Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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gab es nur eine einzige Möglichkeit, sich mit Jungen zu treffen, das war diese Jugendgruppe. Am Faschingssonntag war dort immer Tanznachmittag und darauf freuten sich alle schon das ganze Jahr über. Diese Jugendgruppe durfte ich auch nur einmal die Woche besuchen, immer nachmittags. Das Treffen der ganzen Gruppe fand natürlich am Abend statt, aber abends musste ich zu Hause bleiben. Abends einmal ins Kino gehen, war für mich nie möglich. Ins Kino durfte ich nur am Nachmittag und auch nur manchmal. Mit sechzehn Jahren musste ich immer noch um halb neun am Abend im Bett sein. Wenn ich so darüber nachdenke, wie viele Ausreden ich mir damals einfallen ließ, um wenigstens am Sonntagnachmittag alleine wegzukommen, muss ich noch heute schmunzeln.

       Dass der sogenannte Traummann sich einmal anders entpuppen könnte, daran denkt man doch in jungen Jahren, wenn man sehr verliebt ist, nicht. Und auf die Eltern hörte ich schon überhaupt nicht, die waren in meinen Augen altmodisch und spießig. Nie mehr würde ich heute bei einem Mann auf das Aussehen achten. Mein Mann entpuppte sich als Blender und ist Zeit seines Lebens nie etwas anderes gewesen. Er hielt nicht, was sein Aussehen versprach, und er war auch nicht so, wie meine Filmidole in ihren Filmen. Da kann man sehen, in welcher Traumwelt ich als junges Mädchen gelebt habe. Als ich so nach und nach gemerkt habe, wie er wirklich war, da war es bereits zu spät, ich war schwanger. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich ihn überhaupt geliebt habe. Ich hatte so eine wahnsinnige Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach Umarmungen, und da ist es dann einfach passiert. Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und es sah aus, als sei das größte Unglück geschehen. Glück oder Unglück, das interessierte sie nicht. Für sie war wichtig, was die Leute dachten. Mit neunzehn Jahren schwanger, wie sollte sie das erklären? „Ihr müsst sofort heiraten, dann kann man immer noch sagen, dass es eine Frühgeburt ist“, beschloss sie. Ich weiß heute gar nicht mehr, was eigentlich Vater dazu sagte. Auf jeden Fall arrangierte Mutter eilends die Hochzeit. Ich hatte gerade meine Lehre beendet und war von der Firma anschließend in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden. Mein damaliger Chef bestand darauf, dass ich ihn auf seinen Reisen zu den Baustellen, er war Bauunternehmer, begleitete, aber mir war dauernd furchtbar übel, und ich musste mich häufig übergeben, so dass es nicht mehr zu verheimlichen war, dass ich schwanger war.

       Es heißt immer, der schönste Tag im Leben einer Frau ist der Hochzeitstag. Von Freunden und Bekannten weiß ich, dass dieser Tag unvergesslich sein konnte. Bei mir war das nicht so. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich an diesem Tag glücklich war. Der Tag ging eigentlich wie in Trance an mir vorüber. Der Arzt hatte mir am Tag davor noch Medikamente verschrieben, weil Mutter immer Angst hatte, ich könnte wegen der Schwangerschaft ohnmächtig werden, oder, was noch schlimmer war, ich könnte mich übergeben. Ich erinnere mich nur noch an den Mittagstisch in der Gastwirtschaft und an den Nachmittag des Hochzeitstages, an dem viel getanzt wurde. Ich weiß noch, dass Mutter den ganzen Tag in meiner Nähe war, um möglicherweise gleich eingreifen zu können, falls mir doch übel werden sollte. Das war ihre ganz große Sorge, und dass die Leute dann anfangen könnten zu tuscheln.

       Ich überstand den Hochzeitstag, und heute denke ich, dass die Mädchen heutzutage gar nicht wissen, wie gut sie es haben. Es gibt so viele Möglichkeiten, nicht schwanger zu werden. Allein schon mit der Pille kann ich selbst bestimmen, ob ich nun schwanger werden will oder nicht. Ich kann selbst bestimmen, ob ich ein Kind möchte oder nicht. Das konnte ich damals nicht. Unaufgeklärt bin ich da hineingeschlittert. Wir haben nur einmal miteinander geschlafen, und schon war es passiert.

