Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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bezahlen musste, entschloss sich Ella, überflüssige Dinge zu verkaufen. Sie setzte Inserate in die Zeitung und bot unter anderem ihre Geige, die sie immer noch hatte, zum Verkauf an. Gleich der erste Käufer nahm die Geige mit, und wenn sie jetzt darüber nachdachte, bereute sie diesen Verkauf. „Heute wäre diese Geige bestimmt viel wert, und ich habe sie für ein Spottgeld abgegeben“, dachte sie in diesem Moment. Auch die gebrauchten Kleidchen von Anna bot sie in der Zeitung an, und es meldete sich ein Herr per Telefon. Er wollte wissen, welche Kleidergröße diese Kleidchen hätten, und Ella erklärte es ihm, und beschrieb ein Kleid. „Es ist gelb gemustert“, beantwortete sie seine Frage nach der Farbe. „Welches Kleid tragen Sie denn heute?“, wollte der Herr am Telefon plötzlich wissen, was sie erstaunt aufhorchen ließ. Er fragte weiter: „Sagen Sie mir doch bitte, was Sie heute für ein Höschen anhaben!“, säuselte er ins Telefon, und da begriff Ella plötzlich und legte entrüstet den Hörer auf die Gabel. Zwei Wochen später konnte man in der Zeitung lesen, dass in der Stadtverwaltung ein Herr verhaftet worden war, der mit obszönen Anrufen einige Damen am Telefon belästigt hatte. „Es soll ja vorkommen, dass Beamte bei der Stadt nicht ausgelastet sind“, dachte Ella und schüttelte nur den Kopf, und dann fiel ihr ein Artikel ein, der ebenfalls einige Zeit später in der Presse zu lesen war. Da war ein Beamter in seinem Job nicht ausgelastet. Er spazierte mehrmals am Tage mit einem Aktenordner unter dem Arm durch die Gänge des Amtsgebäudes, in welchem er beschäftigt war, um zu demonstrieren, welch wichtige Botengänge er zu erledigen hatte.

      In dieser Zeit, als Paul wegen des Besuches der Meisterschule nicht daheim war, entschloss sich Ella, eine Arbeit anzunehmen. Die Kinder brachte sie jeden Morgen, bevor sie zur Arbeit ging, zu ihrer Mutter. Als das halbe Jahr vorüber war und Paul seine Meisterprüfung in der Tasche hatte, suchte Ella nach einer größeren Wohnung am gleichen Ort und sie zogen um. Darüber war ihr Schwiegervater sehr böse, und sie trennten sich im Streit. Sie pflegte weiter die Beziehung zu dem jungen Mann. Er kam fast jeden Abend, und Paul hatte nichts dagegen. Sunny mochte ihren Sohn Pit, und die beiden spielten zusammen und hatten Spaß, weil der eigene Vater ja nie Zeit für ihn hatte und abends lieber vor der Glotze saß. Sie hatten jetzt einen eigenen Fernseher, und fernsehen war nach der Arbeit die liebste Beschäftigung von Paul. Ella und Sunny unternahmen immer mehr zusammen mit den Kindern, und Paul fand das in Ordnung. Hauptsache, er konnte tun und lassen was er wollte. Oft beobachtete Ella, wie Sunny mit den Kindern herumtobte, wenn sie zum Beispiel beim Baden waren, und sie wurde ganz traurig und fragte sich, warum denn ihr Mann nicht so sein konnte?

      Auch abends gingen Ella und Sunny ab und zu weg. Manchmal gingen sie in eine Weinstube, aber auch einmal ins Kino. Paul war ja zu Hause, falls eines der Kinder wach werden würde. Es kam auch vor, dass sie zum Tanzen gingen, denn Sunny tanzte sehr gut, und Ella tanzte doch so furchtbar gerne. Sie machte mit Sunny alles, was sie in ihrer Ehe vermisste, und eines Tages merkte sie, dass sie sich verliebt hatte. Sie hatte sich sogar unsterblich in Sunny verliebt. Er war stets Kavalier. Wenn sie zum Beispiel ein Lokal betraten, öffnete er ihr höflich die Türe und half ihr aus dem Mantel. Manchmal brachte er ihr Blumen mit und machte Ausflüge mit ihr und den Kindern. Paul störte das alles nicht, er reagierte überhaupt nicht, er saß wie immer abends vor der Glotze und trank sein Bier oder seinen Schnaps. Es machte ihm überhaupt nichts aus, wenn sie mit Sunny wegging, im Gegenteil, er ermunterte sie sogar, mit ihm etwas zu unternehmen.

      Einmal fuhren Ella und Paul sogar mit Sunny und seiner Schwester mit dem Auto in Urlaub nach Italien. Pauls Chef hatte ihnen einen Bungalow am Meer vermittelt. Es gab dort zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine kleine Küche. In einem Schlafzimmer schliefen Sunny und seine Schwester, die Kinder im Wohnzimmer und Paul und Ella im zweiten Schlafzimmer. Ein paar Tage ging das gut, jedoch am dritten Tag war Sunny am Abend plötzlich verschwunden. Alle suchten ihn und schließlich fanden sie ihn total betrunken im Auto liegen. Er konnte es nicht ertragen, Paul und Ella in einem Ehebett zu sehen, und er stellte Ella, als sie wieder zu Hause waren, ein Ultimatum, mit dem sie natürlich nicht gerechnet hatte. Er verlangte, dass sie sich scheiden lassen sollte. Das war für Ella natürlich unmöglich. Sie würde nie die Familie auseinanderreißen. Die Kinder würden womöglich in ein Heim kommen oder getrennt werden, und es ginge allen dann finanziell schlecht. Warum konnte er nicht alles so lassen wie es war?

