Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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waren ganz normale Kinder, obwohl ich mir eigentlich gewünscht hätte, dass wenigstens eines etwas flippig werden würde. Vielleicht mit langen wilden Haaren, etwas aufmüpfig, aber sie waren alle gut erzogen, ja einfach ganz normale Kinder. Es gibt sicher viele Eltern, die über das Leben ihres Kindes verspätet das eigene Leben verwirklichen wollen. Es gab Eltern, die ich an den Elternabenden kennengelernt hatte, deren Kinder unbedingt eine höhere Schule besuchen sollten, weil sie selbst es nie auf eine höhere Schule geschafft hatten. Diese Eltern merkten gar nicht, was sie ihren Kindern, die überhaupt nicht dafür geeignet waren, damit antaten. Ich versuchte durch Beobachten, meine Kinder in ihren Begabungen zu fördern. Pit war handwerklich sehr geschickt, das habe ich akzeptiert. Tobias war für ein Studium sehr geeignet und sein Lehrer machte mich sogar darauf aufmerksam. Anna hätte auch studieren können, aber sie wollte nicht und fühlte sich zur Kunst hingezogen. Musik war mir ja auch sehr wichtig, und so lernte jedes Kind ein Musikinstrument. Anna spielte Ziehharmonika, Pit lernte Melodica und Tobias lernte Gitarre.

       Auch für den Sport versuchte ich sie zu begeistern. Ich übernahm mit Nick beim Sportverein als Übungsleitung einmal wöchentlich einen Gymnastik-Unterricht für Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren. Meine Kinder bezog ich bei diesen Übungen mit ein. Ich versuchte immer zu vermeiden, dass sich meine Kinder auf der Straße herumtrieben. Bis auf das Problem mit Tobias hatte ich nie wirklich große Schwierigkeiten mit ihnen. Natürlich gab es ab und zu eine Schramme am Knie, wenn eines hingefallen ist, aber das gehörte zum Kindsein dazu. Jedes meiner Kinder war anders. Aber jedes von ihnen war für mich etwas Besonderes. Pit machte mir manchmal Sorgen, denn er war immer etwas trotzig. Aus Hilflosigkeit versohlte ich ihm dann einfach den Hintern. Nun, früher war das einfach so und keiner dachte sich etwas dabei. Wenn ich heute über Pits Trotzphasen nachdenke, weiß ich aufgrund der Erfahrungen, die ich nun im Umgang mit Kindern habe, dass er dadurch nur meine Aufmerksamkeit erregen wollte. Er fühlte sich vernachlässigt und ich habe das nicht verstanden. Ich war einfach jung, unerfahren und noch dazu überfordert. Schließlich lagen nur vierzehn Monate zwischen den Geburten meiner beiden ersten Kinder, und mit Problemen stand ich immer alleine da. Anna war gerade in dem Alter, in dem Kinder das Laufen lernen, und so habe ich mich viel zu sehr mit ihr beschäftigt und Pit wohl ein bisschen vernachlässigt. Heute ist er ein einfühlsamer Mann, das weiß ich als Mutter, auch wenn er sich noch so viel Mühe gibt, seine Gefühle zu verstecken. Ich versuche ihm zu helfen, wo ich nur kann, denn irgendwie tut es mir leid, dass ich ihm als Kind zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe, und ich bemühe mich, meine Fehler von damals wieder gut zu machen.

       Anna war ganz anders. Sie hatte so viele Interessen, dass sie keinen Moment stillsitzen konnte. Dauernd machte sie etwas anderes. Ein bisschen lesen, dann wieder etwas häkeln, nach einer kurzen Zeitspanne begann sie zu stricken oder Figuren aus Papier auszuschneiden, sie wusste eigentlich nie so richtig, womit sie sich beschäftigen sollte.

       Tobias war das Plappermaul unter meinen Kindern. Kaum war er am Morgen aus dem Bett, hatte er schon viele Fragen auf der Zunge. Es hieß immer nur: „Warum ist dies?“ und „Warum ist das?“. Manchmal, wenn Pit gerade in der Schule war, wurde es im Kinderzimmer plötzlich ganz still, und wenn er dann nach Hause kam, begann das große Geschrei. Tobias hatte wieder einmal die Spielsachen von Pit, die dieser hegte und pflegte und die er auf seinem Regal zur Ansicht aufgestellt hatte, vollkommen zerlegt. Er musste immer wissen, wie diese im Inneren aussahen und wie sie funktionieren, aber zusammengebaut hat er sie danach nicht wieder, und deshalb gab es dann immer wieder Streit. Größere Sorgen kamen bei allen erst viel später, als sie schon erwachsen waren und sich zum ersten Mal verliebten. Da bewahrheitete sich der Spruch: „Kleine Kinder - kleine Sorgen, große Kinder - große Sorgen.“

       Ehrlich gesagt, hatte ich schon etwas Angst davor, wie es sein würde, wenn die Kinder einmal in die Pubertät kommen. Bis auf die wenigen Kleinigkeiten, die ich mit jedem von ihnen mitgemacht habe, - ja, heute sind es in meinen Augen wirklich nur Kleinigkeiten, über die ich eigentlich schmunzeln muss - ist nichts Besonderes vorgefallen. Als Anna dann erwachsen wurde, war sie anfänglich etwas trotzig. Das bringt wohl die Pubertät so mit sich, dachte ich damals, und erinnerte mich an meine eigene Pubertät. Wenn mein Vater schimpfte, dann streckte ich, natürlich, wenn er nicht hinsah, schon manchmal die Zunge heraus. Deshalb war ich ja auch bei Anna nachsichtig. Mir fällt gerade die Geschichte ein, als ich einmal mit ihr kochen wollte. Ich wollte ganz einfach, dass sie kochen können sollte. Aber sie hatte kein Interesse daran und half deshalb nur ungern in der Küche mit. Als wir gerade eine Suppe zubereiteten, bat ich sie, etwas nachzusalzen. Widerwillig und zornig nahm sie eine halbe Hand voll Salz und warf es in die brodelnde Suppe, die damit total versalzen war.

