Martin Danders

Der mit dem Wolf heult


Скачать книгу

Erachtens muss es eine sehr große Ortschaft sein, denn wir passieren ewig lange hohe, alte Häuser. In einer kleinen Nebenstraße an einem kleinen Berg parkt Rudi unser Auto, den er als VW-Bus (Was auch immer das ist?) bezeichnet.

      „Wir müssen uns noch für unseren Welpen einen Namen einfallen lassen“, stellt Rudi fest. Franzi antwortet: „Mir gefällt der Name ´Tisza´ sehr gut, weil sie an dem ungarischen Fluss ´Tisza´ geboren wurde.“ „Ich finde den Namen auch gut“, antwortet er und streichelt mir sanft über den Kopf. „Endlich sind wir in Berlin angekommen. Die Fahrt hat ja wirklich ewig gedauert“, meint sie. „Ich bin auch froh, dass wir diese weite Strecke von Südungarn bis nach Berlin ohne Zwischenfall geschafft haben“, entgegnet er.

      Meinen neuen Namen finde ich ganz in Ordnung. Vielleicht ist es ein bisschen seltsam, so wie ein Fluss zu heißen, aber egal, wenn meine Halter es gut finden, soll es so sein. Ich kann ihnen sowieso keinen Alternativvorschlag unterbreiten, deswegen bleibt mir keine andere Wahl, meinen neuen Namen zu akzeptieren. Eigentlich hätte ich Lisa, Susi oder Senta besser gefunden.

      Nachdem wir aus dem Auto gestiegen sind, trägt ausschließlich der arme Rudi das schwere Gepäck. Franzi denkt nicht daran ihm zu helfen, stattdessen setzt sie mich angeleint auf den harten Boden. Hier gibt es ausschließlich rustikale Steinplatten und Pflastersteine. Nur an den Bäumen befinden sich nicht versiegelte Bodenflächen ohne Vegetation, die aber reichlich mit Hundekot und Urin verschmutzt sind. Neugierig schnuppere ich an den vielen unterschiedlichen Hundemarken, obwohl es bestialisch stinkt. Scheinbar Leben hier eine Vielzahl von anderen Hunden, die aber gerade nicht zu sehen sind. Ist vielleicht auch besser so! Wer weiß, ob die mir gegenüber überhaupt freundlich gesonnen wären. Da ich noch ein Welpe bin, werde ich jeden Konflikt mit meinen Artgenossen vermeiden, denn Welpenschutz gibt es nur im eigenen Rudel, ansonsten nicht. Wegen der Aufregung drückt mein Bauch, deswegen hocke ich mich neben den Baum und erleichtere mich. Jetzt habe ich auch eine Marke am Baum hinterlassen. Franzi läuft mit mir noch ein Stück auf dem Bürgersteig, hebt mich dann aber plötzlich hoch und steckt mich wieder in ihre Bluse. Anschließend betreten meine neuen Bezugspersonen ein riesiges, altes Haus und laufen mehrere Treppen hinauf. Natürlich muss Rudi das Gepäck alleine tragen, während Franzi nur mich trägt.

      Beim Erklimmen der Treppen schnauft Rudi wegen seiner schweren Last, dagegen folgt ihm Franzi leichtfüßig. Als wir das oberste Stockwerk erreicht haben, schließt Rudi mit einem Schlüssel eine weiße Tür auf und öffnet sie. Sie betreten die Wohnung und schließen die Eingangspforte. Scheinbar soll das mein neues Zuhause sein. Leider gibt es keinen Garten, wo ich überall pinkeln, kacken und spielen könnte. Franzi setzt mich auf den Boden, sodass ich sofort mit der Erkundung des unbekannten Terrains beginnen kann. Es ist eine helle Dachwohnung mit schrägen Decken und Dachfenstern. Hier gibt es Parkettboden sowie flauschige Teppiche. In mehreren Zimmern befinden sich schicke Möbel und alles ist sehr sauber. Scheinbar haben Rudi und Franzi vor ihrer Abreise nach Ungarn alles gründlich geputzt. Auf meiner Erkundungstour entdecke ich ein gefliestes Badezimmer mit Wanne, Duschkabine, Waschbecken und einem Menschenklo, das ich wegen des stehenden Wassers äußerst interessant finde und erstmal ausgiebig beschnüffele. Die offene Küche wird durch einen Tresen vom Wohnzimmer getrennt. Auch hier besteht der Boden aus dunklen Fliesen, die ich etwas hart finde. Meines Erachtens kann man hier schnell ausrutschen, wenn man es eilig hat. Eigentlich bevorzuge ich eher flauschige Teppiche, weil ich dort wesentlich besser schlafen kann, als auf solch einem harten Untergrund. Franzi füllt einen Edelstahlnapf mit Wasser und stellt ihn für mich auf den Küchenboden. Wenig später bekomme ich mein Welpenfutter in einem anderen Napf. Mittlerweile habe ich mich schon an den Welpenbrei gewöhnt. Eigentlich schmeckt er gar nicht so schlecht, wie ich es am Anfang gedacht habe. Rasend schnell verschlinge ich das Futter und lecke anschließend gründlich den Napf aus, wie es unsere Kuvasz-Mutter auch immer getan hat. Ein Kuvasz isst immer sehr schnell und lässt nichts übrig. Sein Motto ist, wer weiß, wann es das nächste Fressen gibt, beziehungsweise, ob es überhaupt noch etwas gibt. Die Wölfe, mit denen wir Kuvasz-Hunde seit über 3000 Jahren unsere Kämpfe zur Verteidigung von Schafsherden austragen, verhalten sich beim Fressen genauso wie wir. Die Auseinandersetzungen mit ihnen haben uns zu extrem wachsamen und verteidigungsbereiten Herdenschutzhunden gemacht.

