auf einer kleinen Landstraße mehrere Dörfer, die zwischendurch von riesigen Feldern und Kieferwäldern unterbrochen werden. Manchmal sehe ich Kühe auf der Weide stehen, die gemütlich ihr Gras fressen. Auf einem Kirchturm sitzen zwei Störche, die sich um ihren Nachwuchs kümmern. Hier sieht es etwas so aus wie in Ungarn, deswegen bekomme ich ein wenig Heimweh nach meinem ungarischen Bauernhof mit meiner Mutter und meinen chaotischen Geschwistern. Aber leider bin ich nicht mehr in Ungarn sondern in der Mark Brandenburg. Letztendlich bin ich mit meinem neuen Rudel ganz zufrieden, denn es geht mir sehr gut bei Franzi und Rudi. Vielleicht geht es mir sogar besser, als meinen Geschwistern. Was aus ihnen wohl geworden ist? Hunde werden in Ungarn häufig nicht so menschlich behandelt wie in Deutschland, somit ist es nicht unwahrscheinlich, wenn ich die Einzige bin, die von unserem Wurf überleben wird.
Nachdem wir durch einen großen Wald gefahren sind, erreichen wir ein größeres Dorf mit dem Namen Wusterwitz, das an einem großen See liegt. Auf dem Gewässer befinden sich einige Motor- und Segelboote, die langsam ihre Bahnen ziehen. Da heute die Temperaturen sehr angenehm warm sind, sind einige Badegäste am Strand zu sehen. Ein paar Mutige wagen es sogar in die Fluten zu steigen. Wenn mein Menschen-Rudel jetzt ins Wasser gehen würde, würde ich ihnen sicherlich aus Neugierde folgen. Aber Rudi denkt nicht daran anzuhalten, sondern lenkt den Bus quer durchs Dorf bis auf einen Sandweg mit großen Schlaglöchern, sodass wir erneut kräftig durchgeschüttelt werden. Am Ende des Weges hält er vor einer Grundstückseinfahrt, weil uns ein verrostetes Tor an der Weiterfahrt hindert. Rudi steigt aus und schließt ein Vorhängeschloss auf, das eine Stahlkette zusammenhält. Anschließend öffnet er das Tor, kommt zurück zum Bus und fährt ihn aufs Grundstück. Im dichten Gras parkt er, steigt aus und läuft zurück zum Tor, um es sorgfältig zu verschließen.
Franzi setzt mich ohne Leine ins Gras. Als erste Handlung pinkele ich erleichtert auf dem Grundstück. Anschließend erkunde ich gründlich hoch interessiert mit meiner Nase das Terrain. Leider ist hier die Vegetation so üppig, deswegen kann ich mich mit meinen kurzen Beinen kaum vorwärts bewegen. Was für eine ungerechte Welt!
„Lass uns erstmal zu Peter und Anna gehen, um sie zu begrüßen“, schlägt Rudi vor. Franzi antwortet: „O.K., machen wir!“
Mein Menschenrudel läuft einen kleinen Weg entlang, der zum vorderen Grundstücksteil führt. Wegen des dichten Bewuchses habe ich ziemlich Schwierigkeiten ihnen zu folgen. Franzi erlöst mich von diesem Albtraum und nimmt mich wieder auf den Arm, während Rudi mein kleines Problem gar nicht mitbekommen hat. Wir betreten einen kleinen Innenhof mit einer halbverfallenen Scheune und einem alten Haus. Der alte, etwas heruntergekommene Bauernhof hat viele Ähnlichkeiten mit dem Gehöft in Ungarn, wo ich vor einigen Wochen das Licht der Welt erblickt habe.
Rudis und Franzis Mieter begrüßen uns im Innenhof. Peter ist ein kleiner Mann um die 50, der immer nur kichert und wie ein Waschweib schwätzt. Rudi hat vor dem Treffen erzählt, dass er früher mal Pferde-Jockey war und heute nur noch von Sozialleistungen lebt. Sein Spitzname ist Indien-Peter, weil er früher jahrelang in Indien gelebt hat. Seine Frau Anna ist ungefähr so alt wie Peter und häufig von ihm genervt. Sie haben ein gemeinsames, zehnjähriges Kind, um das sie sich rührend kümmern. Anna war früher einmal heroinabhängig, aber sie hat dieses Kapitel glücklicherweise abgeschlossen. Franzi und Rudi setzen sich an einen großen, wackligen Tisch mit alten Holzstühlen. Franzi platziert mich erneut auf ihren Schoss, damit ich keinen Blödsinn veranstalte. Die vier erwachsenen Menschen unterhalten sich angeregt bei Kaffee und Kuchen, während das Kind im Garten spielt. Peter bietet Rudi einen Joint an, dessen getrocknetes Gras von den auf dem Grundstück selbst angepflanzten Marihuana-Pflanzen stammt. Rudi lehnt das Angebot nicht ab, auch Franzi zieht wenig später genüsslich am Joint.
