Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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Gedichte zu sammeln. Zum einen trauerte sie um Sunny, zum anderen konnte sie das Verhalten ihres Mannes nicht verstehen. Sie schrieb in ihrem ersten Gedicht:

       Liebling lass uns darüber sprechen,

       so kann es doch nicht weiter geh'n,

       einer muss doch das Schweigen brechen,

       kannst du das denn nicht versteh'n?

       Ich hab' heut deinen Freund geküsst,

       so steht's im Tagebuch,

       doch glaub' mir ich hab's nicht gewollt.

       Es war wie ein Fluchtversuch,

       du hast ja doch nie Zeit für mich,

       kommst abends spät nach Haus,

       nur noch der Bildschirm fesselt dich,

       das halt ich nicht mehr aus!

      Ella dachte nun an die Zeit, als Tobias geboren wurde, und

      schrieb:

       Mit meinen Gefühlen war ich viel allein. Manchmal wusste ich nicht, wohin damit. Eigentlich ging es mir damals doch gut, finanziell meine ich, und mit meinem Mann war es immer das gleiche, er interessierte sich nicht für mich. Damals machte ich eine schlimme Zeit durch. Ich hatte unbeschreiblichen Liebeskummer. Wie oft dachte ich an Sunny, grübelte und merkte, dass mir die Tränen über die Wangen liefen. Doch dass es sich nicht lohnt, um eine unglückliche Liebe zu weinen, und welche Lektionen das Leben für einen bereithält, erfährt man ja dann erst später und auch, dass man sich viele Tränen hätte ersparen können. Um mich abzulenken, habe ich Aushilfsjobs angenommen, während die Kinder bei meiner Mutter waren.

       Im Sommer brachte ich einen weiteren Sohn zur Welt. Dieses Mal fuhr meine Mutter mit ins Krankenhaus und begleitete mich auf das Zimmer. Als ich dann in den Kreißsaal gebracht wurde und zufälligerweise in das gleiche Bett zum Entbinden sollte, in welchem ich schon zweimal entbunden hatte, weigerte ich mich. Ich war abergläubisch und sagte zum Arzt: „Ich habe in diesem Bett schon zweimal entbunden, und ein drittes Mal will ich nicht mehr in dieses Bett, sonst bekomme ich womöglich nochmal ein Kind, und ich will bestimmt keine Kinder mehr!“ Ich nannte meinen zweiten Sohn Tobias, und ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich an seine Geburt denke. Gleich als er zwischen meinen Beinen herausrutschte, fing er an zu pinkeln. Er pinkelte genau über meine Schenkel, und alle, die bei der Geburt dabei waren, mussten lachen.

      Ella stützte ihre Hände auf das Kinn, und ihre Gedanken schweiften zurück. Die Kinder waren ihr Ein und Alles, und trotzdem fühlte sie sich oft allein und einsam, und manchmal spürte sie eine unendliche Traurigkeit.

      Sie erinnerte sich, wie es eines Tages an ihrer Türe läutete. Draußen stand ein junger Mann, der etwas im Auftrag ihres Bruders abholen sollte. Er war sehr nett, noch ziemlich jung und was ihr sofort auffiel, waren seine ganz faszinierenden, schönen grünen Augen. Sie spürte es sofort, die Versuchung war schon wieder da. Auch ein paar Tage später musste sie immer wieder an diesen jungen Mann mit den grünen Augen denken.

      Ihr Bruder, der ja mit ihm befreundet war, hatte in den letzten zwei Jahren auch so manche Niederlage einstecken müssen. Seine Ehe hatte nur ein Jahr gehalten. Seine Frau war ein verwöhntes Einzelkind. Sie war sich für den Haushalt zu schade, und so kochte Ellas Mutter immer für die beiden mit. Sogar die Wäsche wusch die feine Madame nicht selbst. Sie brachte sie einmal wöchentlich zu ihrer Mutter. Ganz schlimm wurde es, als ihr Bruder sich entschloss, den ersten Stock im Hause seiner Eltern für sich und seine Frau auszubauen, denn bis jetzt hatten beide nur zwei Zimmer im oberen Stock und kein eigenes Badezimmer. Bei diesen Umbauarbeiten gab es natürlich eine Menge Dreck und Staub. Mitten in diesem Umbau warf sie alles hin. Das war ihr zu viel, sie ging zurück zu ihren Eltern und reichte die Scheidung ein. Ellas Eltern versuchten vergeblich, diese Scheidung zu verheimlichen. Welche Schande, die Frau ihres Sohnes war davongelaufen! Ihr Bruder litt sehr darunter, und ihre Eltern schämten sich vor der Nachbarschaft. Ella hatte ihren Bruder oft gewarnt, im gleichen Haus wie die Eltern zu wohnen, das ging nicht gut, das wusste sie ja aus eigener Erfahrung. Jetzt, wo sie mit den Gedanken bei ihrem Bruder angekommen war, wollte sie diese Gefühle gleich zu Papier bringen.

