Martin Danders

Der mit dem Wolf heult


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auf meinen Welpenstatus geht mir jetzt schon auf die Nerven. Als wir unten auf dem Bürgersteig angelangt sind, setzt mich Franzi mit Halsband und Welpenleine auf die harten Pflastersteine. Wie schön wäre es doch, die Welt ohne diese dämliche Leine zu erkunden! Am ersten Baum erleichtere ich mich und beiße anschließend Franzi vor Freude erst in ihren Socken und danach in ihren Lederschuh.

      „Nein, nein, nein, du böse Tisza! Das sollst du nicht, weil es mir wehtut!“ schreit sie mich laut an und verhindert weitere Beißattacken, indem sie Abstand von mir hält.

      Ihr Schreien belustigt mich. Vermutlich sind meine Welpenzähne doch reichlich scharf, deswegen scheint sie tatsächlich große Schmerzen zu haben. Aufgrund meines Erfolges beiße ich gerade nochmal in ihren Socken. Mit einem strengen Blick nimmt sie mich hoch und schüttelt mich unsanft, damit ich mit dem Blödsinn aufhöre. Aber sie kann mich damit nicht beeindrucken, weil ich von robuster Natur bin. Unsere Kuvasz-Mutter war viel strenger mit mir und meinen Geschwistern, sogar sie haben wir nicht gerade ernst genommen, obwohl sie wirklich eine imposante Erscheinung war. Wie es wohl meinen Geschwistern und meiner Mutti geht?

      Nachdem ich mich wieder auf dem Bürgersteig befinde, laufen wir ein kleines Stück weiter. Wenn ein Baum auftaucht, lässt sie mich ausgiebig schnuppern. Plötzlich sehe ich eine große, gepflegte Hundedame auf der anderen Straßenseite. Sofort springe ich in die Leine, weil ich zu der Hündin laufen will, aber Franzi zieht mich energisch zurück und nimmt mich wieder an ihre Brust. Schade! Wie schön wäre es doch, wenn ich mich mal mit der anderen Hündin unterhalten dürfte. Aber Franzi ist offenbar dagegen, vermutlich weil sie der fremden Hündin nicht über den Weg traut und mich als ihr Ersatzbaby beschützen will. Ihr Babygetue geht mir jetzt schon furchtbar auf die Nerven. Dumme Kuh! Ich bin einfach nur neugierig auf die Welt und brauche etwas Abenteuer. Warum werde ich permanent zurückgehalten und warum schafft sich Franzi nicht ein eigenes Menschen-Baby an? Als die andere Hundedame nicht mehr zu sehen ist, setzt mich Franzi wieder auf den gepflasterten Bürgersteig. Wie langweilig!

      Wenig später sind wir zurück in der Wohnung. Erfreut begrüße ich Rudi, beiße ihm aber nicht in den Fuß, sondern wackele mit meinem Schwanz. Während Franzi meinen Welpenkorb ins Schlafzimmer bringt, tobe ich aufgekratzt durch die Wohnung. Dabei rutsche ich übers Parkett und knalle mit dem Kopf gegen eine Tür. Rudi untersucht mich kurz und wundert sich über mein lebhaftes Temperament. Jetzt wirft er einen Tennisball durch die Luft, dem ich schnell hinterherlaufe, obwohl ich eigentlich kein Freund von solchen Albernheiten bin. Aber egal, Hauptsache, ich kann noch etwas überschüssige Energie abbauen, bevor ich meine Ruhephase bekomme.

      Unsere Spieleinlage endet, weil Rudi sich auf die Couch setzt. Scheinbar hat er keine Lust mehr, deswegen lege ich mich müde im Schlafzimmer in mein Körbchen und schließe meine Augen. Nachdem meine Ersatzeltern im Bad waren, streicheln sie mich erneut und gehen danach gemeinsam ins Bett. Wenig später höre ich seltsame Geräusche, die von den beiden Menschen stammen und mich etwas beunruhigen. Zunächst raschelt es unter der Bettdecke, dann stöhnt Franzi und später beide gleichzeitig. Was geht da vor? Als es wieder ruhig ist, erscheint der Kopf von Franzi über meinem Welpenkorb. Sie streichelt mir kurz über den Kopf, um mich zu beruhigen. Wie sonderbar manchmal das menschliche Verhalten ist! Schnell schlafe ich ein.

      4. Kapitel

      Mittlerweile ist eine Woche vergangen, in der ich vieles über mein neues Zuhause und meinen neuen Kiez gelernt habe. Außerdem habe ich meine Bezugspersonen besser kennengelernt, die sich weiterhin mit mir große Mühe geben. Leider bin ich immer noch nicht stubenrein, sodass einer von den Beiden alle zwei Stunden mit mir vor die Tür gehen muss. Franzi ist wegen meiner Inkontinenz etwas genervt, weil es für sie furchtbar ist, permanent meine Flecken entfernen zu müssen, denn sie hat einen Sauberkeitstick. In der ganzen Dachwohnung ist keine einzige Staubfluse zu finden. Auch Bad und Küche blitzen wie neu, weil Franzi ständig am Putzen ist. Eigentlich passt ein Hund nicht in solch ein sauberes Ambiente, da er immer etwas Dreck von draußen mit hereinbringt. Rudi hat zum Glück keinen Putzfimmel. Meines Erachtens würde er sich auch in einer weniger sauberen Wohnung wohlfühlen. Wahrscheinlich putzt er erst das Klosett, wenn es anfängt zu stinken. Mir gefällt seine Einstellung zur Reinlichkeit wesentlich besser, als Franzis.

