Martin Danders

Der mit dem Wolf heult


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      Nachdem wir ewig lange in der Sonne gelegen haben, ziehen Rudi und Franzi ihre normale Kleidung an. Sie verstauen die Decke in ihrem Rucksack und laufen weiter die Strandpromenade entlang. Darüber bin ich sehr erfreut, weil ich grelle Sonne sowieso nicht leiden kann und einen Schattenplatz immer bevorzuge. Bald erreichen wir ein nettes Gartenlokal mit vielen Tischen, das direkt am See liegt und einen schönen Ausblick bietet. Ein wilder, angeleinter Hund kläfft mich böse an, als wir an seinem Platz vorbeigehen. So ein aufgeblasener Wichtigtuer! Meine Halter setzen sich an einen Tisch. Natürlich lande ich mal wieder auf Franzis Schoss. Von dort aus beobachte ich die ganze Zeit den feindlichen Hund, aber er kann glücklicherweise wegen seiner Leine nicht kommen.

      Durch das Gartenlokal flitzt die ganze Zeit ein Mann mit einem Tablett in der Hand. So etwas kann einen Hund ganz schön nervös machen. Auch an unseren Tisch kommt er, verschwindet so schnell wie er gekommen ist und bringt wenig später für uns die Getränke. Zwischendurch stoppt der Mann an anderen Tischen. Wenig später bringt er uns zwei randvoll mit Nahrung gefüllte Teller. Jetzt essen meine Menschen, dabei gehe ich natürlich leer aus. Franzi setzt mich angeleint auf den Boden, damit ich nicht so dicht an ihrem Futter bin. Wahrscheinlich befürchtet sie, dass ich ihr etwas vom Teller stibitze. Ehrlich gesagt, hätte ich das auch gemacht, weil der Geruch einfach zu verführerisch ist. Wegen meines schrecklichen Hungers beneide ich sie, dass sie fressen dürfen.

      Als sich die Beiden die fetten Bäuche halten und sich befriedigt in die Stühle zurücklehnen, bin ich maßlos empört, immer noch nichts bekommen zu haben. Glücklicherweise werfen sie mir jetzt tatsächlich ein paar Reste auf den Boden, auf die ich mich sofort stürze. Ihr edles Menschenfutter schmeckt natürlich viel besser als der langweilige Welpenfrass!

      Nachdem Rudi die Rechnung bezahlt hat, verlassen wir das Gartenlokal. Der fremde Hund ist immer noch da und verabschiedet sich von mir mit bösem Gekläffe. Ich erwidere sein Bellen, aber mein bescheidenes Welpenorgan beeindruckt leider niemanden. Wir laufen zurück durch den Ort zum Bauernhof. Unterwegs rieche ich angeleint an jeder Marke, deswegen muss jedesmal das ganze Rudel auf mich warten.

      Am Bus angekommen, kocht Rudi einen Milchkaffee auf dem Gasbrenner. Franzi holt Kuchen aus der Kühlbox des Wagens und deckt den Tisch. Wenig später sitzen sie auf ihren Campingstühlen und essen die leckeren, süßen Stücke. Ich bin froh wieder im Garten zu sein, denn hier ist es wesentlich entspannter für mich, weil es keine feindlichen Hunde gibt. Das von Rudi gemähte Gras riecht toll. Meines Erachtens wäre es viel besser, auf diesem schönen, liebenswerten Bauernhof zu leben, als in dieser dummen Dachwohnung in der hektischen Großstadt.

      Am Abend verabschieden sich Rudi und Franzi von ihren Mietern und packen alle Camping-Utensilien einschließlich meiner Wenigkeit in den Bus. Als sie auf den Vordersitzen sitzen, startet Rudi den Motor. Peter öffnet für uns das hintere Grundstückstor und schließt es wieder, nachdem wir vorsichtig hinaus auf den Feldweg gefahren sind. Er winkt uns zum Abschied zu und geht danach zurück zum Gehöft. Ein kurzes Stück wackelt unser Wagen auf dem löchrigen Feldweg, aber dann wird die Straße besser. Brav sitze ich auf dem Schoss von Franzi und schaue aus dem Beifahrerfenster hinaus. Das Autofahren liebe ich sehr, aber nur bei langsamer Fahrt, denn dann kann ich etwas erkennen. Fahren wir schneller, ermüdet es mich schnell, sodass ich mich dann lieber schlafen lege.

      Als wir in unserem Kiez angekommen sind, ist es bereits dunkle Nacht. Franzi läuft mit mir noch eine Pinkelrunde ums Karree, während Rudi das leidige Gepäck in die Wohnung schleppt. Meines Erachtens benutzt Franzi den armen Rudi wiedermal als Packesel. In der Wohnung bekomme ich endlich meine Welpen-Mahlzeit und frisches Wasser. Etwas später sitzen wir alle drei vorm Fernseher und schauen einen Liebesfilm an, den ich furchtbar langweilig finde, weil keine Tiere drin vorkommen. Müde schlafe ich auf dem Schoss von Rudi ein.

