Ramona Nagiller

Ausgesetzt


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vorderen Bereich war eine kleine Küche eingerichtet mit kleinem Tisch, einer Eckbank und zwei Stühlen.

      In der Mitte des Wagens gab es eine Art Wohnzimmer mit herunter klappbarer Schlafmöglichkeit.

      Seitlich war ein eingebauter Kleiderschrank.

      Im hinteren Bereich gab es noch eine schmale Schlafmöglichkeit, mit ebenfalls einem größeren Einbauschrank, schmal und hoch.

      „Setz dich auf die Eckbank", sagte Charlie.

      Bärbelchen wurde versorgt mit Windeln und einem Fläschchen, dann aßen wir zu Abend.

      Sie waren freundlich zu mir. Ich hatte keinen Appetit und Mühe nicht zu weinen.

      Ich wollte meine „Eltern“ bei mir haben. Der Schmerz nagte in meinem Magen, ich fühlte mich so hilflos.

      Mir war schlecht.

      Anne ging in den hinteren Bereich des Wohnwagens und zeigte mir das schmale Bett, das schon mit einem Kissen und einem Deckbett ausgestattet war.

      „Hier kannst du schlafen", sagte sie, und zeigte mir noch eine größere Schüssel und Seife, auch ein Handtuch.

      „Hier kannst du dich waschen, für heute. Wenn du Pipi musst, schau her, ist hier noch ein Eimer dafür, und wichtig“- sie schaute mich eindringlich an.

      „Mit dem Eimer gehst du bitte raus aus dem Wagen und erledige dein Geschäft draußen, weil Pipi machen und das große Geschäft ist in dem Wohnwagen nicht erlaubt.“

      Ich starrte Anne an.

      „Na komm, ich zeige dir, wie das geht“, überspielte Anne meinen entsetzten Gesichtsausdruck.

      Wir gingen raus, die schmale Holztreppe nach unten. Mama zog mir die Hose runter.

      „So, jetzt kannst Du pullern oder was Du sonst so musst“, befahl sie, schob mir den Eimer unter den Hintern.

      „Und vergiss das Toilettenpapier nicht, das hinter dem schmalen Schränkchen in deinem Abteil steht", ermahnte sie mich.

      Ich nickte.

      „Geht doch“, lachte sie zufrieden, als ich fertig war.

      „Ab nach drinnen, waschen, und ins Bett!“

      Alle gingen schlafen, Charlie mit Anne im Mittelteil des Wagens. Bärbelchen schlief in einem Korbwagen in der Nähe des Bettes.

      In der ersten Nacht hat mir die Angst fast die Besinnung genommen.

      Ich hörte fremdartige Geräusche und lachen, reden von Leuten draußen, die noch nicht schliefen.

      Ich betete, dass meine Großeltern morgen kämen, um mich wieder mit nach Hause zu nehmen.

      Ich machte mich ganz klein und rund, zog die Beine an, wickelte das Deckbett fest um mich.

      Irgendwann schlief ich ein.

      Ich fragte jeden Tag, warum kommt Mama und Papa mich nicht holen.

      „Sie können nicht kommen", sagte Anne und schaute irgendwie traurig aus.

      „Dein Papa ist im Krankenhaus, er ist sehr krank, sie können dich nicht abholen.“

      In meinem Kopf hämmerte es unablässig,

      Er kommt nicht, er kommt nicht. Warum? War ich böse?

      Was ich damals nicht wusste: meine Mutter hatte einen Antrag beim Jugendamt gestellt, um bei ihr zu leben.

      Es war zugestimmt worden, da mein Opa schwer an Krebs erkrankt war. Das Jugendamt hatte es genehmigt ohne Überprüfung meiner Unterkunft.

      Ich wartete und wartete, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag.

      Kapitel 6

       Charlies Familienclan

      Es waren einige Leute auf dem großen Platz. In dem bunten Zelt, das ich bei meiner Ankunft gleich bemerkte, waren Pferde eingestellt. Die ganze Familie von Charlie, des neuen Freundes meiner Mutter, waren alle da. Es waren viele Leute. Sie begrüßten mich freundlich, sagten, dass ich hübsch sei.

