Helga Bögl

Ella - Braves Mädchen - Wegwerf-Frau


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Trost eine Katze. Die Kinder freuten sich, und nachdem wir ja alle Katzenliebhaber waren, holten wir uns eine ganz junge Katze von einem nahen Bauernhof. Es war eine dreifarbige, die man Glückskatze nannte, und wir gaben ihr den Namen Minka. Bevor wir den kleinen Garten hatten, war unsere Minka immer nur in der Wohnung. Jetzt aber durfte sie mit ins Grüne und das merkte sie sich schnell. Jedes Wochenende bei schönem Wetter, wenn wir mit dem Auto in den Garten fahren wollten, sprang sie ganz freiwillig in das Fahrzeug, sobald wir nur die Fahrzeugtüre geöffnet hatten. Wenn wir dann dort auf dem Parkplatz ankamen, ging sie ganz allein die etwa zweihundert Meter zu unserem Domizil, so sehr freute sie sich. Wenn wir mit unserer Katze an den anderen Gärten vorbeikamen, sahen wir, wie die Leute lachten, weil die Katze wie ein Hund mit uns lief. Auch wenn wir im nahe gelegenen Wald einen Spaziergang machten, ließ sie sich ganz brav an die Leine legen wie ein Hund. So freuten wir uns alle an jedem Wochenende, wenn das Wetter es zuließ, auf unseren kleinen Garten, machten Spiele mit den Kindern, luden Freunde zum Kaffee ein und manchmal feierten wir auch Feste.

       Ich hatte mich entschlossen, meinen dreißigsten Geburtstag mit unserer Familie und mit Freunden dort zu feiern. Wir luden auch den Chef meines Mannes mit seiner Gattin ein, und führten angeregte Gespräche. Im Laufe des Abends erfuhr ich, dass man mit meinem Mann überhaupt nicht zufrieden war. Den Chef störte die Gleichgültigkeit, mit der mein Mann arbeitete, und er erzählte mir auch, dass, wenn wir nicht drei Kinder hätten, er meinen Mann schon längst entlassen hätte. Mein Mann hätte als Meister nicht das notwendige Durchsetzungsvermögen, er sei für die Stelle, die er innehat, überhaupt nicht geeignet. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich dachte immer, mein Mann sei in seiner Firma beliebt und jetzt erfuhr ich, dass er froh sein musste, wenn er seinen Job behielt. Und ich dachte wieder einmal, ob es nicht besser wäre, mich doch scheiden zu lassen, und überhaupt, wie sollte da unsere Zukunft aussehen? Aber wir hatten drei liebe Kinder und das war für mich der Grund, eine Scheidung wieder weit wegzuschieben. Er war also auch im Beruf so desinteressiert, und dass er in der Zwischenzeit ein Alkoholproblem hatte, konnte nicht verleugnet werden. Was würde aus ihm werden, wenn ich ihn verlassen würde? Er kümmerte sich ja um nichts und es interessierte ihn auch nichts. Ich habe in meiner ganzen Ehe nie erlebt, dass er einmal ganz impulsiv eines unserer Kinder auf den Schoß genommen oder gestreichelt hätte. Er hatte in all den Jahren noch nie ein Zeugnis von einem der Kinder angesehen, war noch nie zu einem Elternabend gegangen, oder hat einen Blick in eines der Schulhefte geworfen. Nein, das machte alles ich. Er war ein totaler Egoist und wollte nur von vorne bis hinten bedient werden. Nichts war ihm wichtig außer das Fernsehen und seine vor sich stehende Flasche Bier und sein Schnaps.

       An diesem Abend war ich die letzte, die nach der Feier nach Hause fuhr. Es war schon spät, als alle Gäste gingen, nur Nick wartete, bis ich fertig war mit dem Aufräumen. Er hatte vieles von dem Gespräch mit dem Chef meines Mannes mitbekommen und nahm mich in die Arme und tröstete mich. Da küssten wir uns, sonst nichts. Es war ein so zarter Kuss, fast schüchtern, und als er mich zärtlich streichelte, musste ich mich sehr beherrschen, damit nicht mehr daraus wurde. In diesem Moment ging mir so viel durch den Sinn. „Er ist viel zu jung für dich“, mahnte ich mich selbst, „du wirst wieder enttäuscht werden, wie damals bei Sunny.“ Die Vernunft siegte und er fuhr mich, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, nach Hause. Aber von diesem Moment an war die Welt für mich nicht mehr so, wie sie vorher war. Tagelang dachte ich nur an ihn und bald trafen wir uns heimlich. Ich fuhr zu meiner Mutter und bat sie, die Kinder zu nehmen und erfand immer wieder neue Ausreden, um mich mit ihm zu treffen. Ich dachte nur noch an ihn, und ich genoss mit ihm all das, was ich seit langer Zeit vermisst hatte.

      Ella hörte auf zu schreiben. Sie hatte viele Seiten beschrieben, ihre Finger flogen nur so über die Tasten. Nun tat ihr der Rücken weh. „In Erinnerung schwelgen macht müde“, dachte sie und war zusätzlich unsagbar traurig. Die Gefühle überwältigten sie wieder. „Wenn ich so alleine bin, kann ich einfach nicht abschalten“, sinnierte sie. Dann stützte sie ihre Hände auf das Kinn und sah sich im Zimmer um, und ihre Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. Sie dachte an den langen Weg, den sie und Nick nun schon zusammen gegangen sind, und dann seufzte sie tief und begann, ihre Schreibmaschine abzudecken.

