Herman Old

Der Mann, der den Teufel zweimal traf


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Die Kopfjäger waren immer für eine unangenehme Überraschung gut. Sie waren die Stämme, die gern der anderen Indios Grenzen missachteten und sich dabei nur an ihre eigenen Regeln hielten. Deswegen galt im Regenwald ein eisernes Gesetz: „Wenn du einen Fremden siehst, und du ihn nicht eingeladen hast, töte ihn“.

       Die Jagdreise

      Am Rande des Stammesreviers der Umes war ein Trupp von fünf Jägern auf einem mehrtägigen Jagd- und Erkundungsausflug der Grenzen. Gegen Mittag des dritten Tages kamen sie aus einem Wald heraus an eine Schlucht, die noch einige Meter entfernt vierzig Meter steil bis zu einem Flussteil des Rio Branco abfiel. Plötzlich bemerkten sie Bewegungen vor sich, und hörten gleichzeitig menschliche Stimmen und wurden eins mit dem Wald. Sie luden jeder einen Pfeil auf ihre Bögen und warteten in sicherer Entfernung die weitere Entwicklung ab. Sie wollten keinem Fremden unnötig begegnen, wenn es sich vermeiden ließ. Über die Stimmen zählten sie drei Männer. Und diese drei Fremden, die nur wenige Meter vor ihnen waren, waren Indianer eines anderen Volkes. Gerade wollten sich die Jäger unauffällig zurückziehen, als sie einen Schrei hörten. Sie schauten vorsichtig aus ihren Verstecken und sahen, dass einer der Männer fehlte. Er musste abgestürzt sein, da die anderen beiden sich wie verrückt am Hang nach unten blickend gebärdeten. Sie blieben ruhig in ihrem Versteck sitzen und schauten zu, was dort weiter passierte. Sie hörten den verunglückten schreien, also hing er irgendwo und war nicht komplett abgestürzt. Seine beiden Kameraden hüpften wild herum, und wussten nicht was sie tun sollten. Die Jäger berieten sich ganz kurz und erhoben sich aus ihrem Versteck. Sie gingen mit gespannten Bögen, jederzeit schussbereit, auf die Fremden zu. Als die Fremden gewahr wurden, dass sie gerade von fünf bewaffneten Männern umzingelt worden waren, erschraken sie zutiefst und standen augenblicklich mucksmäuschenstill. Einer der Jäger nahm, als er erkannte, dass sie die Lage im Griff hatten, den Bogen herunter, und rannte an den beiden Fremden vorbei zum Rande des Abhanges. Er beugte sich soweit er konnte darüber und schaute nach unten. Er sah den abgestürzten Indio ungefähr sechs Meter tiefer an einen vorstehenden Stein hängen. Dieser stand mit einem Bein auf einer schmalen Felsnase, mehr Platz war da nicht, und das andere Bein hing in der Luft. Lange konnte er sich dort mit Sicherheit nicht mehr halten. Der Jäger rief etwas zu seinen Stammesbrüdern, und zwei weitere ließen die Bögen ins Gras gleiten und kamen an den Rand gelaufen. Sie hatten jeder zwei dünne Seile über der Schulter, und nahmen sie zur Hand. Der Anführer der Jäger band sich ein Seil um den Bauch und auf Kommando ließen ihn die anderen beiden vorsichtig nach unten gleiten. Er fluchte, als er sich einen Knöchel an einem Felsen stieß. Die letzten beiden Jäger bewachten derweil die beiden anderen Fremden. Der abgestürzte Indio, ein Junge noch, staunte nicht schlecht, als auf einmal ein fremder Mann an einem Seil hängend über ihm auftauchte. Er bekam es mit der Angst zu tun und schrie noch lauter. Der Fremde der sich zu ihm abseilte, kam neben ihm an und rief etwas nach oben. Die beiden Jäger hörten auf, ihn weiter runter zu lassen. Dann redete er ruhig auf den Unbekannten ein, bis dieser spürte das hier scheinbar unerwartete Hilfe nahte und nicht das Ende. Der Jäger berührte den jungen Mann, der am Stein hing, und zeigte ihm, was er vorhatte. Er wollte ihn mit einem Stück Seil an sich festbinden. Der Junge verstand nicht so recht was der andere meinte, und schrie lieber wieder. Der Fremde schlug ihm daraufhin mit der flachen Hand auf den Kopf und zischte ihn an. Da ergab sich der Junge in sein Schicksal. Er hielt ganz still, als der Fremde ihn an sich festband. Sie waren nun Gesicht an Gesicht, und der Fremde rief etwas nach oben. Die beiden Jäger oberhalb des Randes hatten schon ein großes Büschel grünen, saftigen Farnes ausgerissen und unter das Seil gelegt, damit es nicht durch die Reibung zerriss, und zogen nun langsam das doppelte Gewicht nach oben. Der Jäger lächelte den jungen Mann an während sie nach oben glitten und dieser lächelte verkrampft zurück. Noch bevor beide den Rand erreichten, kamen die Kameraden des Abgestürzten hinzu und halfen anschließend, beide sicher zu bergen. Sie lösten die Knoten des Jägers und trugen den stöhnenden Verletzten auf eine Moosbank, da sie sahen, dass er keinen Meter gehen konnte. Sein rechtes Bein war unterhalb des Knies, am Schienbein gebrochen. Man konnte deutlich eine dunkle Verfärbung und Beule unter der Haut sehen. Die Spitzen der Giftpfeile der Jäger verfolgten immer noch jede Bewegung der Fremden. Einer der Fremden bedeutete