       Ich liebe meinen Bruder sehr und wir verstehen uns gut, aber das war nicht immer so. In der Kinderzeit, als er mir immer vorgezogen wurde, da hasste ich ihn, weil ich immer die Prügel bekam und er nicht, er, das „Herzibinkerl“ von Mutter und Vater. Doch das änderte sich, je älter wir beide wurden, da waren wir dann ein Herz und eine Seele. Warum wünschen sich Väter eigentlich immer Söhne? „Als du geboren wurdest“, erzählte Mutter mir, „schrieb dein Vater von der Front an mich: ‚Ich freue mich über eine Tochter, doch über einen Sohn hätte ich mich mehr gefreut!‘ Das hat mich damals sehr getroffen, und ich habe es auch nie vergessen. Ich hatte auch nie ein besonders gutes Verhältnis zu meinem Vater. Doch das Verhältnis zu meinem Bruder wurde immer besser, je älter wir wurden. Heute sind wir die besten Freunde und ich könnte mir gar nicht vorstellen, wie es ohne meinen Bruder wäre. Ich weiß auch, ohne dass er darüber spricht und ohne dass er sich etwas anmerken lässt, wie unglücklich er wegen seiner Scheidung ist. Ich weiß, er ist sehr in seinem Stolz verletzt, weil er von seiner Frau verlassen wurde, welcher Mann wäre dies nicht? Damals schlossen wir uns zusammen, weil wir beide unglücklich waren. Wir gingen zusammen immer öfter aus, um uns abzulenken. Er wusste, dass ich gerne tanzte. Ja, Tanzen war meine Leidenschaft, nur hatte ich viel zu wenig Gelegenheit dazu.

      Es war eine verrückte Zeit damals. Der Minirock war gerade erfunden worden, und bei dem Gedanken, dass sie an ihrem schönsten Kleid einen Teil abschnitt, den Saum etwas höher nähte, musste Ella plötzlich hellauf lachen. „Auf jeden Fall hatte ich ein sehr schönes Minikleid“, dachte sie. Ja, damals hatte sie lange, rot getönte Haare, und sie fühlte sich begehrt. Es war ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr kannte. Eine ganz andere Welt tat sich ihr auf. Ein richtiger Lebenshunger überfiel sie, und sie hatte plötzlich das Gefühl, im Leben so viel versäumt zu haben. Sie spürte die bewundernden Blicke der Männer und vergaß in diesem Umfeld, dass sie eigentlich verheiratet war.

      Beide, sie und ihr Bruder, gingen jedes Wochenende in ein anderes Lokal. Doch sobald sich ein Mann auch nur ein bisschen für Ella interessierte und sich ihr näherte, krempelte ihr Bruder provozierend die Hemdsärmel hoch, so dass dieser andere gleich wieder die Flucht ergriff. Bubi spielte immer ihren Beschützer. Meistens legte er den Arm um sie, und er sagte dann schmunzelnd: „Na, dem hab' ich aber gezeigt, wo's lang geht!“ Es war eine wilde Zeit, der Song „San Francisco“ war gerade „in“ und sie zog mit ihrem Bruder von Lokal zu Lokal. Tanzen wurde ihre Leidenschaft, und sie flirtete viel und gerne. Es war wie ein Zwang, den Männern den Kopf zu verdrehen. Sie hätte oft die Möglichkeit gehabt, ein Verhältnis einzugehen, aber sie tat es nicht. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die so leicht zu haben waren. Dafür war sie sich zu schade. Es interessierten sie keine anderen Männer, denn tief im Herzen wünschte sie sich nur eines: eine intakte Familie. Sie wollte ihren Kindern unbedingt die Familie erhalten. Deshalb bemühte sie sich immer wieder um ihren Mann. Oft verzweifelte sie an seiner ablehnenden Haltung, an den Demütigungen, um seine Liebe betteln zu müssen. Niemand konnte sich vorstellen, wie sie darunter litt, als Frau immer abgelehnt zu werden. Sie konnte nicht verstehen, dass es so etwas wirklich gab, denn wenn man ihr unter anderen Umständen so etwas erzählt hätte, sie hätte es nicht geglaubt. Sie fand auch keinen Grund für ein solches Verhalten. Ja, wenn sie hässlich gewesen wäre oder ungepflegt, dann vielleicht. Aber es drehten sich doch immer die Männer nach ihr um, wenn sie auf der Straße ging, und sie war sich ihrer Wirkung auf andere Männer bewusst.

      Jener junge Mann war nun der Freund ihres Bruders und ging ebenfalls mit zum Tanzen, doch leider war er Nichttänzer. Ella fand ihn sehr anziehend, und er gefiel ihr sehr. Sie und Nick, das war der Name des jungen Mannes, wurden Freunde, ja, wirklich nur Freunde. Wenn sie manchmal mit ihrem Bruder ausging, war auch er dabei, und so sahen sie sich öfter. Er verstand sich mit ihren Kindern gut, und das gefiel ihr. Weil er mit den Kindern