      Ich starrte alle an, fühlte mich so alleine.

      Charlie lachte dazu: „Das wird schon“ sagte er zu mir.

      „Das sind meine Eltern“, stellte mir Charlie seine Eltern vor.

      Ich bemerkte zwei ältere Leute, die ein wenig abseits standen. Ich wurde von Charlie in ihre Richtung geschoben, ich sah auf. Eine etwas korpulente Frau mit kunstvoll hochgesteckten roten Haaren stand vor mir. Ihre Augen waren blau, die Nase schmal, ebenso der Mund. Sie hatte ein blaues Kleid an, das ihr gut stand. Um ihren Hals trug sie ein Collier aus weißen und blauen Steinen, an ihren Ohren hingen lange aufwändige tropfenförmige Ohrringe, die zu dem Collier passten. An ihrer einen Hand trug sie noch den dazugehörigen großen Ring. Ihr Armgelenk war bestückt mit einem breiten, mit Münzen behangenen schweren Armband.

      Wirklich, so was hatte ich noch nie gesehen.

      „Hallo, Isabella!“ Ihre Augen blickten freundlich, ihre Hand bewegte sich nach vorne, um mein Gesicht zu berühren.

      Entsetzt wich ich zurück.

      Charlie, der hinter mir stand, hielt mich an den Schultern fest.

      „Schau, Isabella, du musst wissen, das ist meine Mama und jetzt deine neue Oma Elsbeth, und hier, dieser Mann, ist mein Papa, und jetzt dein neuer Opa Adolf.“

      Er bückte sich zu mir, umfasste meine Hände.

      „Du weißt doch, dass wir alle eine große Familie sind“.

      Ich riss meine Augen auf und starrte auf den vorgestellten neuen „Opa“.

      Ich sah eine großen schlanken Mann vor mir, mit vollen weißen Haaren, eisblauen Augen, einer gebogenen

      schmalen Nase, ebenfalls einem schmalen Mund, mit einem schmalen weißen Oberlippenbart. Er war gekleidet mit einem karierten Baumwollhemd, einer helle Hose und Reitstiefeln. Er schaute mich fast unbeteiligt an. Als ich seinen Blick auf mir spürte, fröstelte mich, ich fühlte die unangenehme Kälte, die mitleidlose herrische Ausstrahlung seiner Persönlichkeit, und fürchtete mich.

      „Oma“ und „Opa“ sollte ich sagen? Ich sah Charlie an, schüttelte den Kopf.

      „Nein, Oma und Opa will ich nicht sagen, und überhaupt will ich die alle nicht haben!“ sagte ich bockig.

      Sie waren so laut und so anders.

      „Ich will nach Hause, wann komme ich heim?“ Ich bekam keine Antwort.

      Charlie lächelte, nahm mich an der Hand und brachte mich zu Anne, die mit Bärbelchen beschäftigt war.

      Meine Mutter zeigte mir mit viel Geduld, wie ich Bärbelchens vorbereitetes Fläschchen aus der Warmhaltebox nehmen musste, übte mit mir, wie ich sie Bärbelchen zum Trinken geben sollte, mit Bäuerchen und so.

      „Und wenn du sie dann ins Bettchen zurücklegst, pass auf das Köpfchen auf, stütze es ab. Lass sie niemals fallen, hörst du, Isabella? Mama muss spät abends arbeiten, damit wir was zu essen haben. Das verstehst du doch? Ich hab dich ganz fest lieb“. Sie streichelte mir über den Kopf.

      Ich schaute sie an.

      Mama arbeitete jetzt nachts in einem amerikanischen Offiziersclub hinter der Bar.

      Charlie war in der Nacht auch nicht da.

      Ich versorgte Bärbelchen, wenn sie weinte, Hunger hatte, wie Mama mir gezeigt hatte.

      Ich weinte mich fast jede Nacht in den Schlaf. „Papa, wann kommst du?“

      Der Freund meiner Mutter war lustig, er machte oft Musik, spielte Akkordeon, es gab Partys und Feste auf dem Platz.

      Die