      Im Hause meiner Eltern bekamen wir das Zimmer unterm Dach, das noch frei war. Zwei Wochen vor meiner Niederkunft bekamen wir im Haus meines Schwiegervaters, der in der Zwischenzeit eine Witwe geheiratet hatte, eine Wohnung im ersten Stock. Die richtigen Probleme kamen erst nach der Hochzeit, als wir zusammenlebten, aber ich verdrängte alles und hoffte immer, mein Mann würde sich ändern. Er änderte sich nicht, er schämte sich für mich, für meine Unförmigkeit, für meinen dicken Bauch, und er nahm mich, als ich dicker wurde, nie irgendwo hin mit, wie zum Beispiel auf die Hochzeit seines Freundes, der gerade geheiratet hatte. Das hat mich natürlich sehr gekränkt, und ich fühlte mich gedemütigt und alleingelassen. Kaum waren wir mit dem Umzug fertig, kam das Kind und auch gleich die nächste große Enttäuschung, und meine Liebe zu meinem Mann bekam einen großen Knacks. An einem Samstagnachmittag bei einem Spaziergang bekam ich die ersten Wehen und musste mich alle paar Meter an einem Zaun festhalten. Das ging so bis zum späten Abend. Gerade als ich mir im Fernsehen das Schauspiel „Don Carlos“ ansah, kamen ganz schlimme Wehen, das werde ich nie vergessen, ich krümmte mich vor Schmerzen. Der Koffer stand schon seit Tagen fertig gepackt, und mein Mann fuhr mich in die Klinik. Vor dem Portal stiegen wir aus dem Auto und gingen die Treppen hoch. Am Eingang drückte er mir meinen Koffer in die Hand, klopfte mir auf die Schulter, wünschte mir alles Gute, ließ mich stehen und verschwand im Auto. Dann fuhr er davon, als ob er vor etwas flüchten müsste. Ich hatte furchtbare Angst, ich wusste ja nicht, was mich eigentlich erwartete. Ich fühlte mich so allein und war so furchtbar unglücklich. Ich hatte erwartet, er würde mich jetzt fürsorglich in die Arme nehmen und mich in die Klinik begleiten. Ich war so enttäuscht, und kam mir vor wie ein Paket, das gerade abgegeben wurde.

       Wie alle Frauen ging ich etwa vier Wochen vor der Niederkunft zu einer Hebamme, um mich untersuchen zu lassen. Diese Hebamme kam dann ins Krankenhaus, wenn es so weit war. Es gab keine so fürsorgliche Betreuung wie heute mit Schwangerschaftsgymnastik, Ehemann mitbringen und so. Es gab auch keine Nachsorge und keine Hilfe oder Unterweisung, um mit dem Baby klarzukommen. Die ganze Nacht über dauerten die Wehen, und endlich um halb sechs Uhr früh kam das Kind. Es war ein süßes Mädchen, und ich konnte es kaum erwarten, das Kind meinem Mann zu zeigen. Doch erst am Vormittag nach der Geburt, so um ca. zehn Uhr, tauchte mein Mann in der Klinik auf. Er schien es überhaupt nicht eilig zu haben, mich und unser Kind zu sehen.

      Ella wischte sich die Tränen vom Gesicht. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie, während sie ihre Erinnerung niederschrieb, geweint hatte.

       Die Taufe fand in der Klinik-Kapelle statt. Die zweite Frau meines Schwiegervaters, die er nach dem Tod von Pauls Mutter geheiratet hat, hatte sich schon vorher angeboten, die Taufpatenschaft zu übernehmen. Obwohl ich als Taufpatin lieber meine Mutter gehabt hätte, war ich einverstanden. Schließlich hatte sie uns in ihrem Mietshaus eine Wohnung gegeben, und da musste man dankbar sein. Wir tauften das Kind auf den Namen Anna. Sie war ein hübsches Kind, hatte große dunkle Augen, und ich war ganz verliebt in die Kleine. Ich glaube, ich habe schon damals alle meine Liebe dem Kind gegeben, weil ich von Paul so enttäuscht war. Ab dieser Zeit änderte sich mein Leben. Mein Mann zog sich zurück, wir schliefen auch nicht mehr miteinander. Oft machte ich mir Gedanken darüber, warum er wohl nicht mehr mit mir schlafen wollte, aber zu fragen traute ich mich nicht. Einmal fasste ich mir ein Herz und vertraute mich meinem Schwiegervater an, zu dem ich eigentlich ein gutes Verhältnis hatte. Er grinste und sagte spöttisch: „Paul kommt wahrscheinlich nach seiner Mutter, die wollte auch nie ins Bett mit mir, sie hatte einfach für Intimitäten nichts übrig!“ Ich widmete mich ganz meinem Kind, aber so langsam gab es auch mal wieder harmonische Abende und wir schliefen sogar wieder miteinander.

       Als Anna fünf Monate alt war, merkte ich, dass ich wieder schwanger war. Ich war unglücklich, und ich traute mich nicht zu meiner Mutter, ich wusste, was sie als erstes sagen würde: „Mein Gott, was werden da die Leute sagen“, denn es war ihre große Sorge, dass sie bei den Leuten nicht mehr gut dastand. Wenn ich schwanger war, bemerkte man meine Schwangerschaft erst ziemlich spät. Gerade jetzt beim zweiten Kind, es war Spätherbst, und ich trug immer sehr weite Kleider. Um zu vermeiden, dass meine Mutter merkte, dass ich schon wieder schwanger war, sahen wir uns nicht all zu oft. Ich entschuldigte mich immer wieder mit viel Arbeit, und eines Tages, ich war schon im achten Monat, entschloss ich mich, meine Eltern wieder einmal zu besuchen. Ich hatte einen Schlüssel und musste deshalb nicht läuten. Ich sperrte die Eingangstüre auf und hörte laute Stimmen, die aus dem Inneren drangen. Mir war sofort klar, sie stritten schon wieder miteinander. Wahrscheinlich ging es wie immer um eine andere Frau. Beim Öffnen der inneren Türe sah ich, wie die beiden gerade aufeinander losgingen. Ich wusste ja, dass sie oft stritten, aber dass sie jetzt sogar handgreiflich wurden, war mir neu. Ich erschrak so sehr, fasste mir mit der Hand an den Bauch, als ich den starken Schmerz fühlte, und musste mich setzen. Beide