„Haus und Scheune sind völlig marode“, sagt Peter. Rudi antwortet: „Ich weiß, dass alles am Arsch ist.“ „Eigentlich ist die Miete viel zu hoch“, meint er. „Willst du weniger bezahlen?“ fragt Rudi. „Wir können ja mal darüber diskutieren, weil ich mal wieder pleite bin“, erzählt er. „Du weißt, dass die 300 DM im Monat sowieso schon ein Freundschaftspreis sind“, sagt Rudi. „Ja, ja, aber ich bin trotzdem pleite“, meint er. „Ich kann dich hier nicht gratis wohnen lassen. Alleine schon nicht wegen der Nebenkosten, die monatlich anfallen. Für mich ist es wichtig eine vermietete Immobilie zu haben, um Steuern zu sparen“, sagt Rudi. „Ich kann dir die Rechnungs-Bons fürs Finanzamt auch weiterhin geben, aber bitte ohne die Mietzahlung“, schlägt er vor. „Ich kann auf die 300 DM nicht verzichten. Diese Summe ist gar nichts, ein Fliegenschiss bei diesem großen Grundstück“, entgegnet Rudi. „Du wirst keinen anderen Mieter finden, ohne vorher in das Haus investiert zu haben“, sagt er. „Ja, du hast Recht! Da ich nichts investieren werde, werde ich auch keinen anderen Mieter finden. Aber für dich gibt es diesen Spezialpreis“, erklärt Rudi. „Na, dann muss ich wohl die bittere Pille schlucken“, meint er resigniert. „Es wird einem im Leben eben nichts geschenkt“, kommentiert Rudi.
Die beiden Männer erheben sich vom Kaffeetisch und gehen in die Scheune. Franzi und Anna bleiben sitzen, um sich zu unterhalten. Kurzentschlossen springe ich Franzi vom Schoss und renne ihnen hinterher in die Scheune. Schnell finde ich Rudi und beiße ihm freundschaftlich in den linken Socken.
„Aua, nicht beißen“, sagt Rudi zu mir. Peter meint: „Die Scheune ist kurz vorm zusammenfallen!“ „Sie hat oben im vorderen Giebel ein großes Loch, aber ich glaube nicht, dass sie einstürzt, sonst wäre es bereits passiert“, sagt Rudi. „Du bist ja ein richtiger Optimist“, entgegnet er. „Nee, ich bin ein echter Realist“, stellt Rudi klar.
Die Beiden verlassen die Scheune, laufen über den Innenhof und betreten das Wohnhaus. Natürlich renne ich ihnen hinterher, weil ich den Ausflug äußerst spannend finde. Was ist das hier für eine elendige Hütte! Im Haus ist es äußerst kalt und staubig. Indien-Peter scheint ein ziemlich chaotischer Mensch zu sein. In einem Raum stehen große selbstgemalte Gemälde und Farbtöpfe, wahrscheinlich ist er ein Künstler. Beim Überprüfen der Töpfe tauche ich mit meiner Nase zu tief in einen gelben Farbtopf ein. Natürlich ist sie nun gelb, aber Rudi wischt sie schnell mit seinem Taschentuch sauber. Mein Missgeschick war sehr unangenehm für mich, weil ich an der Nase sehr empfindlich bin. Außerdem stinkt die Farbe so furchtbar, dass ich deswegen nießen muss. So macht man als Junghund seine Lebenserfahrungen! Die ungleichen Herren laufen durch alle Räume und unterhalten sich. Neugierig folge ich ihnen, denn hier ist viel zu entdecken. Peter hat vor unserem Besuch alle Fenster geöffnet, damit frische Luft hereinkommt. Zum Inventar gehören auch zwei Allesbrenneröfen, die nach alter Asche riechen. Im Winter wird es hier wegen der Kälte bestimmt kaum aushaltbar sein.
Nach dem Rundgang durch die untere Etage des Hauses steigen Rudi und Peter eine steile Holztreppe zum Dachboden hinauf. Ich schaffe es nicht ihnen zu folgen und lasse meine kläglichen Miep-Geräusche ab, damit Rudi mich mitnimmt. Tatsächlich dreht er nochmal um, kommt zu mir herunter, nimmt mich auf den Arm und steigt mit mir erneut die Treppe hinauf. Oben angekommen lässt er mich frei laufen, was keine gute Idee war. Hier ist es noch staubiger und dreckiger als unten in der Wohnung, sodass ich nach kurzer Zeit statt einem weißem Fell ein graues habe. Nach der Dachinspektion nimmt mich Rudi auf den Arm und läuft mit Peter wieder die Treppe hinunter. Anschließend verlassen wir das Haus, betreten den Innenhof, gehen ein Stück an der Hauswand entlang und steigen dann eine Außentreppe hinunter bis zum Kellereingang. Vorsichtshalber lässt mich Rudi auf dem Arm, was ich mittlerweile wegen der vielen Unzugänglichkeiten sehr begrüße. Im Keller befindet sich nur eine winzige Lampe an der Decke, die nur wenig Licht spendet. Hier ist es kalt und modrig-feucht. Die Männer kontrollieren einen hauseigenen Brunnen mit Druckbehälter, dann verlassen sie zum Glück das furchtbare Verlies und setzen sich wieder an den Kaffeetisch zu den beiden Frauen, die immer noch angeregt tratschen. Rudi lässt mich weiter auf seinen Schoss sitzen. Angestrengt passe ich auf, dass ich ihm nicht auf die Hose pisse.
„Was hat mich nur geritten, so eine verkeimte Polenkate zu kaufen“, sagt Rudi. Peter meint: „Du kannst froh sein, dass dein Anwesen noch nicht zusammengekracht ist. Schau dir nur mal die Westwand des Hauses zur alten Nachbarin und den Scheunengiebel an.“ „Ich habe aber leider nicht das Geld, um zu investieren! Und die Miete kann ich dir auch nicht erlassen“, sagt Rudi. „Ja, ja, ich hab´s kapiert! Dann machen wir so weiter wie