den Jägern, dass er in den Wald laufen wolle, um Medizin zu suchen. Die Jäger verstanden, was er meinte, und schüttelten aber den Kopf. Stattdessen nahm der Anführer der Umes aus seinem Gepäck ein paar Blätter und deutete an, dass er sie dem Jungen geben wollte. Er schob sie dem Jungen in den Mund. Dieser fing an, darauf herumzukauen, wurde ruhiger und ruhiger, und schlief nach vielleicht zwei Minuten tatsächlich tief ein. Einer der Umes zog aus einem Futteral ein Steinmesser, und ging zu einem Busch mit jungen, daumendicken Trieben, um ein paar davon zu abschlagen. Er schlug einige Male, bevor er einen Trieb vom Stamm gelöst hatte, als einer der Fremden aufstand, und an seine linke Seite griff. Sofort folgten ihm die Bögen der Bewacher, und er zeigte seine leere Handfläche. Dann zog er ganz langsam etwas aus einem Futteral was dunkelbraun aussah, lang und flach war. Er ging vorsichtig auf den Jäger zu, der die Triebe holen wollte, und reichte ihm das unbekannte, große Ding mit dem Griff voraus. Der Jäger griff zögernd zu, und hatte als erster seines Volkes ein richtiges Buschmesser aus Metall in der Hand. Er rief erstaunt etwas zu seinen Leuten und fuchtelte damit herum. Der Fremde machte nun ein paar hauende Bewegungen zum Busch und der Jäger verstand was er meinte. Er schlug mit der Klinge zu. Ein Schlag genügte, und ein Trieb fiel zu Boden. Der Jäger schrie vor Freude auf, und innerhalb von wenigen Sekunden hatte er kurz darauf genügend Triebe für die Behandlung des Beines abgeschlagen. Seine Stammesbrüder staunten nur, wie schnell es sich mit diesem Werkzeug arbeiten ließ. Er kürzte sie mit der scharfen Klinge noch vorsichtig auf die richtige Länge und gab dem Fremden dankbar, ganz ehrfurchtsvoll und langsam die Klinge wieder zurück. Der ließ sie wieder in sein Futteral gleiten und setzte sich hin. Dann begab der Jäger sich zu einem kleinen Rinnsal neben dem Moos und wusch sich die Hände. Danach begutachtete er sie beide lange und ausgiebig von allen Seiten. Nachdem er mit ihrem Zustand zufrieden war, ging er zu dem verletzten Jungen und griff nach einem Lederbeutel auf seinem Rücken. Er entnahm ihm einen kleineren Beutel, der mit einer Schnur verschlossen war. Er öffnete den Beutel und langte hinein. Seine Hand kam hervor und etwas schimmerte darin. Als er sie aufmachte, funkelten kleine bläulich-goldgelbe Kugeln von ungefähr einem Zentimeter Durchmesser darin. Die beiden Fremden hatten solche Kugeln noch nie gesehen. Der Jäger legte die freie Hand über die Kugeln und fing an sie zwischen den Händen zu reiben. Nach einer Weile wurden die Kugeln warm und weich und ließen sich kneten. Er formte einen hauchdünnen Pfannkuchenartigen Teig daraus, und legte ihn auf die geschlossene Wunde des Jungen. Dann drückte er den Teig an das Bein und wickelte ihn mit ein paar Farnblättern, die neben dem Moos wuchsen und sich abrupfen ließen, ein. Danach legte er die abgeschnittenen Triebe auf beiden Seiten neben das Bein und fing an sie mit einer Lederschnur, die er auch aus seinem großen Beutel gezaubert hatte, einzubinden. Bevor er fertig war, fühlte er nach dem Bruch, und richtete das Bein ein. Der Junge schlief zum Glück, ansonsten hätte er spätestens jetzt fürchterlich geschrien. Endlich war das Bein versorgt und verbunden. Einer der Bewacher fragte etwas in Richtung des Anführers, dieser grunzte kurz etwas anderes und die Bögen sanken ohne Pfeil auf der Sehne runter. Die Jäger gingen im Moment von keiner Gefahr durch die Fremden aus. Die Fremden wirkten auch ziemlich erleichtert über die Entspannung der Lage. Einer der Jäger deutete in den Wald, drehte sich um und lief los. Er kam eine Stunde später wieder mit zwei Affen und einem Papagei als Beute. In der Zwischenzeit hatte alle anderen Männer schon ein Lager hergerichtet, in dem die Männer unterkamen. Schnell wurden die Tiere zubereitet, und eine weitere Stunde später saßen alle gemeinsam um ein Feuer und ließen sich die geschmorten Köstlichkeiten aus dem Regenwald schmecken. Der Junge schlief immer noch. Einer der Kameraden des Verunglückten machte aus einigen Teilen des Papageien einen würzigen Brei in einer Kokosnussschale, der mit dem Fett der Affen und etwas Kokosmilch vermengt, schon fast so dünn wie eine Suppe wurde. Er legte die Schale beiseite, als Speise für den Jungen, falls er erwachte. Die Männer saßen um das Feuer und schauten sich an. Hier trafen zwei unterschiedliche Stämme friedlich aufeinander. Solch eine kuriose Szene hatte noch niemand von ihnen erlebt und keiner wusste so recht wie er sich verhalten sollte. Jeder gab Acht, das er nicht kriegerisch beim gegenüber ankam. Alle Bewegungen waren langsam und überlegt. Sie bemerkten schon, dass das Gegenüber keine Kopfjäger waren, aber die Vorsicht ließ deswegen trotzdem nicht nach. Die drei Fremden mussten von weit her kommen.