Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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Nacht bekam ich das Kind. Es wurde eine Frühgeburt im achten Monat und war ein Junge. Wir tauften ihn Pit. Wie schon beim ersten Kind fuhr mich mein Mann in die Klinik, klopfte mir am Eingang auf die Schulter, stellte meinen Koffer neben mich, wünschte mir alles Gute und verschwand. Es ging alles ganz schnell, das Kind hatte es eilig, nur mein Mann hatte auch dieses Mal keine Eile, mich zu besuchen. Der Junge war allerliebst, mit schwarzen, langen Haaren, die die Hebamme gleich zu einer runden Tolle formte. Ich blieb die damals üblichen sieben Tage in der Klinik, und auch die Taufe fand in der Klinik, statt weil die Hebamme es so für besser hielt. Es war Anfang Januar und sehr kalt, und man sollte doch berücksichtigen, dass der Junge vier Wochen zu früh zur Welt gekommen war, meinte sie, und ich gab ihr Recht. Eine Taufe in unserer Kirche daheim, so wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, wäre bei dieser Kälte für das Kind nicht gut gewesen. Mein Schwiegervater ließ es sich nicht nehmen, Pate für den Jungen zu sein. Ich weiß noch genau die Worte des Priesters bei der Taufe: „Der Junge hat ja so lange Haare, da muss ich gleich zweimal das Taufwasser über seinen Kopf gießen!“, meinte er und musste dabei selbst lachen. Die Haare des Babys waren nicht nur sehr lang, sondern auch noch pechschwarz. Nach der Taufe holte mich Paul dann nach Hause. Mein Schwiegervater wartete vor dem Hauseingang, als wir ankamen, und nahm den Enkelsohn freudig entgegen. „Wenigstens einer, der sich mit mir freut“, dachte ich damals. Doch im Zusammenleben mit Paul änderte sich nichts, er war wie immer sehr abweisend.

       Es war die Zeit, in der die Fernsehgeräte in die Wohnungen einzogen. Wir selbst konnten uns noch keines leisten, aber mein Schwiegervater, der ein Stockwerk über uns wohnte, hatte bereits eines. So kam es, dass mein Mann jeden Tag nach der Arbeit, kaum dass er gegessen hatte, seinen Abend bei seinem Vater und dessen zweiter Frau verbrachte, und ich mit den Kindern alleine in der Wohnung saß. Jeden Tag war es dasselbe, ich hörte Musik, wenn die Kinder eingeschlafen waren, oder ich las ein Buch, und ich fühlte mich sehr unglücklich und einsam. Die zweite Frau meines Schwiegervaters stammte aus einer Gastwirtschaft, und sie hatte immer etwas Flüssiges zu Hause. So kam mein Mann an so manchem Abend mit einer Alkoholfahne zurück. Er kümmerte sich nach der Arbeit um nichts. Er gab mir Geld und ließ mich schalten und walten, er wollte mit nichts, was die Finanzen oder Sonstiges betraf, behelligt werden.

       Ich grübelte immer öfter. Was war er nur für ein Mensch? Er zeigte nie Gefühle, keine großen Regungen. Oft fragte ich mich, ob er denn gar nichts empfand? Ich sehnte mich so nach ein bisschen Zärtlichkeit, danach, ein wenig in den Arm genommen zu werden. Wenn ich mich manchmal an ihn schmiegen wollte, schob er mich weg mit der Begründung, er sei müde. Ein anderes Mal hatte er Kopfschmerzen, das nächste Mal hatte er Magenschmerzen oder es war ihm sonst nicht gut. Im Laufe der Zeit bekam ich schon Minderwertigkeitskomplexe und fragte mich, wie das wohl weitergehen sollte. Ich zweifelte an mir, weil ich ausgerechnet ihn geheiratet habe! Ich hatte früher so viele Chancen bei den Männern, aber ich war nur auf ihn fixiert. Wir waren eine Familie, hatten zwei liebe Kinder, doch mein Mann veränderte sich immer mehr, er wurde mir gegenüber immer kälter.

      Ella streckte sich, sie fühlte sich vom vielen Schreiben wie eingerostet. Es war ja auch schon spät und sie nahm sich vor, am nächsten Tag nach der Arbeit weiterzuschreiben. Doch sie konnte nicht einschlafen. Die Erinnerungen ließen sie einfach nicht los.

      Männer kannte sie früher viele, doch sie fühlte sich immer zu jenen hingezogen, die sich eigentlich gar nicht für sie interessierten. Es reizten sie immer Männer, die schwer zu erobern waren, die meistens etwas anders waren, die stillen, die zogen sie unwahrscheinlich an. Sehr oft waren es die schüchternen Männer, an denen sie testete, ob sie als Frau wirkte. Sie machte sich einen Spaß daraus, mit Männern zu flirten, Verabredungen zu treffen, zu denen sie dann gar nicht hingegangen ist. Es war für sie wie ein Spiel. Ihr gefielen immer nur Männer, die eigentlich von ihr keine Notiz nahmen. Die, die sie übersahen, genau die reizten sie. So einer war ihr Mann Paul damals, und deshalb war sie so fixiert auf ihn. „Was hilft es, immer in der Vergangenheit zu wühlen, du kannst grübeln so viel du willst, es ändert nichts. Du musst an jetzt denken“, ging es ihr durch den Kopf. „Du sitzt hier in dieser kleinen Wohnung, dabei hätte eigentlich er ausziehen müssen. Aber er wollte keine Scheidung und zog auch nicht aus“, grübelte sie weiter. Das Gesetz verlangt aber bei einer Scheidung, ein Jahr getrennt von Tisch und Bett zu leben, das war in einem gemeinsamen Haus nicht möglich, zumindest nicht mit Paul. „Schluss jetzt“, sagte sie laut, deckte ihr Bett auf und kuschelte sich unter die Decke. Dann schlief sie endlich ein.