      6. Kapitel (2000)

      Mittlerweile bin ich zwei Jahre alt und schon lange kein Welpe mehr. Ich wiege stolze 38 Kilogramm und bin wesentlich größer als ein Schäferhund. Ich habe ein weißes, glattes, langhaariges Fell, schwarze Mandelaugen und eine schwarze Nasenspitze. Meine Ohren hängen in der Regel nach unten, nur bei starkem Gegenwind richten sie sich auf. Bei Aufregung rolle ich meinen Schwanz nach oben zu einem Kringel. Am Hals habe ich einen dicken Fellkragen, der mich vor Hunde- oder Wolfsbissen schützt. Mein gewaltiger Kopf, der fast so groß ist wie Rudis Schädel, passt ausgezeichnet zu meinem dickköpfigen Charakter. Mein riesiges Gebiss mit den langen Reißzähnen zeige ich gerne mal anderen Hunden, damit sie keinen Angriff gegen mich wagen. Meine Drohgebärden kombiniere ich immer mit zischenden Warngeräuschen, die die Gegner absolut beeindrucken. In den Parks bin ich eigentlich immer die Chefin unter den Hunden. Nur wenige wagen es, sich mir in den Weg zu stellen. Wenn jemand Streit will, soll er ihn haben, weil ich keiner Auseinandersetzung ausweiche. Ich habe schon eine Menge Hundekämpfe gehabt, deswegen habe ich unzählige Narben am Hals, die aber niemals beim Tierarzt behandelt werden mussten. Fremden Leuten gegenüber bin ich normalerweise sehr freundlich, weil es durchaus möglich ist, dass sie etwas Essbares in der Tasche haben.

      Mein Rudel besteht nachwievor aus Rudi, Franzi und meiner Wenigkeit. Wir wohnen immer noch in der Dachwohnung in Kreuzberg. Allerdings haben meine Bezugspersonen häufig Streit. Meine Sorge ist, dass sie sich bald trennen werden, wenn das so weiter geht. Franzi schmollt wochenlang nach irgendwelchen Auseinandersetzungen und bestraft Rudi dann mit völliger Missachtung seiner Person.

      Heute Abend bin ich mit Rudi und Franzi in einem Kreuzberger Gartenlokal. Wir haben einen warmen Frühsommertag, die anderen Gäste an den Nebentischen sind in ihre Gespräche vertieft. Hier wird eine Menge Bier getrunken, deswegen ist die Stimmung gut. Nur an unserm Tisch herrscht dicke Luft. Den Grund dafür kann ich nicht richtig einschätzen. Momentan bin ich angeleint, weil ich nicht alleine durch das Lokal laufen soll. Es gibt hier auch noch ein paar andere Hunde, die aber alle an anderen Tischen in sicheren Abstand von mir verweilen.

      „Ich finde dein ewiges Schweigen furchtbar, das ist doch keine Konfliktlösung! Kannst du nicht mal eine andere Platte auflegen. Man kann doch über alle Probleme reden!“ meint Rudi genervt.

      Franzi nimmt ihr Bier und trinkt einen Schluck, aber eine Antwort bekommt Rudi nicht. Als Mann würde ich so eine Frau nicht aushalten. Meines Erachtens hat Franzi einen Haufen Probleme, jedoch wird durch ihr Schweigen alles immer schlimmer. Scheinbar will sie ihn bestrafen, aber warum?

      Nachdem Rudi die Rechnung bezahlt hat, gehen wir schweigend zu Fuß zurück zur Wohnung. Als ich an einem Baum pinkele, wartet Rudi geduldig. Franzi läuft dagegen weiter ohne auf uns zu warten. Egal, sie kann ruhig schon mal vorgehen. Wenig später steige ich mit Rudi die Treppen hinauf zu unserer Dachwohnung. Rudi schließt das Türschloss auf und betritt den Flur. Ich folge ihm, gehe zum Wassernapf und trinke etwas. Rudi bereitet mir mein Futter vor, stellt mir die Schale auf den Boden und setzt sich danach auf einen Barhocker am Küchentresen. Franzi befindet sich im Bad. Gierig fresse ich meine Portion und lege mich anschließend in meiner Lieblingsecke auf meine Decke. Hier habe ich alles gut im Blick. Franzi kommt aus dem Bad ohne Rudi anzuschauen, geht ins Wohnzimmer und setzt sich dort auf die Couch.

      „Ich finde dich wirklich total zum Kotzen!“ ruft Rudi ihr zu und schaut ins Wohnzimmer.

      Franzi erhebt sich von der Couch und geht schnellen Schrittes zurück zum Bad. Kurz bevor sie Rudi passiert, der immer noch auf dem Barhocker sitzt, wendet sie sich ihm plötzlich zu und stößt ihn kraftvoll mit ausgestreckten Armen vom Hocker, sodass er rückwärts auf die Küchenfliesen stürzt. Leider konnte er sich beim Aufprall nur eingeschränkt mit dem linken Ellbogen abstützen. Der Sturz war fatal und bestimmt sehr schmerzhaft. Franzi geht ohne sich um Rudi zu kümmern weiter ins Bad, während er sich langsam wieder aufrichtet und seinen linken Ellbogen mit der anderen Hand festhält.

      „Bist du Wahnsinnig geworden? Du hättest mich umbringen können!“ schreit Rudi entsetzt. Geschockt schaut er sich seinen Ellbogen an, der schnell mandarinengroß anschwillt. „Vielleicht ist der jetzt gebrochen!“ brüllt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.

      Franzi kommt kommentarlos aus dem Bad heraus, greift die große, schwarze Porzellanschüssel mit von