      Für Franzi bin ich eindeutig ein Ersatzbaby, das sie beschützt wie ihr eigenes Kind. Gleichzeitig ist sie häufig furchtbar streng mit mir und bestraft mich prompt, wenn ich irgendetwas falsch gemacht habe, indem sie mich am Halsnacken greift und kräftig durchschüttelt. Gleichzeitig sagt sie dann immer: „Nein, nein, nein!“ Manchmal will sie mich auch bestrafen, indem sie mich ignoriert. Aber dieses Verhalten ist mir völlig egal, weil ich dann zu Rudi laufe, der sich immer freut, wenn ich zu ihm komme. In der Regel ist er nicht streng mit mir, stattdessen ist er der ideale Partner, um zu toben.

      Manchmal haben meine Bezugspersonen auch Streit miteinander, der meistens äußerst heftig abläuft. Franzi benimmt sich dann wie eine verrückte Kampfhenne, die sich in Rage auf Rudi stürzt, um mit ihm zu kämpfen. Franzis heftige Ausbrüche verstehe ich nicht, weil Hunde innerhalb eines Rudels so etwas niemals machen würden. Dort gibt es ausschließlich Rangordnungsauseinandersetzungen, aber keine ernst gemeinten Angriffe. Bei solchen Tätlichkeiten gewinnt meistens Rudi, weil er körperlich der Stärkere ist. Der Kampf endet meistens, dass Rudi auf Franzis Brust sitzt, während sie auf dem Rücken liegt und hyperventiliert. Nach einigen Minuten erhebt sich danach Rudi vorsichtig, um den Streit zu beenden. Allerdings greift sie ihn häufig danach wie eine verrückte Henne erneut an. Diese Anwandlungen von Franzi verstehe ich überhaupt nicht. Die Auslöser sind meistens harmlose Diskussionen, die in Sticheleien übergehen und im Gebrüll mit tätlichen Auseinandersetzungen enden. Wenn sie sich dann wieder unter Kontrolle hat, schmollt sie viele Tage mit ihm, indem sie kein Wort mehr spricht. Die Menschen sind schon ziemlich seltsam. Für einen Hund sind diese komischen Verhaltensweisen kaum zu verstehen. Wenn Franzi und Rudi solche heftigen Konflikte haben, verziehe ich mich in die letzte Ecke der Wohnung, weil ich nicht auch noch mit Franzi kämpfen will. Nach meiner Auffassung leidet Rudi unter diesen Konflikten enorm. Leider ist er nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Armer Rudi, da hast du wirklich ein schwieriges Weib an deiner Seite. Vielleicht wäre es für Rudi besser, wenn er sich ein neues Weibchen suchen würde.

      Nach dem gemeinsamen Frühstück laufen wir die Treppen hinunter. Natürlich haben sie mir mein Halsband angelegt, damit mich Franzi führen kann. Als wir auf dem Bürgersteig angekommen sind, laufen wir zielstrebig zum Auto, das nicht weit entfernt geparkt ist. Endlich kann ich pinkeln, was auch schon dringend notwendig war, denn beinah hätte ich ins Treppenhaus gepinkelt. Rudi schließt den VW-Bus auf und öffnet die Schiebetür, damit Franzi und ich einsteigen können.

      „Schön, dass wir mal wieder nach Wusterwitz ins Grüne fahren“, meint Franzi erfreut. Rudi antwortet: „Ja, es ist furchtbar, wenn man immer nur in der Stadt ist.“ „Außerdem kann sich Tisza dort prima im Garten austoben“, meint sie. „Ich muss mich heute unbedingt um den Garten kümmern, der ist mittlerweile bestimmt schon völlig zugewachsen“, kündigt er an. „Leider kümmern sich unsere Mieter, Peter und Anna, nur um den vorderen Teil des Bauerhofes, sodass wir den hinteren, nichtvermieteten Garten selbst in Schuss halten müssen“, stellt sie fest. „Ich habe eine Sense dabei, damit wird alles schnell wieder in Ordnung sein“, sagt er. „Wollen wir heute im Bus übernachten?“ fragt sie. „Na, logisch“, antwortet er.

      Leider darf ich den riesigen Bus nicht erkunden, weil mich Franzi als Beifahrerin während der Fahrt auf ihren Schoss gesetzt hat und mich erbarmungslos festhält. Somit habe ich keine Chance ihr zu entweichen. Gott sei Dank bin ich groß genug, um wenigstens aus dem rechten Seitenfenster schauen zu können, denn ich bin sehr daran interessiert mein neues Umland kennenzulernen.

      Zunächst fahren wir durch die nicht enden wollende riesige Stadt mit den unzähligen, großen Häusern und den vielen Straßenbäumen. Am Stadtrand werden die Häuser etwas kleiner. Waldgebiete tauchen vermehrt auf. Als wir uns auf der Autobahn befinden, rast die Landschaft an mir vorbei, weil Rudi sehr schnell fährt. Jetzt kann ich kaum noch Einzelheiten erkennen und mir wird ein wenig schwindelig. Aus diesem Grund lege ich mich auf Franzis Schoss und rolle mich zusammen. Ein kleines Schläfchen