      Die nächsten Tage zogen sich nur so dahin. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Ihr gingen auch in der Arbeit so viele Gedanken durch den Kopf, und sie stellte fest, dass das mit dem Schreiben gar nicht so einfach war. Meistens, wenn ihr etwas einfiel oder sie etwas bedrückte, das sie hätte schreiben können, war sie in der Arbeit, und wenn sie dann nach Hause kam, hatte sie vieles schon wieder vergessen. So fing sie an, zwischendurch Zettelchen zu schreiben und in ihre Handtasche zu stecken als Gedankenstütze für zu Hause. Oft hatte sie auch keine Lust zum Schreiben, dann steckte sie diese Zettelchen in einen kleinen Karton, den sie ihre Gedankenbox nannte.

      Es war mal wieder endlich Arbeitsschluss. Ella kramte in ihrer Gedankenbox, als sie zu Hause ankam. Dann griff sie nach einem Zettel mit dem Hinweis: „Er würde nie ausziehen“. Tagsüber auf der Arbeit hatte sie sich überlegt, dass sie genau darüber am Abend niederschreiben wollte, und es war wohl Schicksal, dass sie genau den Zettel zu diesem Thema aus der Box fischte. „So ein Zufall“, dachte sie. Sie schob den Hocker, der vor ihrer Schreibmaschine stand, zurecht, setzte sich und fing an.

       Getrennt vom Bett waren wir ja schon seit ewigen Zeiten, und doch wollte er sich nicht scheiden lassen. Was ich auch versuchte, er blieb stur. Er wollte unbedingt eine Scheidung verhindern. Wenn ich also im Haus geblieben wäre, dann hätte er sich aus lauter Bosheit so einiges einfallen lassen. Hätte ich nicht für ihn gekocht, dann hätte er einfach Reste aus den Töpfen genommen. Hätte ich nicht für ihn gewaschen, wäre er wahrscheinlich in Schmutzwäsche erstickt, und so etwas konnte ich nicht mitansehen. Ein ganzes Jahr lang wäre das so gegangen. Er hätte sich geweigert, sich scheiden zu lassen, und hätte dann womöglich vor dem Scheidungsrichter behauptet, ich hätte für ihn gewaschen und gekocht, nur um diese Scheidung zu verhindern. Er hätte nie sein bequemes Leben aufgegeben.

      Plötzlich verlor sie irgendwie die Lust am Schreiben. Sie warf sich auf das Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte vor sich hin. Vielleicht klappte es morgen wieder besser. Sie gähnte und fühlte sich plötzlich furchtbar müde. „Morgen ist auch noch ein Tag, da kann ich weiterträumen und mich erinnern.“ Morgen würde sie schreiben, wie sie sich in der Jugendgruppe näherkamen, und wie es weiterging. Mit diesem Gedanken und laut gähnend schlief sie endlich ein.

      Am nächsten Morgen war sie schon früh auf den Beinen, denn sie wusste nie genau, wie lange sie von ihrem jetzigen Domizil bis zur Arbeit mit dem Auto brauchen würde. Es war ja alles anders, auch der Weg zur Arbeit. Sie fragte sich, wie die Kollegin und die Kollegen es in der Arbeit aufnehmen würden, wenn sie erfuhren, dass sie von zu Hause ausgezogen war. Was würde vor allem die Chefin dazu sagen? Es war alles gar nicht so einfach, und sie musste überlegen, wie sie alles erklären sollte. Ihr Kollege, der Meister im Betrieb war, lebte auch gerade in Scheidung. Sie wollte mit der Erklärung warten, bis jemand auf sie zukam, und so verlief auch dieser Arbeitstag wie immer, und es fragte sie auch niemand, besonders jetzt, nachdem das Arbeitsklima wegen Differenzen mit ihrem Kollegen, dem Meister, sowieso gestört war.

      Nach der Arbeit fuhr sie gleich nach Hause, denn sie brannte darauf, sich alles von der Seele zu schreiben. Ohne etwas zu essen, setzte sie sich gleich an ihre Schreibmaschine und begann.

       Als ich Paul damals in der Jugendgruppe kennenlernte, fand ich auch gleich heraus, welchen Arbeitsweg er hatte, denn er fuhr immer zur selben Zeit in der Straßenbahn wie ich. Er arbeitete fast gegenüber des Gymnasiums, in das ich damals ging. Aber Paul war nicht so leicht zu erobern. Eines Abends, als wir wieder Gruppenstunde gehabt hätten, es war so ein wunderschöner lauer Sommerabend, sonderte ich mich mit zwei anderen Mädchen von der Gruppe ab. Mit von der Partie waren drei Jungen, von denen einer Paul war. Wir schwänzten die Gruppenstunde und machten stattdessen einen Abendspaziergang am nahen Waldrand. Wie das eben so ist, die Pärchen hatten sich schnell gefunden.