      Nach der Mahlzeit bin ich müde und lege mich in einen Welpenkorb, den Franzi zuvor im Schlafzimmer hergerichtet hat. Danach setzen sie sich beide neben mein Körbchen auf den Boden, streicheln mich vorsichtig und starren mich fasziniert an. Scheinbar finden sie mich hochinteressant. Sehr seltsam, wie Menschen sich verhalten!

      „Ist Tisza nicht süß!?“ sagt Franzi. Rudi antwortet: „Ja, mit ihrem weißen Welpenfell sieht sie aus wie ein kleiner Eisbär.“ „Ich könnte sie die ganze Zeit knutschen“, meint sie entzückt. „Lass Tisza jetzt erstmal schlafen, denn wir haben eine anstrengende Fahrt hinter uns. Außerdem muss sie sich zunächst mal an uns und die neue Umgebung gewöhnen“, meint er. „Ja, du hast Recht“, stimmt sie schweren Herzens zu.

      Wahrscheinlich hat Franzi mir gegenüber bereits Muttergefühle entwickelt, da sie scheinbar kein eigenes Kind hat. Offensichtlich habe ich mit meinen Ersatzeltern doch großes Glück gehabt, denn sie sind wirklich sehr nett zu mir. Häufig schaut mich Rudi lange prüfend an, als ob ich ein Weltwunder bin, das es zu erforschen gilt. Vermutlich sucht er eher einen Kumpel für spätere gemeinsame Spaziergänge, aber keinen Kinderersatz. Eigentlich ist es mir lieber, kein Kinderersatz zu sein. Stattdessen will ich ein richtiger Hund sein, der auch mal wild ist und seinen eigenen Willen hat. Wegen der vielen Eindrücke schlafe ich schnell ein und träume von meinem neuen Zuhause.

      Als ich wieder wach werde, stehe ich auf, gähne ausgiebig und strecke meinen Körper, um meine Gliedmaßen und Wirbelsäule zu dehnen. Dann laufe ich zu den beiden Menschen, die gerade auf einer Couch vor einem Gerät mit einem flackernden Bild sitzen. Aus der Kiste ertönen Geräusche von Menschen und manchmal auch von wilden Tieren, die mich doch ziemlich erschrecken, weil ich gleich einen Angriff auf unser gemütliches Wohnzimmer befürchte, den ich als lächerlicher Welpe wohl kaum abwehren könnte. Nach meiner Auffassung muss ich diese etwas seltsame Welt der Menschen nicht gleich vollständig verstehen. Franzi zieht mich hoch und setzt mich auf ihren Bauch. Danach schauen wir gemeinsam im Fernseher einen Liebesfilm an, den ich furchtbar langweilig finde. Die Dialoge der Menschen verstehe ich nicht. Warum müssen sie alles so kompliziert machen, wo das Leben doch eigentlich viel einfacher ist. Bei meinen Artgenossen wird Liebe gemacht, wenn die Hündin ihre Stehtage hat. An anderen Tagen beißt sie einfach die an ihr interessierten Rüden weg und setzt sich auf ihren Hintern, damit nichts mehr möglich ist. Wenn ein Rüde an den Stehtagen bei einer Hündin eindringen durfte, verdrückt er sich danach schleunigst, ohne an Alimente oder sonstige Verpflichtungen zu denken. So einfach ist das bei uns Hunden!

      Der Fernsehabend mit Franzi und Rudi gefällt mir, nicht nur weil es gemütlich ist, sondern weil ich über dieses Medium vieles über die Menschen lernen kann. Nach dem Liebesfilm folgt eine Nachrichtensendung, die für mich allerdings noch viel rätselhafter ist, weil ich die Zusammenhänge überhaupt nicht verstehe. Danach schaltet Rudi auf eine Tiersendung um, die ich ausgesprochen spannend finde, weil ich die verschiedenen Sprachen der Tiere ebenfalls verstehe. Es werden Elefanten, Löwen, Antilopen, Giraffen und Geparden in Afrika gezeigt, die mit ihren täglichen Problemen wie Nahrungssuche, Fortpflanzung und Erziehung von Jungtieren beschäftigt sind. Mein Gott bin ich froh, dass ich mein Futter bequem von meiner Gastfamilie bekomme und nicht, wie diese „armen Schweine“ in Afrika, täglich darum kämpfen muss. Wenn die Löwen im Fernseher aggressiv brüllen, beginne ich aufgeregt zu bellen, auch wenn ich diese Bestien sicherlich nicht durch mein lächerliches Welpengebell beeindrucken kann.

      Nachdem ich mich wieder beruhigt habe und mit einem abschließenden Brummen den anderen Tieren im Fernsehen meine Gefährlichkeit gezeigt habe, kann ich leider nicht mehr meinen Urin halten und pinkele Franzi mitten auf den Bauch.

      „Tisza, du hast mich angepinkelt!“ schreit sie mich entsetzt an. Rudi meint: „Als Welpe ist sie eben noch nicht stubenrein! Das ist doch nicht so schlimm!“ „Ich gehe sofort mit ihr runter, damit sie ihr Geschäft machen kann“, entgegnet sie. „O.K.! Tu das“, antwortet er.

      Eilig läuft Franzi mit mir die Treppe hinunter und drückt mich dabei fest