatte. Viele Schubkarren voller Erde hatte sie von dem benachbarten Acker geholt. Und erst das Bepflanzen und die Rückenschmerzen danach! Wie hatte sie sich gefreut, als der Garten endlich fertig war und man vom Wohnzimmer aus auf die Terrasse gehen und alles überblicken konnte. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater immer meinte, die Terrasse sei doch viel zu groß. Später aber war Ella froh, eine solch große Terrasse zu haben, denn die Kinder brachten oft Freunde mit, und sie veranstalteten dort Grillabende oder feierten Geburtstage.

      Etwa ein halbes Jahr, nachdem sie in das neue Haus eingezogen waren, fing auch Nick an, ein Haus für sich und seine Mutter zu bauen. Es wurde ein Doppelhaus. Der erste Teil für sich und seine Mutter, der zweite Teil für seine Schwester und deren Familie. Seine Schwester war verheiratet und hatte zwei nette Töchter, die noch klein waren. Sein Schwager war handwerklich nicht sehr geschickt, und so half Nick auch da, wo er nur konnte, und gab erst Ruhe, als endlich alles fertig war und alle einziehen konnten.