       Nachdem sie in unserem Haus ein eigenes Zimmer hatte und wir noch viele Schulden abbezahlen mussten, bat ich sie, von ihrem Verdienst einen kleinen Beitrag zum Haushalt zu leisten. Schließlich hatte sie ja sozusagen Vollpension. Wenn sie am Abend von der Lehre nach Hause kam, hatte sie immer ein komplettes Essen mit der Familie. Sie bekam die Wäsche gewaschen und gebügelt auf ihr Zimmer gebracht. Aber sie wollte das nicht verstehen und schrie mich wütend an: „Ich finde es einfach unverschämt, dass du als Mutter an mir Geld verdienen willst!“ Diese Worte werde ich nie vergessen. Es war die Zeit, als die Zeitschrift „Bravo“ auf den Markt kam und alle Jugendlichen ganz verrückt nach diesem Heft waren. Ich wusste, dass auch Anna darin schmökerte. Besonders die Kummer-Seite, die ein „Herr Doktor Sommer“ bearbeitete und wo ihm die Jugendlichen ihre Sorgen anvertrauten, war sehr gefragt und wurde viel gelesen. Also schrieb ich an diesen Herrn Doktor Sommer und erzählte von meinem Problem bezüglich Kostenbeitrag beim gemeinsamen Haushalt mit erwachsenen Kindern. Ich hoffte, das Problem würde dann in einem dieser Heftchen veröffentlicht werden und Anna würde es lesen. Aber es kam anders. Dieser Herr Doktor Sommer schrieb mir höchstpersönlich und gab mir bezüglich des Beisteuerns zum Haushaltsgeld Recht. Ich hielt das Schreiben Anna unter die Nase, und von da an hörte ich keine Beschwerde mehr von ihr und sie gab jeden Monat einen kleinen Obolus zum Haushaltsgeld.

       Bei den Jungen war das anders. Sie mussten nicht in der Küche helfen, aber ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn sie das Bügeln lernten, bevor sie zur Bundeswehr eingezogen wurden. Ich zeigte jedem von ihnen, wie man Hemden und Hosen bügelt, und wenn ich mir heute vorstelle, wie ungeschickt sie sich damals angestellt haben, finde ich das immer noch amüsant. Jeder von ihnen ist später ein tüchtiger Mensch geworden, und jeder hatte dann im späteren Leben sein Päckchen zu tragen. Aber als sie klein waren, setzte ich alles daran, dass sie glücklich aufwuchsen. Sie durften Freunde mit nach Hause bringen und wir feierten zusammen Kindergeburtstage. Sie durften am Wochenende in unserem Paradies toben. Das kleine Grundstück grenzte direkt an einen kleinen Bach am Waldrand. Es gab dort noch mehrere bebaute Parzellen, und somit gab es dort auch mehrere Kinder, die sich in den Gärten, im Wald oder am Bach austoben konnten. Wenn ich so zurückdenke, fällt mir ein Ereignis ein, bei dem mir fast das Herz stehengeblieben wäre. Das war, als die Kinder mit ihren Freunden im Wald tobten und aus Versehen in ein Wespennest getreten sind. Die Wespen waren aufgescheucht, und als die Kinder das bemerkten, rannten sie davon und der Wespenschwarm flog hinter ihnen her. Pit war der letzte in der Reihe der davonlaufenden Kinder und auch derjenige, der von den Wespen erwischt wurde. Die Tiere stachen auf ihn ein. Überall waren diese Wespen - an der Kleidung und sie verfingen sich in seinen Haaren. Er schlug um sich und schrie so fürchterlich, dass Nick und ich angerannt kamen. Voller Entsetzen sahen wir, was da geschehen war. Eilig verfrachteten wir den Jungen sofort in Nicks Wagen und fuhren in einem rasanten Tempo zum Arzt, der Gott sei Dank in unmittelbarer Nähe war. Pit wurde eilends nackt ausgezogen und mit einer schäumenden Flüssigkeit eingerieben. Anschließend wurde er mit dem Notarzt sofort in die nächste Kinderklinik gebracht und musste dort zwei Tage zur Beobachtung bleiben. Es blieben keine Schäden zurück, schließlich hätte er ja daran auch sterben können. Wenn ich an diesen Vorfall denke, wird mir immer noch ganz heiß. Das war das einzige schlimme Erlebnis, das wir in unserem Gartenparadies hatten, aber Kinder vergessen schnell.

       Meine Kinder hatten in der Schule manchmal eine Freistunde oder es fiel ein Lehrer wegen Krankheit aus, so dass mal der eine und mal der andere schon früher zu Hause war und Zeit hatte. Da entstand dann der Wunsch nach einem Hund. Wir fuhren gemeinsam ins Tierheim und hatten auch schon einen ganz lieben Hund ausgesucht. Nur