      Jetzt lebte sie hier in dem Apartment, so lange die Scheidung lief, und Nick besuchte sie, so oft er konnte. Sie waren schon lange ein Paar. Sie war ausgezogen aus dem gemeinsamen Haus, das sie mit Paul und Tobias bewohnte, denn sie konnte die Beschimpfungen von Paul, wenn er wieder getrunken hatte, nicht mehr ertragen, und sie hatte nur die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen, wenn sie für ein Jahr auszog. Immer wieder hatte Ella versucht, mit Paul zu sprechen um ihn zu überreden, das Haus zu verkaufen. Jedes Mal erhielt sie die gleiche Antwort: „Niemals werde ich aus diesem Haus ausziehen, es sei denn, die Polizei setzt mich mitsamt meinem Stuhl vor die Türe!“ Was also sollte sie machen? Wenn er wenigstens ein Mann gewesen wäre, der das Haus instand hält, aber er kümmerte sich doch um nichts. Ein Jahr getrennt von Tisch und Bett, so verlangte es das Gesetz. „So ein blödes Gesetz“, keifte sie, ging zu Bett und schlief dann auch gleich ein.

      Der nächste Tag zog sich dahin und wollte einfach nicht enden. Sie konnte es gar nicht erwarten weiterzuschreiben. Das Schreiben erleichterte sie ungemein. Jetzt, wo sie am Abend so viel allein war, konnte sie direkt nach der Arbeit damit beginnen, und mittlerweile ging ihr das Tippen ganz flott von der Hand.

       Nick kommt meistens am Wochenende. Da machen wir es uns erst einmal richtig gemütlich. Wir genießen die Zeit, in der uns niemand stört. Eigentlich ist er überhaupt nicht der Typ Traum-Mann, er ist genau das Gegenteil. Während ich früher immer nur für große Männer geschwärmt habe und sogar ablehnend zu kleinen Männern war, wenn ich zum Tanzen aufgefordert wurde, macht es mir bei Nick überhaupt nichts aus, dass er eigentlich ein paar Zentimeter kleiner ist als ich. Er ist weltgewandt und es gibt keine Situation, in der er sich nicht zu helfen gewusst hätte. Außerdem hat er immer ein paar Sprüche auf den Lippen, ist stets schlagfertig und es kann ihn einfach nichts aus der Ruhe bringen. Es fällt mir immer wieder auf, dass kleine Männer meistens durch ihre große Klappe die Körpergröße wettzumachen versuchen. Wahrscheinlich überspielen sie dadurch ihre Minderwertigkeitskomplexe. Bei Nick trifft das genau zu, aber ich würde ihn niemals darauf ansprechen. Weil er selbst nie darüber spricht, weiß ich, dass das sein wunder Punkt ist. Das merke ich immer wieder, wenn er so beiläufige Bemerkungen macht, wie „für eine Frau muss ein Mann immer mindestens einen Meter achtzig groß sein.“ Bei mir spielt das wirklich keine Rolle mehr, ich falle auf einen Schönling nicht mehr herein. Für mich zählen andere Werte. Bei uns wurde auch nie über das Thema gesprochen, wie es wohl wäre, wenn wir zusammenwohnen würden. Ich habe akzeptiert, dass ihm seine Mutter so viel bedeutet, und wenn ich ehrlich darüber nachdenke, habe ich auch etwas Angst davor, nochmals mit einem Mann eine Wohnung zu teilen. Es stört mich überhaupt nicht, dass seine Mutter bei ihm wohnt, schließlich hat er ja das Haus gebaut, um seiner Mutter einen schönen Lebensabend zu bieten. Sie ist eine ganz liebe Frau, und ich wünsche mir sehr, dass einer meiner Söhne sich auch einmal so liebevoll um mich kümmern wird, wenn ich einmal alt geworden bin. Aber so wie ich es jetzt sehe, wird es bei mir eher umgekehrt sein. Ich als Mutter werde mich dauernd um die Probleme meiner Söhne kümmern müssen.

      Der Traum vom Haus

      Ella hielt beim Schreiben inne und dachte plötzlich an alte Zeiten, wie ehrgeizig sie immer war und wie sie vorwärtskommen wollte. Von diesem Ehrgeiz merkte sie zumindest bei ihren Söhnen nichts. Sie wollte immer wieder Neues schaffen, das trieb sie an. Außerdem war sie fast krankhaft ordentlich, und wenn sie daran dachte, wie nach ihrem Auszug zu Hause alles heruntergewirtschaftet wurde, fühlte sie einen großen Druck auf ihrer Seele. Sie dachte an die Zeit, als sie das Haus gebaut hatten und wie viel Geld, Anstrengungen und Mühe es gekostet hatte, alles zu planen und in die Tat umzusetzen. Die Kinder wurden größer und nachdem alle noch in einem Zimmer zusammen wohnten, dachte Ella immer öfter an ein eigenes Haus. Ein Haus, in welchem jedes Kind ein eigenes Zimmer hätte. Der Gedanke an ein daran nahm immer mehr Raum ein und sie besprach die Idee mit ihrem Bruder. „Einen zuteilungsreifen Bausparvertrag könnte ich dir geben, er wäre sozusagen dein Erbteil. Es ist zwar keine große Summe eingezahlt, aber er ist reif für die Zuteilung und das ist für dich wichtig“,