      Sie grübelte oft, warum ihr Mann wohl so war, und sie entschuldigte ihn innerlich. Er war ein guter Mensch, und dass er so nüchtern und emotionslos war, das war eben sein Naturell und dafür konnte er ja schließlich nichts. Gefühlsanwandlungen waren ihm fremd, wie zum Beispiel einmal seinen Arm um sie zu legen oder eines seiner Kinder ganz plötzlich auf den Schoß zu nehmen. Wenn da wenigstens eine andere Frau gewesen wäre, hätte man sicher eine Lösung gefunden. Doch leider interessierten ihn andere Frauen überhaupt nicht, und Ella hatte manchmal das Gefühl, er sah in ihr eine Mutter. Er interessierte sich für nichts, er sah nie einer anderen Frau hinterher, wie es die Männer oft tun. Sie sah ihn nie in einem Buch lesen oder gar Musik hören, nein, er wollte nach Feierabend immer nur seine Ruhe haben und fernsehen. Ella war sehr unglücklich. Sie konnte das Verhalten ihres Mannes einfach nicht verstehen. Es kam ihr vor, als ob er total leer wäre. Er hatte keinerlei Interessen. Sie aber las viel, war interessiert an Musik. Musik hatte ihr immer viel bedeutet, und oft trällerte sie zu den Liedern, die im Radio gespielt wurden. Das Einzige, was Paul interessierte, war ein Fußballspiel im Fernsehen, vor sich auf dem Tisch eine Bierflasche und möglichst noch einen Cognac, das munterte ihn auf, das fand er spannend.

      Eines Tages in der Mittagszeit, die Kinder schliefen gerade, und sie hatte mit Sunny ihre Liebesstunde, da hörte sie, wie jemand den Schlüssel in das Schloss der Eingangstüre steckte und aufsperrte. Ella sprang aus dem Bett und stürzte in den Korridor. Es war ihr Mann Paul. Ella war nur mit einem kurzen Hemdchen und einem Slip bekleidet und stand so vor ihrem Mann. Der jedoch erklärte nur, er hätte am Morgen etwas vergessen. Dass sie fast nichts an hatte, das schien er überhaupt nicht zu bemerken. Ella saß der Schreck in allen Gliedern, auch wenn sie einen Liebhaber hatte, so wollte sie ihren Mann doch nicht so provozieren. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass in der Garderobe der Hut von Sunny lag und dessen Schuhe ebenfalls dort standen.

      Ella und Sunny nutzten jede Gelegenheit, um miteinander zu schlafen. Manchmal im Auto, oder sie verabredeten sich auf einer Wiese. Bei ihrer Mutter erfand sie dann eine Ausrede und brachte ihr manchmal die Kinder. Immer öfter erwog Ella, sich scheiden zu lassen, doch dann dachte sie an ihre Kinder und verwarf den Gedanken immer wieder.

      An einem Oktoberwochenende wurden Ella und Paul zur Hochzeit eines Cousins eingeladen. Wie es bei Feiern eben so üblich war, hatten beide etwas getrunken. Sie blieben über Nacht im Hotel, und in dieser Nacht schliefen beide miteinander. Schon am nächsten Morgen auf der Rückfahrt musste Ella sich übergeben und sie dachte, es seien die Nachwirkungen vom Alkohol. Doch es dauerte nicht lange und Ella merkte, dass sie wieder schwanger war. „Warum“, dachte sie, „ist Gott so ungerecht? Es gibt Frauen, die sind sehr unglücklich, weil sie kein Kind bekommen, andere wieder sind unglücklich, weil sie ein Kind bekommen. Einmal in meinem Leben hätte ich mir gewünscht, auch ein Wunschkind zu kriegen.“

      Sunny dachte sofort, als sie ihm erzählte, dass sie schwanger ist, dass das Kind von ihm sei. Aber Ella wusste genau, dass sie seit der letzten Periode gar nicht mit ihm geschlafen hatte, sondern nur das eine Mal mit Paul, und das gestand sie ihm. Er war furchtbar enttäuscht, und sie war sehr, sehr unglücklich. Von da an zog sich Sunny zurück, er ließ oft tagelang nichts von sich hören, und Ella litt sehr darunter. Ella und Sunny sahen sich längere Zeit nicht, und Ella war nur noch traurig. Sie stand oft am Herd und die Tränen liefen über ihre Wangen, wenn sie an ihn dachte. Seit dem Urlaub in Italien wusste seine Schwester natürlich Bescheid. Sie gab sich viel Mühe, beide auseinander zu bringen. Immer wieder brachte sie eine Arbeitskollegin mit nach Hause und versuchte, Sunny zu verkuppeln, was ihr dann auch gelang.

      Eines Tages traf Ella ihren Bruder, genannt Bubi, und er erzählte ihr, er hätte Sunny mit einer anderen Frau gesehen, und die beiden seien sehr verliebt gewesen. Bald darauf erfuhr Ella von einer Bekannten, dass Sunny heiraten würde. Sie weinte oft, wenn sie allein war, und konnte nicht begreifen, dass er nichts mehr von sich hören ließ und sich so schnell getröstet hatte. Sie war nur noch traurig und enttäuscht, und in ihrer Traurigkeit fing sie an, Gedichte zu schreiben, in denen sie ihre Gefühle zum Ausdruck brachte. Sie ging mit den Kindern viel spazieren, liebte die Natur und hing