Mein Großvater kam her, streichelte meinen Kopf, nahm mir den Bär aus dem Arm und schaute auf den ausgezeichneten Preis.
Sein Gesicht legte sich danach etwas sorgenvoll in Falten.
„Das wird eng", hörte ich ihn murmeln.
Er nahm meine Hand, ging zur Kasse und bezahlte das Stofftier.
Ich jubelte, drückte den Bär an mich.
Danach hatten wir beide einen langen Nachhauseweg.
Opa hatte kein Busgeld mehr für uns.
Wir mussten laufen.
Kapitel 10
Es kam die Schulzeit.
In der Schule war ich ein zurückhaltendes Kind mit wenig Freunden, trotzdem voller Fröhlichkeit und zufrieden.
„Sonnenscheinchen“ nannte mich meine erste Lehrerin, Frau Goldmann. Sie mochte meine Grübchen, die sich in meinen Backen zeigten, wenn ich lachte. Ich hatte lange dunkle Zöpfe, die meist mit roten Schleifen am Ende zusammengehalten wurden. Ich war inzwischen etwas pummelig, aber nicht wirklich dick. Leider musste ich die Kleider auftragen, die von Kirchenspendern vorbeigebracht wurden, da meine Großeltern sehr wenig Geld hatten.
Ich mochte die Sachen nicht gerne anziehen, meine Mitschüler kicherten oft hinter vorgehaltener Hand deswegen. Sie waren besser gekleidet. Deshalb hatte ich auch fast keine Freunde, außer Soraya, einem Mädchen aus Griechenland. Sie hatte auch nicht viel. Im Rechnen kam ich nicht gut mit. Mein Onkel Karl versuchte mir mit Nachhilfestunden zu helfen, er bemühte sich wirklich redlich. Doch ich war mit meinen Gedanken immer woanders. Aber in Deutsch war ich richtig gut. Wenn ich einen Aufsatz schrieb oder vorlas, war ich wirklich in meinem Element.
Frau Goldmann setzte Soraya zu mir an meinen Tisch, damit ich ihr beim deutsch Schreiben helfen konnte und das klappte prima. Soraya und ich verstanden uns ohne Worte.
Als ich siebeneinhalb Jahre alt war, spürte ich ein komisches dunkles Gefühl wieder, das mir bekannt war - irgendwie, das ich vergessen hatte.
Das Gefühl war kalt, hässlich und lähmte mich.
Es waren Schübe, ich versuchte sie zu bekämpfen.
Opa musste so viel zum Arzt, hatte wenig Zeit für mich. Er wurde so dünn, so hässlich mit großen Augen, umringt mit dunklen Rändern, musste sich so viel hinlegen, ausruhen, schlafen.
Opa, den ich Papa nannte, sagte einmal zu mir: „Kind, glaub mir, es gibt Menschen, die würden gerne den Teller leer essen, wenn sie könnten. Sei lieb, und iss fertig, was Oma dir ausgeschöpft hat!“
Heute weiß ich, er hatte Speiseröhrenkrebs.
Er kam ins Krankenhaus.
Ich fing wieder an, Daumen zu lutschen, was mir den Spott meiner Mitschüler einbrachte, wenn ich mich „vergaß“.
Ich war mit Oma alleine, durfte nicht mit ins Krankenhaus.
Er war so lange weg. Ich habe ihn so vermisst!!
An einem Tag kam ich von der Schule an dem Haus meiner Tante vorbei.
Im Parterre das Küchenfenster war weit geöffnet.
Tante Inga beugte sich heraus, und rief:
„Isabella, Isabella, dein Opa ist zu Hause.“
Sie lachte.
Ich blieb wie angewurzelt stehen,
„Wirklich?“ fragte ich ungläubig.
„Ja, lauf!“ bestätigte Sie.
Ich warf meinen Schulranzen, im hohen Bogen über den kleinen Gartenzaun des Vorgartens und rannte los, so schnell mich die Beine trugen, nach Hause.
Ich lief und lief, die Treppen, die Stufen des Wohnhauses hinauf, hämmerte mit den Fäusten an die Eingangstür.
Als diese geöffnet wurde, sah ich ihn und fiel meinem Opa um den Hals.
Alles Glück der Erde, er war wieder da.
Ich war so glücklich.
Es ist alles so anders als vorher. Er ist so viel alleine im Zimmer, schläft, der Arzt kommt, oft.
Ja, er ist da, ich gehe zu ihm, aber er ist immer so müde.
Dieses komische Gefühl ist wieder da, ich habe Angst, will wieder, dass es wie damals ist, als wir so viel Spaß hatten.
Als ich acht Jahre alt war, starb mein Opa.
Sie kamen in sein Zimmer und legten ihn in einen Sarg, liefen mit ihm die Treppen hinunter.
Ich weinte nicht.
In mir war alles nur kalt.
Allein
Du bist jetzt fort.
An irgendeinen anderen Ort.
Ich bin allein, es ist dunkel,
Mir ist kalt,
Meine Hände sind zu Fäusten geballt.
Wünsche mir, dass das Leben.
Aufhört,
Die Sonne nicht mehr für mich
Aufgeht.
Ich schließe die Augen.
Sehe ein kleines Licht.
Erkenne dein Vertrautes,
Lächelndes Gesicht.
Du sagst ganz leise:
„Denk das nicht,
Kämpfe,
Nicht aufgeben,
Es gibt noch soviel.
Zu erleben,
Ich vergesse.
Dich nicht.
Wir werden uns.
Wieder finden.
Im Licht.“
3.11.2011
Kapitel 11
Dunkle Träume.
In der Schule blieb ich fast sitzen, entwickelte ein Art Autismus. Meine Umwelt und das Geschehen nahm ich wie ein Zuschauer wahr, der sich einen Film betrachtet.
Ich lutschte Daumen, um mich zu beruhigen, aß schlecht und versuchte leidenschaftslos meinen Alltag zu bewältigen. Oma ging viel in die Kirche. Einmal mittwochs und am Sonntag morgens und nachmittags.
Sie nahm mich mit. Ich fand den Kirchgang zu viel, zu oft, wagte aber nicht zu widersprechen, da ich wusste, wie viel er Oma bedeutete.
Auch beobachtete ich immer wieder, dass Oma Geld spendete in Briefkuverts, fast bei jedem Besuch. Es war ein Kasten im Inneren der Kirche aufgestellt. Neben den Kasten stand immer ein Priester, der sich für die Spende bedankte.
Wir hatten nur einfachstes Essen auf dem Tisch, einmal im Monat gab es vielleicht Fleisch zu essen. Meine Kleider waren immer noch von der Kleidersammlung. Oma leistete sich nichts. Ich erinnere mich noch an den riesengroßen Topf mit kochendem Wasser, der in der Küche auf dem Herd stand. Die Weißwäsche wurde darin gewaschen mit Seifenlauge.
Umgerührt wurde alles mit einer Art Holzkochlöffel. Der Herd war gleichzeitig Ofen und wurde mit Holz und Briketts gefeuert.
Einmal die Woche wurde gebadet, ansonsten, Katzenwäsche, Gesicht, Hände, ein bisschen da, ein bisschen dort, später Zähne putzen.
Oma